# taz.de -- Wagenknechts Impfskepsis: Das laute Schweigen der Linken
       
       > Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht gibt sich offen impfskeptisch. Das
       > Problem ist aber nicht sie, sondern die fehlende Gegenstrategie der
       > Partei.
       
 (IMG) Bild: Impfskeptikerin Sahra Wagenknecht
       
       Es ist erhellend, wenn Sahra Wagenknecht und Karl Lauterbach übers Thema
       Impfen streiten. Am Sonntag zählte Wagenknecht bei Anne Will bekannte
       Zweifel auf: neue Impfstoffe, unerforschte Nebenwirkungen, Impfdurchbrüche
       und ja, auch Geimpfte können das Virus weitergeben. Letzteres führte sie zu
       der steilen These, dass Impfen keineswegs ein Akt der Solidarität sei,
       sondern eine individuelle Entscheidung, bei der es in erster Linie um
       Selbstschutz gehe. Lauterbach hörte geduldig zu, nur ein Räuspern nach
       sechs Minuten zeigte seine Ungeduld, und konterte mit Fakten: Bis zu sechs
       Monate nach der Impfung sind Geimpfte sehr wohl weniger ansteckend, die
       Viruslast zwar hoch, aber weniger lebendig und die Zeit der Infektiosität
       kürzer.
       
       Man war danach klüger. Alles gut? Mitnichten. Denn da diskutierten nicht
       nur zwei Repräsentat:innen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen,
       die eine ungeimpft und skeptisch, der andere geimpft und aufklärend. Beide
       sind auch Vertreter:innen ihrer jeweiligen Parteien: Wagenknecht ist
       die [1][prominenteste Politikerin der Linken], Mitglied des Bundestages,
       sie führte die Landesliste der NRW-Linken im Wahlkampf an. Lauterbach ist
       SPD-Gesundheitsexperte, möglicherweise bald Gesundheitsminister.
       
       Natürlich darf Wagenknecht ihre private Impfskepsis öffentlich äußern, sie
       spricht sicher vielen Menschen aus der Seele. Doch warum widerspricht ihr
       niemand aus [2][der eigenen Partei], und kontert Halbwissen, ins
       verschwörungstheoretisch abgleitende Andeutungen – Long Covid vielleicht
       doch nicht so schlimm – mit Fakten? Wieso ist die meist zitierte
       Linkenpolitikerin, die sich in Talkshows zum Thema Corona äußert, nicht mal
       selbst geimpft und streut Zweifel? In einer Zeit, in der die
       Impfbereitschaft stagniert und die Inzidenzen in die Höhe schnellen.
       
       Einfache Antwort. Die Medien sind schuld. Die laden Wagenknecht in jede
       Talkshow ein und sie nimmt das gerne an. So funktionieren Talkshows nun
       mal, prominente Politiker:innen, die der Parteilinie widersprechen, sorgen
       für Aufmerksamkeit.
       
       ## Wer spricht für die Linke?
       
       [3][Der Linken fehlt] eine Gegenstrategie. Keine ranghohe
       Linkenpolitiker:in wagt es, Wagenknecht öffentlich Paroli zu bieten,
       obwohl die Mehrheit der Partei ganz anders tickt. „Ich will und werde
       Wagenknecht nicht mehr erklären“, sagt die Parteivorsitzende Susanne
       Hennig-Wellsow, die doppelt geimpft ist, am Montag auf den Auftritt
       angesprochen. In der Linkspartei gilt: Eine Debatte um Wagenknecht führt
       nur zu Streit, den man vermeiden will.
       
       Die Linke ist mit 4,9 Prozent nur noch [4][mit Ach und Krach] in den
       Bundestag eingezogen, also: Bitte bloß kein Krach! Falsch. Viele Menschen
       fragen sich, wer derzeit eigentlich für die Linke spricht. Wagenknecht, die
       vorm Impfen warnt. Oder Fraktionschef Dietmar Bartsch, der auch aus Gründen
       der Solidarität fürs Impfen wirbt – aber nicht direkt auf Wagenknecht
       rekurriert.
       
       Es ist schon absurd, dass sich Marx’ Schüler:innen ausgerechnet bei
       Wagenknecht dem Widerspruch und dem Prinzip dialektischer Aufklärung
       entziehen.
       
       Noch absurder ist es, zu einer öffentlichen Diskussion zu schweigen, wenn
       auch mit dem Argument, die Position der Partei sei bekannt. Die Linke ist
       bei Corona so vorsichtig, dass auf der Wahlparty das Prinzip 2G plus Test
       galt, weshalb Wagenknecht, selbst wenn sie gewollt hätte, nicht hätte
       kommen können. Die Parteipositionen zu ignorieren, macht offenbar noch
       bekannter.
       
       ## Böse Langzeitfolgen für die Partei
       
       Das Problem der Linken geht noch tiefer. Die Versorgungsmentalität in der
       Partei hat dazu geführt, dass die Landeslisten für die Bundestagswahl mit
       Altvorderen besetzt wurden und Jüngere und ausgewiesene Fachleute erst auf
       den hinteren Plätzen auftauchten. Die Folge: Aufgrund des miserablen
       Wahlergebnisses stellt die Linke nun die zweitälteste Fraktion im Bundestag
       und es fehlt an Expertise.
       
       Der Gesundheitsexperte Achim Kessler – nun gut, auch den kannte kaum jemand
       – ist nicht mehr vertreten, aber auch Staatsrechtler, Klimapolitiker und
       Finanzexpert:innen gehören der Fraktion nicht mehr an.
       
       Die Linke hat derzeit kaum präsentables Personal, das bei Sachthemen
       überzeugend auftreten kann. Die Kombination aus wenig Widerspruch und wenig
       Leuten kann für die Linke ziemlich böse Langzeitfolgen haben.
       
       1 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
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