# taz.de -- Willkommenskultur in Italien: 13 Jahre Haft für Ex-Bürgermeister
       
       > Domenico Lucano war auch im Ausland berühmt für die
       > Flüchtlingsinitiativen in seinem Dorf Riace. Nun wurde er verurteilt.
       
 (IMG) Bild: Wird in Berufung gehen: Domenico Lucano bei der Urteilsverkündung am Donnerstag
       
       ROM taz | 13 Jahre und 2 Monate Haft: Am Donnerstag wurde der frühere
       Bürgermeister des kalabrischen Städtchens Riace zu einer Strafe verurteilt,
       wie sie nur Schwerkriminellen gebührt. Bildung einer kriminellen
       Vereinigung, Amtsmissbrauch, Betrug, Fälschung von Dokumenten, Veruntreuung
       und Unterschlagung staatlicher Gelder: Dies sind die Anklagepunkte, mit
       denen das Gericht in Locri jetzt Domenico „Mimmo“ Lucanos Arbeit in der
       Aufnahme und Integration von Flüchtlingen als verbrecherisch einstufte.
       
       Das von dem 63-Jährigen ins Leben gerufene „Modell Riace“ hatte weltweit
       Aufsehen erregt. In seiner Amtszeit als Bürgermeister des Orts mit nur
       1.800 Einwohnern hatte er in den Jahren von 2004 bis 2018 eine konsequente
       Aufnahmepolitik für Migrant*innen durchgesetzt, als Angebot zur Hilfe
       für die Neuangekommenen, aber auch zur Selbsthilfe für die
       Alteingesessenen. Denn Riace drohte – wie so viele Gemeinden Süditaliens –
       durch die stetige Abwanderung völlig zu veröden.
       
       Die Ansiedlung von bis zu 450 Flüchtlingen dagegen eröffnete neue
       Perspektiven. Unter der Regie der Kommune wurden Handwerksläden aufgemacht,
       in denen Zugewanderte und Einheimische paritätisch zusammenarbeiteten,
       wurden Arbeitsstellen in der Flüchtlingshilfe geschaffen, konnte so auch
       die Wiedereröffnung der Dorfschule erreicht werden. Dies brachte
       Aufmerksamkeit weit über Italien hinaus. Wim Wenders drehte einen Kurzfilm
       über Riace, die Stadt Dresden verlieh ihm 2017 ihren Friedenspreis – und
       Medien rund um den Globus berichteten begeistert über Riace.
       
       Doch nur ein Jahr später fand sich Lucano als Verbrecher abgestempelt. Die
       Staatsanwaltschaft Locri nahm ihn in Haft, im Hausarrest: Angeblich hatte
       Lucano ein großes betrügerisches Bereicherungssystem aufgezogen. Der
       damalige Innenminister Matteo Salvini, Chef der
       rechtspopulistisch-fremdenfeindlichen Lega, zog nach und schloss sämtliche
       Aufnahmeeinrichtungen in Riace.
       
       ## Lucano wird in Berufung gehen
       
       Die Haftprüfungstermine bis hoch zum Kassationsgerichtshof in Rom endeten
       regelmäßig mit Schlappen für die Staatsanwaltschaft; sie musste sich
       bescheinigen lassen, sie habe völlig inkonsistente Beweise vorgelegt. In
       der Hauptverhandlung blieb sie jedoch bei ihren Anklagen. Unter anderem
       warf sie Lucano vor, die Ausschreibung für die Müllabfuhr manipuliert zu
       haben: Sie erfolgte in dem Ort mit seinen engen Gassen mit Eseln, die von
       Haus zu Haus zogen. Erwiesenermaßen hatte sich Lucano hierbei nicht
       bereichert – das aber machte nichts: Laut Staatsanwaltschaft hatte er einen
       „politischen Ertrag“. 8 Jahre und 11 Monate Haft forderte deshalb die
       Anklage. Das Gericht verschärfte mit gut 13 Jahren deutlich.
       
       Wie in Italien üblich wird die Urteilsbegründung erst Wochen nach dem
       Richterspruch kommen. Sicher ist, dass Lucano in Berufung gehen wird.
       
       1 Oct 2021
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Braun
       
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