# taz.de -- Zurück in Mecklenburg-Vorpommern: Wir sind wieder da
       
       > Abwanderung war lange ein großes Thema in Mecklenburg-Vorpommern, nun
       > kommen immer mehr Menschen zurück. Warum? Drei Protokolle.
       
 (IMG) Bild: Malerin vor Landschaft: Maria Müller bei Bützow
       
       Für viele Jahre galt Mecklenburg-Vorpommern als Land, das man verlässt.
       Hatte es zur Wendezeit noch bundesweit die jüngste Bevölkerung, gehört
       diese heute zu den ältesten. Das Bundesland öffnete Rückkehrer-Agenturen
       und startete Kampagnen. Mittlerweile sieht die Statistik ganz anders aus:
       Es ziehen mehr Menschen nach Mecklenburg-Vorpommern als von dort weg.
       Soziolog*innen untersuchen, inwiefern Rückkehrer*innen ländliche
       Räume verändern, wenn sie zwischenzeitlich in einer Großstadt lebten. Für
       die taz erzählen drei Menschen, die wiederkamen, von ihren Erfahrungen. 
       
       Maria Müller, 37 Jahre alt, lebt als Künstlerin in Bützow 
       
       „Es waren Zufälle, die mich hier wieder hergeführt haben. Die Entscheidung
       ist mir sozusagen entgegengekommen.
       
       Als Jugendliche habe ich mich in Berlin und Barcelona gesehen, niemals in
       Bützow. Ich wollte in die Welt, mich verlieben, reisen. Berlin, wo ich
       später hinzog, war für mich wie ein großes Open Air Theater. Ein einziges
       buntes, schillerndes, lautes Event. Aber ich bin dort auch ohne Ende mit
       dem Fahrrad herumgefahren, um einen grünen Flecken zu finden oder ein
       Stückchen Sonne. Die Berliner benutzen die Natur und das sieht man ihr an.
       Ich habe gemerkt: Die Sonnenblumenfelder, das Feuermachen am See – das ist
       alles nicht selbstverständlich.
       
       Ich bin mit einer Ausstellung durch Mecklenburg-Vorpommern getourt. Das
       Engagement der Leute hat mich so berührt. Menschen, die jeden Tag fünf
       Kuchen vorbeibringen, weil sie sich freuen, dass da etwas passiert.
       
       In einer Kunstkirche kamen bei jedem Event 200 Leute. In einem Dorf mit
       etwa 42 Menschen. Mein Gefühl war: [1][Krass, was hier geht!] Es gibt jede
       Menge Räume, bei denen sich Leute freuen, wenn jemand dort ausstellt.
       Gutshäuser, Kirchen. Da waren auch sofort Künstlerinnen und Künstler, die
       gesagt haben: Komm doch her, wir vernetzen uns.
       
       Meine beste Freundin aus Berlin ist nach Bützow gezogen. Sie hat gesagt:
       Schau mal, hier ist eine Wohnung frei. Die 70 Quadratmeter kosten 400 Euro
       mit allem Drum und Dran und ich kann das Kanu einmal über die Straße tragen
       und bin direkt im Wasser. Das fühlte sich einfach leicht an.
       
       Es gibt wenige Dinge, die ich vermisse. Vielleicht die kulinarische
       Vielfalt, die es in der Großstadt gibt. Aber mittlerweile denke ich, wenn
       mir etwas fehlt, dass ich es eben selbst machen muss.
       
       Mich erstaunt, dass mittlerweile viele Leute zurückkommen. Ich habe Leute
       aus Kindheitstagen wieder getroffen, die waren zwischenzeitlich in Schweden
       oder in China. Die wohnen jetzt wieder hier.
       
       Trotzdem war es für mich auf jeden Fall nötig, einmal weggegangen zu sein.
       Sonst hätte ich nicht gesehen, was ich hier habe.“
       
       André Schulz, 36, arbeitet in einer Einrichtung für Menschen mit
       Behinderung und wohnt bei Krakow am See 
       
       „Als Kind wollte ich immer auf dem Land wohnen bleiben. Wir haben auf einem
       Dreiseitenhof gewohnt, ich bin wie ein Bauernjunge groß geworden. Wir waren
       sechs Kinder, es gab viele Tiere. Zu Hause wurde noch geschlachtet und wir
       haben im Sommer den Mähdreschern zugeschaut.
       
       Für meine erste Ausbildung als Friseur bin ich nach Rostock, das war für
       mich damals eine Weltstadt. Dort bin ich vom schüchternen Mauerblümchen zum
       extrovertierten Mann geworden. In der Zeit dort habe ich meinen heutigen
       Mann kennengelernt. Er ist Krankenpfleger und wollte unbedingt nochmal nach
       Hamburg.
       
       Als Friseur habe ich in Rostock 500 Netto verdient – in Vollzeit. Das war
       keine Perspektive. In Hamburg habe ich mit nachgeholter Fachhochschulreife
       noch Soziale Arbeit studiert.
       
       Das war meine schönste Zeit. In Mecklenburg musst du immer mit dem Strom
       schwimmen. Wenn du ein bisschen anders aussiehst, ist das gleich Anlass für
       Gespräche. In Hamburg hatte ich plötzlich eine Kommilitonin mit
       wunderschönen Dreadlocks. Eine andere Kommilitonin kam zum Beispiel aus
       Afghanistan. Verschiedenheit war schön und bereichernd.
       
       Ich wollte in Hamburg bleiben, aber mein Freund wollte zurück zu seinen
       Eltern. Die Geschwister waren auch weg und keiner dort, der sich kümmern
       konnte. Es muss doch auch jemand zurückkommen, dachte er – und wer, wenn
       nicht wir?
       
       Wir haben beide eine Stelle gefunden, aber der Start war sehr
       herausfordernd. Mir wurden Dinge gesagt wie: Mit der Sexualität, die Sie
       haben, wird das schwierig hier. Die Klienten werden das nicht akzeptieren.
       Die Menschen mit Behinderung hatten mit meiner Sexualität übrigens
       überhaupt kein Problem.
       
       Wir waren kurz davor wieder zu gehen. Wenn wir bei der Arbeit mit
       Neuerungen kamen, fühlten sich die Leute angegriffen. Nach dem Motto: Das
       war doch schon immer so.
       
       Es begegnet uns auch [2][viel rechtes Gedankengut], das nacherzählt wird,
       damit haben wir beide echt zu kämpfen. Vielleicht sind wir da auch zu
       sensibel.
       
       Gleichzeitig muss man sagen, dass sich in den Jahren auch extrem viel zum
       Besseren verändert hat. Vor allem durch die Leute, die sich bewusst
       entschieden haben, auf dem Land zu wohnen. Mit ihnen können wir uns auch
       besser connecten.
       
       Wir haben immer wieder Momente, in denen wir denken, wir wandern nach
       Schweden aus. Ich hatte mich zwischendurch sogar schon einmal in Hamburg
       beworben, aber dann haben wir entschlossen nochmal durchzuhalten. Wir
       fühlen uns verantwortlich für unsere Eltern. Im Inneren ist so ein Druck:
       Du kannst doch nicht wieder weggehen, wenn schon so viele gegangen sind.“
       
       Jan Holze, 40, ist Vorstand der Deutschen Stiftung für Engagement und
       Ehrenamt und lebt in Schwerin 
       
       „Ich habe in Neubrandenburg Abitur gemacht, wir haben dort lange in einem
       Plattenbauviertel gewohnt – auf dem Datzeberg. „Der hoffnungsloseste Ort
       Deutschlands“ hat der Focus mal geschrieben. Aber für uns war das Heimat.
       Man hatte dort als Kind seine Clique, spielte im Innenhof Fußball und
       Verstecken.
       
       Trotzdem war als Jugendlicher für mich dann klar: Ich will hier weg. Als
       ich mit 17 mit Schulkameraden zu meiner ersten Interrail-Reise aufgebrochen
       bin, war die ganze Klasse für ein Abschiedsfest am Bahnhof bis wir morgens
       um vier in den Zug gestiegen sind. Das war für alle etwas ganz Großes.
       Unser Gefühl war: Wir kommen nie zurück.
       
       Als wir auf der Reise auf der Fähre nach Marokko waren, haben wir
       ausgemacht, dass wir losrennen, sobald wir das Festland betreten. Weil wir
       ja sicher waren, sofort überfallen zu werden. Als wir ausstiegen, merkten
       wir, dass sich niemand für uns interessiert. Die Vorurteile, mit denen man
       losfährt, bringt man nicht unbedingt wieder mit zurück.
       
       Ich war dann zum Studium und zum Arbeiten in Frankfurt, in Nantes, in
       Moskau, in Brüssel, in Münster. Nebenbei war ich im Präsidium des Deutschen
       Olympischen Sportbunds.
       
       In Brüssel war eine Schlüsselszene für mich, wie sich die Leute aus
       Osteuropa mit einem unglaublichen Fleiß in die Institutionen und Sprachen
       eingearbeitet haben. Als Mecklenburger wird man immer bemitleidet. Man ist
       immer der Letzte – und daraus entwickelt man Ehrgeiz. Nun ertappte ich
       mich, dass ich mit demselben Blick auf Osteuropa schaute.
       
       In meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter in Münster entstand der
       Gedanke, selbst etwas aufzubauen. Bei der Frage nach dem Wo, da ging der
       Blick nach Mecklenburg. 2018 sind wir als Familie mit drei kleinen Kindern
       ganz nach Schwerin gezogen. Die Stadt hat zumindest eine gewisse Größe. Wir
       haben die Abmachung getroffen, eine Wohnung zu suchen, von der aus man in
       zehn Minuten mit dem Kinderwagen die Rösterei mit dem besten Kaffee
       erreicht.
       
       Ich habe in Mecklenburg zunächst die Landesehrenamtsstiftung aufgebaut und
       dann die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt. Sie ist eine Art
       Kümmerer für alle 30 Millionen Ehrenamtlichen in der Bundesrepublik. Wir
       beraten und unterstützen mit einem besonderen Fokus auf den ländlichen
       Raum.
       
       Unser Sitz ist Neustrelitz in der Mecklenburgischen Seenplatte. Es war eine
       bewusste Strategie, solche bundesweiten Institutionen vermehrt in
       ländlichen Gebieten im ostdeutschen Raum anzusiedeln. Die Idee ist durchaus
       umstritten. Da hieß es in Berlin auch mal: Dort findet man doch keine
       Experten. Ich habe mir vorgenommen das Gegenteil zu beweisen. Besonders
       viele Bewerbungen bekommen wir von Rückkehrwilligen.“
       
       11 Sep 2021
       
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