# taz.de -- Wohnraum für wohnungslose Frauen: „Größer als man von außen denkt“
       
       > In Kiel bauen eine Wohlfahrtsorganisation und das Studierendenwerk Tiny
       > Houses für wohnungslose Frauen. Zwei Häuser sind schon bezogen.
       
 (IMG) Bild: Zwei als Tiny Houses umgebaute Container stehen auf dem Gelände des Studentenwerks in Kiel
       
       KIEL taz | Sonnengelb leuchtet die Eingangstür zu Annikas (Nachname der
       Redaktion bekannt) neuer Behausung. Die 30-Jährige war wohnungslos, nun
       lebt sie in einem Tiny House nahe der Universität Kiel, gegenüber von einem
       zweiten Häuschen, das die Studentin Merethe (19) bezogen hat. Hinter dem
       Projekt stecken das Studierendenwerk und die diakonischen
       [1][Wohlfahrtsorganisation stadt.mission.mensch]. Sie wollen zeigen, wie
       viele Facetten Wohnungslosigkeit hat.
       
       Rechts ein Schlafzimmer mit Bett und Schrank, links das Wohnzimmer mit
       Küchenecke: „Größer als man von außen denkt, und für mich vollkommen
       ausreichend“, sagt Annika über ihr Häuschen. Es besteht aus zwei
       Containern, genau wie das Haus von Merethe gegenüber.
       
       Die Möbel gehören zur Ausstattung, von Annika stammen die Bilder, die an
       den Wänden hängen oder in Arbeit sind – auf einer Staffelei steht ein
       Ölgemälde, auf dem kleinen Schreibtisch, der vor dem Fenster steht, liegt
       die Bleistiftzeichnung dreier Kinder, eine Auftragsarbeit. Platz und vor
       allem Ruhe, um ihre Existenz als freie Künstlerin aufzubauen, hatte Annika
       sich gewünscht – und schon nach einem Monat im eigenen Haus laufe es gut
       an, sagt sie.
       
       Ein Krankheitsfall in der Familie hatte ihr Leben durcheinander gebracht.
       Statt nach ihrem Studium – Kunst und Musikgeschichte – ihre Karriere
       aufzubauen, kümmerte sie sich um ihre Mutter. Am Ende eines langen Weges
       fanden sich beide in einer Unterkunft der stadt.mission.mensch wieder. Dort
       den Kopf frei zu bekommen, um zu malen, sei fast unmöglich gewesen, sagt
       sie. „Aber jetzt bin ich wieder da, wo ich damals aufgebrochen bin, nur mit
       mehr Erfahrungen und reifer.“
       
       ## „Mein Häuschen finden alle toll“
       
       Ihre Nachbarin Merethe studiert im dritten Semester Politik und
       Sprachwissenschaften, sie hatte in Kiel keine bezahlbare Wohnung gefunden
       und sich für das Tiny House beworben. Es sei gut, endlich am Studienort zu
       leben, berichtet die Studentin, die aus der Kleinstadt Bad Bramstedt
       stammt. „Und mein Häuschen finden alle toll.“
       
       Rund 1.200 Menschen sind in Kiel ohne Wohnung, rund 50 leben auf der
       Straße. Hinzu kommen rund 1.000 Studierende, die auf der Warteliste für
       einen Wohnheimplatz stehen. „Ja, zwei Häuschen sind da ein Tropfen auf dem
       heißen Stein“, sagt Karin Helmer, Geschäftsführerin der
       stadt.mission.mensch. „Doch 1.200 ist nur eine Zahl, und hinter jeder
       Ziffer steht ein Mensch.“ Das gemeinnützige Unternehmen betreut
       Hilfsbedürftige, darunter psychisch Kranke, Straffällige und Wohnungslose.
       Für Frauen, die kein Dach über dem Kopf haben, gibt es eigene
       Beratungsstellen und Unterkünfte.
       
       Gewalt und Armut führen oft dazu, dass Frauen ihre Wohnung verlieren. Auf
       der Straße landen sie selten, sie „schlafen bei jemandem, und es besteht
       die Gefahr, dass daraus Beischlaf wird“, berichtet Helmer. Um die
       Betroffenen vor solchen Übergriffen zu schützen, wünscht sie sich
       „Wohnraum, Wohnraum, Wohnraum“ –, und hat daher gemeinsam mit dem
       Studierendenwerk das House-Projekt angestoßen. Zahlreiche Spender*innen
       waren beteiligt, angefangen beim Land Schleswig-Holstein, das die Container
       stiftete, über Architekt*innen und Handwerker*innen bis zu einem
       Möbelhaus, das die Einrichtung spendierte.
       
       Das Projekt solle „ausstrahlen und etwas in Bewegung bringen“, wünscht sich
       Helmer. „Wir sind dankbar, wenn Vermieter eine Mitverantwortung zeigen und
       bewusst auch Menschen aufnehmen, die vielleicht keine perfekte Schufa
       haben.“
       
       In den Tiny Houses dürfen die jeweiligen Mieterinnen, die rund 300 Euro
       monatlich zahlen, bis zu eineinhalb Jahren bleiben. Annika will die Chance
       nutzen: „Ich hatte immer ein Ziel, und ich werde die Zeit nicht
       verstreichen lassen.“
       
       4 Dec 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.stadtmission-mensch.de/aktuelles/tinyhouse.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Esther Geißlinger
       
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