# taz.de -- Beziehungen zu Russland: Mit Putin auf Augenhöhe
       
       > Eine einseitig auf Konfrontation setzende Politik gegenüber Russland ist
       > nicht erfolgreich. Was es braucht, ist ein neuer Ansatz in der
       > Rüstungskontrolle.
       
 (IMG) Bild: Die Chancen für Dialog, Zusammenarbeit und Entspannung müssen aktiv ausgelotet werden
       
       Die Außenpolitik hat in den bisherigen Debatten zur Bildung einer neuen
       Bundesregierung nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Dabei sind die
       wachsenden außen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen
       unverkennbar. Die Beziehungen zu Russland geben dabei Anlass zu besonderer
       Besorgnis.
       
       Die [1][Schließung der russischen Vertretung] bei der Nato am 1. November
       ist ein vorläufiger Tiefpunkt. Eine friedensgefährdende
       Konfrontationsspirale muss aufgehalten werden. Hier gilt es, dass sich
       Deutschland und das westliche Bündnis der bei Überwindung des Kalten Kriegs
       gemachten Erfahrungen erinnern und diese beherzigen.
       
       Erstens: Eine einseitig auf Konfrontation setzende Politik gegenüber
       Russland ist nicht erfolgreich. Die Kritik an der von Russland verfolgten
       autokratischen, demokratiefeindlichen und menschenverachtenden Politik
       sowie an den russischen Interventionen in der Ukraine ist zwar richtig,
       darf aber nicht zur Destabilisierung der militärpolitischen Lage zwischen
       Nato und Russland führen.
       
       Eine allein auf Abschreckung und Ausgrenzung setzende westliche Politik
       wird Russland nicht zu einer Umkehr bewegen; vielmehr fördert sie eine
       aggressive russische Politik der Selbstbehauptung und Aufrüstung mit dem
       Ziel der Anerkennung als Großmacht auf Augenhöhe und Wahrung des eigenen
       geopolitischen Einflussbereichs.
       
       ## Ausgrenzung allein führt zu nichts
       
       Stattdessen müssen die Chancen für Dialog, Zusammenarbeit und Entspannung
       aktiv ausgelotet werden. Der sicherheitspolitische Dialog braucht
       konstruktive Substanz und darf sich nicht in wechselseitigen Anklagen
       erschöpfen. Zu diesem Zweck sollten unnötige Provokationen wie die Drohung
       mit einer raschen Nato-Erweiterung um die Ukraine und Georgien
       unterbleiben. Ein wesentliches Interesse sollte einem Neuansatz in der
       Rüstungskontrolle gelten.
       
       Die USA tragen wesentlich die Mitverantwortung dafür, dass für die
       europäische Sicherheit zentrale rüstungskontrollpolitische Vereinbarungen
       in den letzten 20 Jahren „abgeräumt“ wurden. Das darin zum Ausdruck
       kommende ignorante Überlegenheitsdenken ist unter den Bedingungen einer
       veränderten Sicherheitslage heute mehr denn je untragbar.
       
       Zweitens: Dialog, Zusammenarbeit und Entspannung sind Teil des seit 1967 in
       der Nato geltenden „[2][Harmel-Berichts]“. Darin geht es zum einen um eine
       ausreichend abschreckende militärische Stärke, zum anderen um Beziehungen
       zu den Staaten des Warschauer Pakts, die Voraussetzung sind, um politische
       Fragen friedlich zu lösen.
       
       Darum muss es jetzt ein besonderes Anliegen sein, die eklatanten
       Ausrüstungs- und Fähigkeitsdefizite der Bundeswehr nachhaltig zu beheben
       und insbesondere das konventionelle Abschreckungsdispositiv der Nato zu
       stärken. Die Verteidigungsausgaben sollten sich an konkreten
       Fähigkeitszielen und unseren Beiträgen zur Nato-Streitkräfteplanung
       orientieren, die unserem Gewicht im Bündnis entsprechen.
       
       ## Ausrüstungsdefizite der Bundeswehr beheben
       
       Dazu gehört der im Bündnis vereinbarte Anteil der [3][Verteidigungsausgaben
       von 2 Prozent am Bruttoinlandsprodukt]. Dies sind wir nicht nur der
       Allianz, sondern auch den deutschen Soldaten schuldig. Die
       Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit des im Harmel-Konzept verankerten
       sicherheitspolitischen Doppelansatzes sollte der neuen Bundesregierung ein
       zentrales Anliegen sein.
       
       Hierzu bedarf es einer proaktiven Sicherheitspolitik, um im engen
       Schulterschluss mit den europäischen Partnern den Eskalationsrisiken im
       Verhältnis zu Russland wirksam begegnen zu können. Die im Sondierungspapier
       von [4][SPD, Grünen und FDP] postulierte „Wertebasierung“ der Außenpolitik
       darf dabei nicht zum Hindernis für eine stärker kooperativ ausgerichtete
       Sicherheitspolitik gegenüber Russland sein.
       
       Die Feststellung von Egon Bahr ist weiterhin gültig: „Es gibt keine
       Stabilität in Europa ohne die Beteiligung und Einbindung Russlands.“
       Aktuelle Diskussionen unter den Partnern einer möglichen Ampelkoalition
       über einen Ausstieg aus der nuklearen Teilhabe, die Bewaffnung von Drohnen
       und Konsequenzen der von einer neuen Bundesregierung anvisierten finanz-
       und klimapolitischen Prioritäten für den Verteidigungshaushalt ziehen
       unsere sicherheitspolitische Verlässlichkeit in Zweifel und schmälern
       unsere Gestaltungs- und Handlungsfähigkeit.
       
       So würde auch die im Sondierungspapier ins Auge gefasste
       Abrüstungsoffensive eine Schimäre bleiben, sollte Deutschland nicht bereit
       sein, das Notwendige für die Verteidigung zu leisten. Dies wäre angesichts
       des offensichtlich gegebenen rüstungskontrollpolitischen Handlungsbedarfs
       mehr als nur bedauerlich.
       
       In der aktuell kritischen sicherheitspolitischen Lage und im Blick auf das
       ca. 10-fach größere russische Potenzial an nicht-strategischen Atomwaffen
       in Europa ist ein klares Bekenntnis Deutschlands zur Fortsetzung der
       nuklearen Teilhabe erforderlich. Würde diese in Frage gestellt, so würde
       dies nicht nur von der großen Mehrzahl der europäischen Partner nicht
       verstanden; es würde auch die strategische Kopplung Europas an die USA,
       unser Einfluss auf die nukleare Planung des Bündnisses sowie die
       Bündnisfähigkeit Deutschlands untergraben.
       
       Wir haben gleichwohl ein Interesse daran, dass die nicht-strategischen
       Nuklearwaffen Russlands und der Nato in die amerikanisch-russischen
       [5][NewSTART-Abrüstungsgespräche] einbezogen werden. Die neue Akzentuierung
       der Atomwaffen in den Verteidigungspolitiken der Nato und Russlands muss
       zurückgedrängt werden. Das erfordert allerdings hinreichende konventionelle
       Verteidigungsfähigkeit der Nato und einen neuen rüstungskontrollpolitischen
       Impuls.
       
       Vordringlich ist vor allem militärische Vertrauensbildung, darunter
       insbesondere praktische Maßnahmen der Risikoreduzierung, Transparenz und
       Rüstungskontrolle an der Kontaktlinie zwischen Nato und Russland in
       Osteuropa. Die neue Bundesregierung sollte hierzu konkrete Vorschläge
       entwickeln.
       
       12 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Nato-und-Russland/!5810304
 (DIR) [2] https://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1992_2_2_haftendorn.pdf
 (DIR) [3] /Militaerausgaben-und-Nato-Interessen/!5725892
 (DIR) [4] /Rot-gruen-gelbe-Sondierungen-beendet/!5805657
 (DIR) [5] /Ruestungskontrolle-und-Atomwaffen/!5695923
       
       ## AUTOREN
       
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