# taz.de -- Terror in Norwegen: Attentat mit Pfeil und Bogen
       
       > Im norwegischen Kongsberg hat ein Däne mindestens fünf Menschen getötet
       > und mehrere verletzt. Der Geheimdienst spricht von einer
       > „Terrorhandlung“.
       
 (IMG) Bild: Trügerische Idylle: Die norwegische Kleinstadt Kongsberg wurde von einem Attentat erschüttert
       
       OSLO taz | Diesen Tag hatte sich Jonas Gahr Støre anders vorgestellt. Am
       Donnerstagvormittag übernahm der Sozialdemokrat von seiner konservativen
       Amtsvorgängerin Erna Solberg den Posten als Norwegens neuer Regierungschef.
       „Und auf diesen Tag habe ich mich auch sehr gefreut“, erklärte er
       einleitend zur Präsentation seines Kabinetts: „Doch natürlich gehen meine
       ersten Gedanken nach Kongsberg.“ „Grauenvolles“ sei dort passiert: „Es ist
       schockierend, daran zu denken, was die Menschen erlebt haben, und ich fühle
       mit allen Betroffenen. Denen, die Unsicherheit erfahren, und denen, die
       darüber informiert wurden, dass sie ihre Lieben verloren haben.“
       
       Die Gewalttat, die sich am Abend zuvor in der 70 Kilometer von Oslo
       entfernt liegenden Stadt Konsberg zugetragen hatte, warf einen dunklen
       Schatten auf die Amtsübergabe. Ein mit Pfeil und Bogen bewaffneter Mann
       hatte fünf Menschen im Alter zwischen 50 und 70 Jahren, vier Frauen und
       einen Mann, getötet und drei schwer verletzt, bevor die Polizei ihn eine
       halbe Stunde nach dem ersten Alarm nach einem umfassenden Einsatz
       festnehmen konnte. Er soll am Freitag dem Haftrichter vorgeführt werden,
       bereits am Donnerstag fand eine erste rechtspsychiatrische Begutachtung
       statt.
       
       Gleich nach Bekanntwerden der Tat waren schon am Mittwochabend in den
       Medien Vermutungen über eine mögliche Terrortat geäußert worden. Auffallend
       schien der Zeitpunkt der Bluttat einen Tag vor dem Antritt einer
       sozialdemokratisch geführten neuen Regierung. Natürlich wurde an die Taten
       des rechtsterroristischen Massenmörders Anders Behring Breivik am 22. Juli
       2011 und an den gescheiterten Angriff auf eine Moschee im August 2019
       erinnert.
       
       „Die Ereignisse in Kongsberg erscheinen derzeit als Terrortat“, teilte der
       norwegische Verfassungsschutz PSI am Donnerstagmittag in [1][einer
       Erklärung mit]: Aber die genaue Motivlage müsse durch die von der örtlichen
       Polizei geführten Ermittlungen erst noch aufgeklärt werden. Der zuständige
       Polizeichef Ole Bredrup Sæverud wollte einige Stunden zuvor auf einer
       Pressekonferenz einen terroristischen Hintergrund nicht ausschließen.
       Allerdings gebe es dafür noch keine konkreten Hinweise, betonte er, man
       ermittle auf breiter Grundlage: „Es gibt komplizierte Einschätzungen zum
       Motiv, und es wird Zeit brauchen, bis dies geklärt ist.“
       
       ## Wegen psychischer Probleme in Behandlung
       
       Der Verhaftete, der 37-jährige Espen B., ist ein zum Islam konvertierter
       dänischer Staatsangehöriger, der eine dänische Mutter und einen
       norwegischen Vater hat und der seit Jahren in Kongsberg lebte. Er hat laut
       Sæverud Verbindungen zu „radikalen Milieus“, und die Polizei habe zuletzt
       2020 „mehrfach Kontakt wegen mutmaßlicher Radikalisierungstendenzen“ mit
       ihm gehabt. Der Polizeichef betonte aber auch, dass der Mann, der noch im
       Laufe der Nacht bei ersten Polizeiverhören die Tathandlungen zugegeben habe
       und „zusammenarbeitswillig“ sei, mehrfach wegen schwerer psychischer
       Probleme in Behandlung gewesen sei. Auch ansonsten sei er für die Polizei
       „kein Unbekannter“.
       
       Nach Medieninformationen soll er wegen geringerer Straftaten vorbestraft
       sein, im vergangenen Jahr war wegen Bedrohung mit einer Waffe gegen ihn ein
       gerichtliches Besuchs- und Kontaktverbot zu seinen Eltern verhängt worden.
       Die Tageszeitung Aftenposten berichtet von einem etwas wirren Video aus
       einem mittlerweile gelöschtem Facebook-Account, in dem B. 2017 äußerte:
       „Ich bin ein Bote. Ich komme mit einer Warnung. Ist das wirklich das, was
       ihr wollt?“ NachbarInnen berichteten der Zeitung, der Mann habe in seinem
       Garten Kampfsport ausgeübt, mit Baseballschlägern und anderen Schlagwaffen
       trainiert, und er sei wiederholt von der Polizei aufgesucht worden.
       
       Auch die norwegische Schriftstellerin und langjährige Terrorismusexpertin
       Erika Fatland zögerte, die Tat zuzuordnen, solange die Ermittlungen nicht
       abgeschlossen sind. „Im Moment ist es unsicher, ob es Terrorismus war,
       etwas Psychisches oder etwas anderes“, sagt sie. Fatland hat schon wenige
       Monate nach den Anschlägen von Oslo und Utøya die Zeugnisse der
       Überlebenden gesammelt und in dem auch auf Deutsch erschienen Buch „Die
       Tage danach“ veröffentlicht. Bevor der Terror 2011 aus der Mitte der
       Gesellschaft ihr Land heimgesucht hat, beschäftigte sie sich auch mit
       islamistischen Attentätern. Gleichgültig, welches Motiv den Mörder von
       Kongsberg antrieb, einen zweiter Anders Behring Breivik sei aus ihrer Sicht
       nicht am Werk gewesen, so Fatland. „Die Tat scheint mir nicht so sorgfältig
       geplant, wie es damals Breivik getan hat.“
       
       Dass diesmal eine beschauliche Kleinstadt das Ziel war und nicht wie 2011
       das Stadtzentrum von Oslo und die für Norwegens Sozialdemokratie als
       Versammlungsort so historisch bedeutsame Insel Utøya, bezeichnet sie als
       „Schock“. Die Norweger hätten nach 2011 entschieden, sich ihr Selbstbild
       als friedliche Nation zu bewahren, meint Fatland. Bis auf Poller in der
       Innenstadt von Oslo findet sich tatsächlich wenig von dem, was in anderen
       europäischen Ländern zur Abwehr von Terrorgefahren längst alltäglich
       geworden ist.
       
       ## Zwei Utøya-Überlebende sind MinisterInnen
       
       Norwegens neuer Regierungschef reagierte nun umgehend auf die aktuelle
       Entwicklung und teilte mit, er werde sofort zusammen mit seiner
       Justizministerin die Arbeit in Sachen der Kongsberg-Tat aufnehmen. Die
       28-jährige Emilie Enger Mehl ist das jüngste Kabinettsmitglied der
       sozialdemokratisch-liberalen Regierung und zugleich die bislang jüngste
       norwegische Justizministerin. Sie werde „in ihrem jungen Alter“ gleich mit
       einer schweren Aufgabe konfrontiert, sagte Gahr Støre: „Aber wir sind
       überzeugt, dass wir mit ihr eine visionäre und energische Politikerin
       haben, die dem gewachsen ist.“
       
       Enger Mehl ist eine der zehn Ministerinnen im achtzehnköpfigen Kabinett.
       Mit dieser Zusammensetzung besteht eine norwegische Regierung erstmals aus
       mehr Frauen als Männern. Er sei bei allem traurigen Hintergrund, den der
       Tag mit sich gebracht habe, „stolz über diese Mannschaft“, erklärte Gahr
       Støre und betonte auch, dass zehn Jahre nach dem 22. Juli 2011 nun mit der
       33-jährigen Bildungsministerin Tonje Brenna und dem 35-jährigen
       Wirtschaftsminister Jan Christian Vestre erstmals zwei Überlebende der
       Terrortat auf Utøya norwegische MinisterInnen geworden seien: „Menschen,
       die unser Land politisch aufbauen. Die ihr Leben der Politik gewidmet
       haben. Und die für uns alle eine Inspiration für unsere Aufgabe sind.“
       
       14 Oct 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.pst.no/alle-artikler/pressemeldinger/hendelsene-i-kongsberg-onsdag-13.-oktober/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Reinhard Wolff
       
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