# taz.de -- Akzeptanz von Klimapolitik: Im Interesse der Lobbyisten
       
       > Die Bevölkerung ist in der Klimafrage viel weiter als oft behauptet.
       > Tatsächlich sind es Lobbygruppen, die konsequenten Klimaschutz
       > verhindern.
       
 (IMG) Bild: Druck auf die Sondierungen: Nicht nur Fridays-for-Future-Aktivist*innen wollen mehr Klimaschutz
       
       Man hört die These ständig: Die Rettung des Klimas sei leider nicht
       durchsetzbar. Die Wähler*innen würden Klimaschutz nur in homöopathischen
       Dosen akzeptieren. Die Politik ist demnach einsichtig, die Bevölkerung aber
       leider unwillig. Manchmal hört man sogar eine absurde Zuspitzung dieser
       These: Klimaschutz lasse sich nur in einer Diktatur durchsetzen. Doch die
       These ist doppelt falsch.
       
       Die Bevölkerung ist erstens [1][beim Klimaschutz weiter als die Politik].
       In Umfragen fordert eine klare Mehrheit mehr Tempo. Zweitens ist es
       scheinheilig, wenn Bundesregierung und Landesregierungen behaupten, sie
       würden nichts gegen den Willen der Bevölkerung beschließen. Tatsächlich
       hört die Politik oft mehr auf mächtige Lobbys als auf die Bürgerinnen und
       Bürger – auch beim Klima.
       
       Die Umfragen zeigten einen eindeutigen Trend; bei der Wahlentscheidung
       beispielsweise lag die Sorge um das Klima auf Platz eins: In einer Umfrage
       der Forschungsgruppe Wahlen nannten 46 Prozent der Befragten den
       Klimaschutz als das wichtigste Problem. Mit großem Abstand folgten Corona
       und die Rente. Kein Wunder, dass sich sogar Olaf Scholz, der einen
       konsequenten Klimaschutz vehement blockiert hatte, im Wahlkampf plötzlich
       als entschlossener Klimaschützer inszenierte – als Bundeskanzler werde er
       im ersten Jahr für Tempo sorgen, versprach er. Er hat erkannt, dass er
       seinen Wahlerfolg nicht mit zu viel Klimaschutz gefährdet, sondern mit zu
       wenig.
       
       Bereits vor zwei Jahren war eine Mehrheit von 86 Prozent bereit, für
       Klimaschutz den eigenen Konsum deutlich einzuschränken. Diese Mehrheit gab
       es also schon, bevor in Deutschland fast 200 Menschen bei der
       Flutkatastrophe gestorben sind und in Griechenland eine Waldfläche von der
       Größe des Bodensees verbrannte. Die klaren Mehrheiten sind besonders
       erstaunlich, weil Medien bis heute nicht deutlich genug machen, wie
       brenzlig die Lage ist.
       
       ## Ein Flug, billiger als eine Bahnfahrt
       
       Zu Recht hat die Coronakrise für mehrere Monate die Schlagzeilen
       beherrscht. Genauso sollte es längst bei der Klimakrise sein. Das ist
       fatal, denn Information bewirkt etwas. Ein Beispiel: Vor einigen Wochen
       haben sich beim „[2][Bürgerrat Klima“ 160 Deutsche über Klimaschutz]
       informiert. Sie waren per Losverfahren aus der Gesamtbevölkerung ausgewählt
       worden. Die 160 kamen am Ende zu dem Schluss, dass die Maßnahmen der
       Bundesregierung bei Weitem nicht ausreichen. Die Bürger*innen
       befürworteten mit klaren Mehrheiten viel entschiedenere Aktionen.
       
       Oft wird eingewendet: Warum setzen die Menschen Klimaschutz nicht einfach
       selbst um? Zeigen nicht die freien Entscheidungen der Einzelnen, dass sie
       nicht zu großen Verhaltensänderungen bereit sind? Nein, denn wir sind zum
       einen nicht frei in unseren Entscheidungen. Das derzeitige
       Wirtschaftssystem zwingt uns umweltschädliches Verhalten geradezu auf. Ein
       Flug ist oft billiger als eine Bahnfahrt, eine neue Waschmaschine kostet
       weniger als die Reparatur der alten.
       
       Zum anderen sind viele Menschen erst dann bereit, etwas für die
       Gemeinschaft zu tun, wenn alle anderen mitmachen. Genau deshalb kommt auch
       keine Regierung auf die Idee, bloß höflich darum zu bitten, dass alle ihre
       Steuern zahlen, bei Rot nicht über die Ampel fahren oder sich an das
       Strafgesetzbuch halten. Wenn ein Verhalten für Einzelne Vorteile bringt,
       aber für die Gemeinschaft Nachteile, ist klar, dass es klare Regeln
       braucht, um schädlichen Egoismus einzudämmen.
       
       Solche Regeln zu erlassen, ist der zentrale Auftrag jeder demokratischen
       Regierung. Das Grundgesetz formuliert es wundervoll: [3][„Jeder hat das
       Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die
       Rechte anderer verletzt.“] Klimaschädliches Verhalten verletzt massiv die
       Rechte anderer, vor allem die der Jüngeren. Doch die Bundesregierung hat
       das erst dann berücksichtigt, als sie vom Bundesverfassungsgericht dazu
       gezwungen wurde. Die bisherige Klimapolitik handelt also keineswegs im
       Interesse der Bevölkerung, sondern im Interesse mächtiger Lobbygruppen.
       
       ## Nebelkerzen der Lobbygruppen
       
       Dieses Muster ist nicht neu. Es zeigt sich beispielsweise, wenn
       Großunternehmen jahrelang Steuerschlupflöcher nutzen und die
       Bundesregierung wenig unternimmt, um sie zu stopfen. Es zeigt sich häufig
       bei Skandalen an den Finanzmärkten. Ein Beispiel sind die so genannten
       Cum-Ex-Geschäfte, [4][bei denen Großinvestoren die Gemeinschaft jahrelang
       um Milliarden Euro betrogen haben].
       
       Als Medien den Skandal aufdeckten, wurde er nicht abgestellt, denn die
       große Koalition ließ sich ausgerechnet von der Bankenlobby beraten, wie man
       das Steuerschlupfloch schließen solle. Das Ergebnis: Der Betrug wird nur im
       Inland gestoppt, die Schlupflöcher über das Ausland lässt man offen.
       
       Doch warum kommen Regierende mit einer Politik im Interesse mächtiger
       Lobbys durch? Viele politische Entscheidungen sind so komplex, dass die
       Wähler*innen nicht merken, wenn gegen ihre Interessen entschieden wird.
       Und wenn sie es merken, haben Regierende ein paar Ausreden parat: Man gibt
       der EU die Schuld. Man behauptet, es sei alternativlos. Oder man behauptet
       eben, die Bevölkerung wolle keinen Klimaschutz.
       
       Die Lobbys sind nur stark, solange diese Nebelkerzen funktionieren, die
       Wähler*innen also nicht merken, dass da gerade gegen ihre eigenen
       Interessen entschieden wird. Darum sollten wir uns nicht täuschen lassen:
       Wer protestiert vehement gegen echten Klimaschutz? Nicht die Bürger*innen,
       sondern die Lobbyisten und PR-Agenturen, bezahlt von jenen, die das Klima
       in großem Stil kaputtmachen – zum Beispiel Gas- und Ölkonzerne, für die ein
       immenser CO2-Ausstoß deren Geschäftsmodell darstellt, oder Milliardäre mit
       ihrem exzessiven Konsum. Das reichste eine Prozent der Weltbevölkerung
       erzeugt 15 Prozent der gesamten CO2-Emissionen.
       
       Eine kleine, mächtige Gruppe hat das größte Interesse, echten Klimaschutz
       zu verhindern.
       
       18 Oct 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Szenarien-zur-Klimakrise/!5804148
 (DIR) [2] /Massnahmen-gegen-die-Klimakrise/!5777729
 (DIR) [3] https://www.bpb.de/politik/grundfragen/politik-einfach-fuer-alle/236726/das-recht-auf-freiheit
 (DIR) [4] /BGH-Urteil-zum-Cum-Ex-Skandal/!5786005
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Malte Heynen
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Industrielobby
 (DIR) Schwerpunkt Fridays For Future
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) Lobbyisten
 (DIR) GNS
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) Schwerpunkt Bundestagswahl 2021
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) Schwerpunkt Bundestagswahl 2021
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Versicherung gegen Flutschäden: Begehrte Police wegen Überflutung
       
       Nach der Flutkatastrophe im Juli versichern sich Hunderttausende gegen
       Überflutung. Die Anbieter wollen bestehende Verträge erweitern.
       
 (DIR) Die Linke in der Krise: Wer ist schuld an der Misere?
       
       Es gibt mindestens sechs Gründe, warum die Linkspartei so schlecht dasteht.
       Dass diese sich mitunter widersprechen: Das ist Dialektik.
       
 (DIR) Mehr Gesundheit gleich besseres Klima: CO2-Auswurf, bis der Arzt kommt
       
       Wird Ihnen auch schon mal schlecht, wenn Sie an die Klimakrise denken? Ob
       es hilft, wenn Sie dann Dr. Lauterbach hören?
       
 (DIR) FDP-Erfolg bei Erstwähler:innen: Eine Sache für Profis
       
       Weil viele Erstwähler:innen für die FDP stimmten, müssen sie Spott
       ertragen und werden von rechts beklatscht. Beides ist falsch.