# taz.de -- Kritik anlässlich des Welttoilettentags: Nächstes Klo in 60 Kilometern
       
       > Pflegebedürftige Behinderte können Klos im öffentlichen Raum oft nicht
       > nutzen: In Niedersachsen gibt es gerade mal zehn „Toiletten für alle“.
       
 (IMG) Bild: Klassische Behindertenklos bieten Platz – aber keine Möglichkeit, Inkontinenzvorlagen zu wechseln
       
       BREMEN taz | Manchmal kommt ein Stück Freiheit dazu: Den Zoo können Anke
       Mill und ihre Tochter Madeline seit einigen Monaten wieder besuchen, und
       jetzt auch so richtig, mit Elefanten und Kängurus, mit Urwaldhaus und
       Unterwasserwelt, mit Eisbärenfütterung und Eisessen – kurz: mit richtig
       viel Zeit. Denn der Zoo Hannover hat seit Juni eine Pflegetoilette
       eingerichtet, die Madeline auch nutzen kann.
       
       Vorher waren Besuche auf zwei Stunden beschränkt, schließlich “Mit einer
       vollen Windel im Rolli zu sitzen ist sehr unangenehm“, sagt Mill, die sich
       im [1][Selbsthilfeverein „IntensivKinder“] für die Belange ihrer schwer
       pflegebedürftigen erwachsenen Tochter einsetzt.
       
       „Behindertentoiletten“ gibt es häufiger; gemeint ist meist ein Raum ohne
       Barrieren, mit Haltegriff neben dem Klo und Platz, so dass auch ein
       mittelgroßer Rollstuhl rangieren kann. Doch diese Toiletten sind nicht für
       alle Behinderten nutzbar. Einige brauchen einen Lifter, um einen sicheren
       Transfer zwischen Rollstuhl und Klo zu gewährleisten. Und zahlreiche
       Schwerbehinderte, die sich nicht selbst zielgerichtet bewegen können und
       Pflege benötigen, nutzen statt einer Toilette Katheter und
       Inkontinenzvorlagen – eine Art Windel für Erwachsene.
       
       Um die Vorlage zu wechseln, muss die betroffene Person normalerweise
       liegen. Im Notfall behelfen sich die Behinderten und ihre Pflegepersonen
       mit dem Fußboden. „Aber das ist natürlich alles andere als hygienisch“,
       kritisiert die Behindertenbeauftragte der Region Hannover, Sylvia Thiel.
       Für viele ist es abseits von Würde und Ekel auch gar keine Option:
       Spastisch gelähmte Menschen, oder schlicht eher schwere Menschen können
       nicht einfach ohne Hilfsmittel aus dem Rollstuhl auf den Boden gehievt
       werden und zurück.
       
       ## Es gibt nur eine Handvoll „Toiletten für alle“
       
       Zum Welttoilettentag am 19. November setzen sich die Beauftragten für
       Menschen mit Behinderungen der Region Hannover und der Stadt Hannover sowie
       der Verein IntensivKinder Niedersachsen deshalb für ‚Toiletten für alle‘
       ein. Verstanden werden darunter Behindertentoiletten, ausgestattet mit noch
       etwas mehr Raum, mit Toilette und Liege und einem manuellen Lifter. Auch
       ein höhenverstellbares Waschbecken kann sinnvollerweise noch Teil einer
       solchen Sanitäranlage sein.
       
       Im Flächenland Niedersachsen kennt das Projekt,Toiletten für alle' von der
       Stiftung Leben pur [2][nur zehn solcher öffentlicher Pflegetoiletten,]
       allein sechs davon in Hannover. Wer gerade in Vechta unterwegs ist, hat die
       Wahl, ob er lieber die 60 Kilometer bis nach Osnabrück oder bis nach
       Oldenburg fahren will. Von Göttingen aus sind die Wege bis zum nächsten Klo
       noch einmal deutlich weiter.
       
       Damit steht Niedersachsen nicht einmal besonders schlecht da: In
       Baden-Württemberg und Bayern sieht es zwar deutlich besser aus, in allen
       anderen Bundesländern aber gibt es null bis einen Eintrag für öffentliche
       Pflegetoiletten.
       
       ## Ganz langsam entsteht ein Bewusstsein
       
       Bei Bau und Anschaffung von Lifter und Liege fallen Kosten an – Mill
       spricht von 20.000 bis 30.000 Euro -, im Unterhalt aber sind die
       behindertengerechten Toiletten laut Thiel nicht teurer als andere auch.
       Eher schon scheitert es am Platz. „Dass wir demnächst überall,Toiletten für
       alle‘ einführen, halte ich für unrealistisch“, sagt sie denn auch.
       
       Ein paar mehr dürften es aber schon sein. „Ohne,Toiletten für alle' ist für
       Betroffene keine Freizeitplanung und dadurch auch keine Teilhabe möglich“,
       mahnt die Behindertenbeauftragte. Immerhin: Aktuell gibt es Pläne für die
       Umsetzung am Flughafen Hannover. Und in Neustadt am Rübenberge setzt sich
       die ehrenamtliche Behindertenbeauftragte der Stadt dafür ein, dass beim
       Neubau des dortigen Rathauses eine Pflegebedarfstoilette entsteht.
       
       Der vielleicht drängendste [3][Handlungsbedarf aber könnte an Schulen]
       herrschen: „Dort wünsche ich mir entsprechende Klos kompromisslos“, so
       Thiel. „Inklusion scheitert viel zu oft noch an räumlichen Gegebenheiten.“
       
       ## Bauordnung sticht Teilhabe – noch
       
       In den Bauordnungen der Länder sind Pflegetoiletten noch nicht vorgesehen,
       „leider“, sagt Anke Mill. Ansprüche stellt sie aber nicht, sondern gibt
       sich bescheiden und lobt stattdessen, dass seit drei Jahren überhaupt erste
       nutzbare Toiletten für ihre Tochter im öffentlichen Raum entstehen. „Das
       ist doch toll. Damit können wir endlich am Leben teilnehmen.“ Gerade ist
       der Verein IntensivKinder dabei, mit Freizeitparks Gespräche zu führen.
       
       Dabei könnten sie und ihre Tochter, ihre Mitstreiter*innen und deren
       Kinder, durchaus Ansprüche stellen. Denn wenn man das Recht auf Teilhabe,
       das sich aus der UN-Behindertenrechtskonvention ergibt, ernst nimmt, müsste
       die Teilhabe auch durch Klos ermöglicht werden. „Viele Menschen denken, es
       gibt gar nicht so viele schwer Behinderte. Dabei sehen sie sie nur nicht“,
       so Thiel. „Und das liegt daran, dass sie nicht unterwegs sind. Weil es
       unterwegs zum Beispiel keine Toiletten gibt.“
       
       19 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://intensivkinder-niedersachsen.de/
 (DIR) [2] https://www.toiletten-fuer-alle.de/wo-wie/nc.html
 (DIR) [3] /Inklusions-Alltag-an-Schulen/!5205316
       
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