# taz.de -- Rundfunkbeitrag in Deutschland: Der Beitragsservice und ich
       
       > Unserem Autor soll das Gehalt gepfändet werden – wegen des
       > Rundfunkbeitrags. Dabei hatte er gezahlt. Eine Reise durch die Wirren der
       > Bürokratie.
       
 (IMG) Bild: Die Zeichnung „Mann am Tisch“ fertigte Franz Kafka 1905 für seinen Roman „Der Prozess“ an
       
       Die E-Mail war vorsichtig formuliert, schließlich ging es um mein Geld.
       Noch mein Geld. Es sei ein Pfändungsbescheid eingegangen, schrieb die
       Kollegin aus der Buchhaltung. Im Auftrag des Rundfunks Berlin-Brandenburg.
       Und: „Als Arbeitgeber sind wir gesetzlich dazu verpflichtet, die Pfändung
       durchzuführen.“ Ich las und war perplex.
       
       Den Rundfunkbeitrag zahlt meine Frau seit Jahren für unsere Wohnung
       pflichtgemäß. Wir zahlen sogar gerne. Trotzdem sei ich exakt „888,08 Euro“
       schuldig. Die Zahl ist bei Weitem nicht das Absonderlichste an dem, was nun
       folgte – und was mich durch Ämter, Melderegister und unbesetzte Hotlines
       schließlich bis nach Süddeutschland führte. Und an den Rand des Wahnsinns
       sowieso.
       
       Der [1][Beitragsservice, einst „GEZ“], ansässig in Köln, war schon immer so
       etwas wie die kleine Schwester der Deutschen Bahn: eine an sich sinnvolle
       staatliche Einrichtung – aber durch miserable Kommunikation, absurdes
       Verhalten und hohle Werbung mehr kritisiert als akzeptiert. Der Spiegel
       nannte sie 2012 „die wohl bestgehasste Institution Deutschlands“.
       
       Dann kam die Reform. 2013 fielen die umstrittenen Besuche an der Haustür
       weg, fortan musste jeder Haushalt in Deutschland pauschal und unabhängig
       von Geräten einen Rundfunkbeitrag zahlen. Seitdem heißt die Einrichtung
       „Beitragsservice“.
       
       Es ist nicht so, dass ich durch die Gehaltspfändung verhungert oder auf der
       Straße gelandet wäre. Es wäre monatlich bloß ein Bruchteil meines Gehalts
       einbehalten worden, um die 888 Euro und 8 Cent abzuzahlen. Aber ich
       schuldete ja nichts! Ich musste das richtigstellen. Also folgte ich der
       Brotkrumenspur aus Hinweisen.
       
       ## Die Logik des Finanzamts
       
       Erster Hinweis: Im Schreiben des Finanzamts an die taz stimmte meine
       Adresse nicht. Es handelte sich um eine Wohnung, in der ich seit 2002 nicht
       mehr wohne und die ich auch nicht untervermiete. Leichte Panik setzte ein.
       Wie kam der Beitragsservice an diese alte Anschrift?
       
       Ein Anruf beim zuständigen Berliner Finanzamt brachte mich ein Stückchen
       weiter, aber nicht viel. Laut ihren Unterlagen, sagte die Sachbearbeiterin,
       handle es sich um Forderungen von 2016 bis 2019. Da lebte ich schon fast 15
       Jahre nicht mehr in der genannten Wohnung.
       
       Die Mitarbeiterin des Finanzamts war sehr entgegenkommend. Angeblich habe
       der Beitragsservice zahlreiche Briefe an die alte Adresse geschickt. Keiner
       sei zurückgekommen, las sie mir aus der Begründung für den Pfändungsantrag
       vor. Dass ich nicht reagierte und der Brief nicht zurückkam, nahm man als
       Beweis, dass ich dort tatsächlich lebte.
       
       Zu diesem Zeitpunkt blieben mir keine zwei Wochen mehr, bis die taz
       tatsächlich einen Teil meines Gehalts an den Beitragsservice würde abführen
       müssen. Aber weil keiner der Briefe je bei mir gelandet war, kannte ich
       weder Aktenzeichen noch konkrete Ansprechpartner*innen – nicht mal
       eine Durchwahl.
       
       ## Ein erster Erfolg: Jemand geht ans Telefon
       
       In der Literatur gibt es etliche Auseinandersetzungen mit Menschen, die
       einer behördlichen Maschinerie wehrlos ausgeliefert sind. Die bekannteste
       ist wohl Franz Kafkas Roman [2][„Das Schloss“]. Der Protagonist, der
       Landvermesser K., rennt gegen eine Bürokratie an, die sich ihm einfach
       nicht öffnet. Das Buch ist unvollendet – das macht es für mich noch ein
       bisschen bedrohlicher.
       
       Nun mag der Vergleich in meinem Fall etwas hoch gegriffen sein. Es ist ja
       nicht so, [3][dass die Bürokratie meiner Rettung aus einem Bürgerkriegsland
       im Weg stehen würde]. Aber ein Gefühl des Verlorenseins stellte sich ein;
       der Ohnmacht gegenüber einer Institution, die einerseits Einkommen
       einziehen kann, andererseits auf Grundlage völlig absurder Informationen
       agiert.
       
       Dank der Mitarbeiterin im Finanzamt kannte ich nun immerhin meine
       Beitragsnummer, ohne die geht gar nichts. Aber unter der im Netz
       aufgetriebenen Service-Telefonnummer des Beitragsservice war niemand zu
       erreichen. Nur eine Ansage, dass dieser Anruf aus dem Mobilfunknetz eine
       bestimmte Anzahl Cents koste (der genaue Betrag war nicht zu verstehen) und
       dass man alle Anfragen auch „bequem“ im Internet vornehmen könne. Danach
       brach die Verbindung immer ab.
       
       Zwei Tage versuchte ich so, nach Köln durchzudringen. Das war so
       erfolgreich wie andersherum die Versuche des Beitragsservice, Briefe an
       meine alte Adresse zu schicken. Endlich trieb ich eine andere Durchwahl
       auf. Dort war gleich jemand in der Leitung, und sie war obendrein
       kostenlos!
       
       Allerdings regierte hier das Misstrauen. Der Mann am Telefon war kurz
       angebunden und wenig zugewandt. Dafür mag man Verständnis haben. Wie viele
       Menschen beschweren sich wohl unter diesen Hotlines über angeblich
       ungerechtfertigte Forderungen?
       
       Der Mitarbeiter teilte mir mit: Nein, das Foto meines 2014 ausgestellten
       Personalausweises mit der seither unveränderten Anschrift, das ich ihm zu
       mailen anbot, reiche nicht. Ich könne ja an der anderen Adresse einen
       Nebenwohnsitz haben! Ich bräuchte eine Meldebescheinigung. Die sei online
       erhältlich – die erste gute Nachricht. Denn [4][Termine bei Berliner
       Bürgerämtern] zu bekommen dauert aktuell wieder mal Monate – zu lange für
       mich.
       
       Ich bestellte also eine Meldebescheinigung. Lieferzeit: 1 bis 2 Wochen,
       hieß es in der Bestätigungsmail. Aber würde das Papier wirklich ausreichen?
       Erneuter Anruf beim Beitragsservice, eine andere Mitarbeiterin diesmal.
       Nein, sagt die, in meinem Fall sei eine erweiterte Meldebescheinigung
       notwendig: Auf der stünden alle Anschriften der letzten 20 Jahre.
       
       Doch die gibt es nicht online. Zumindest nicht in Berlin.
       
       Ich überlegte aufzugeben. Um nicht selber zu Kafkas „K.“ zu werden. Im Kopf
       rechnete ich meinen gegenwärtigen Aufwand gegen den, der mir blühen würde,
       müsste ich mir die einmal gepfändeten 888 Euro und 8 Cent wieder
       zurückholen. Ich stellte Kosten-Nutzen-Rechnungen auf, bis mir klar wurde,
       dass ich besessen versuchte, Irrationales mit Ratio zu bekämpfen.
       
       ## Gemeinsam gegen die GEZ
       
       Also beschloss ich, stattdessen auf gut Glück beim nächsten Bürgeramt
       vorbeizuschauen. Eigentlich ein No-Go; könnte ja jeder kommen! Aber es
       klappte, in nur 20 Minuten. Die Bürokratie, gegen deren verrammelte
       Eingangstür ich ohnmächtig angerannt war – sie öffnete mir freundlich ein
       Seitenfenster. Vielleicht lag es am schlechten Ruf des Beitragsservice.
       Jedenfalls verabschiedete sich die Amtsmitarbeiterin mit den Worten:
       Die GEZ, die möge sie ja auch nicht. Sie erließ mir sogar die 10 Euro
       Gebühr.
       
       Endlich also konnte ich beweisen, dass die vom Beitragsservice genannte
       Adresse seit November 2002 weder registriert war, noch ich eine
       Zweitwohnung hatte. Die Bescheinigung reichte ich online ein. Und bereits
       nach zehn Tagen hatte ich Antwort.
       
       Eine Nachforderung von 1.246,50 Euro.
       
       Sollte ich lachen? Weinen? Ich legte den Brief weg, nur um ihn gleich noch
       mal zu lesen. Dort stand: Aus den von mir übermittelten Informationen gehe
       hervor, dass ich seit 2007 an der nun korrekten Anschrift gemeldet sei. Das
       Beitragskonto weise „einschließlich Juli 2021“ den entsprechenden offenen
       Betrag auf.
       
       Allerdings stand da auch: Falls für diese Anschrift bereits Beiträge
       gezahlt würden, solle ich Beitragsnummer und Namen der Zahlenden mitteilen.
       Das war nun, verglichen mit den vorherigen Anstrengungen, ein Leichtes. Mit
       der Beitragsnummer meiner Frau war die Nachforderung schnell storniert.
       
       Eins aber wollte ich noch wissen: wie der Beitragsservice überhaupt an
       meine falsche Adresse gekommen war. Im Fall eines Umzugs übermitteln die
       Meldebehörden die Daten von volljährigen Personen automatisch an den
       Beitragsservice. Zusätzlich erhält dieser [5][alle vier Jahre bei einem
       sogenannten bundesweiten Meldedatenabgleich] die Daten der Meldeämter zu
       allen volljährigen Bürgern. Personen, für deren Adresse kein Beitragskonto
       geführt wird, bekommen dann Post. Selbst recherchieren die knapp 1.000
       Mitarbeiter*innen des Beitragsservice keine Adressen.
       
       Auf eventuelle Fehler überprüft werden die Daten auch nicht – „allein wegen
       der Menge“, sagt mir die Pressestelle. Wobei man sich im Klaren sei, dass
       die Daten „in Einzelfällen selbstverständlich Fehler enthalten“ könnten.
       Wie oft das vorkomme, darüber gebe es keine Statistik. Jedenfalls sei es
       kein „systematisches Problem für den Beitragseinzug“.
       
       In meinem Fall wurde, wie sich herausstellt, die verkehrte Adresse beim
       letzten Meldedatenabgleich 2018 abgefischt. Nur: von den Berliner Behörden
       kam sie nicht. Sondern von der kleinen Gemeinde in Baden-Württemberg, wo
       ich bis 1995 gemeldet war. Die führt in ihrem Register weiterhin meinen
       ersten – aber eben nicht aktuellen – Berliner Wohnsitz.
       
       ## Fängt bald alles wieder von vorne an?
       
       Eine Meldebehörde übermittelt also Daten, für die sie nicht zuständig ist
       und deren Korrektheit sie offensichtlich nicht garantieren kann. Das wirft
       ein schlechtes Licht auf den kompletten Meldedatenabgleich.
       
       Mein Fall mag ein unglücklicher Einzelfall sein. Eine Häufung dummer
       Zufälle, die ausgerechnet mich erwischt hat. Auch der Beitragsservice teilt
       mir mit, man könne sich selbst nicht erklären, wie die falschen Daten
       übermittelt wurden – und warum keiner der Briefe zurückkam.
       
       Dennoch ist mir das alles an die Substanz gegangen, hat mich verwirrt,
       geärgert, verunsichert. Und ich habe mich mehrmals gefragt: Hätte ich zum
       Beispiel als 80-Jähriger Kraft und Nerven gehabt, den Irrtum aufzuklären?
       
       Ein letzter Versuch, ehe ich die Sache ruhen lasse: Anruf in der
       Gemeindeverwaltung in Baden-Württemberg, die die falsche Adresse gemeldet
       hatte. Ob es möglich sei, meinen früheren Berliner Wohnsitz zu löschen oder
       den Eintrag zu korrigieren. Die Daten seien schließlich nicht mehr aktuell,
       also falsch. Nein, das gehe nicht. Man könne nicht einfach Daten löschen,
       die ja mal gestimmt hätten.
       
       Gut möglich also, dass beim nächsten Meldeabgleich 2022 die Kettenreaktion
       von vorne anfängt.
       
       6 Sep 2021
       
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