# taz.de -- Roter Teppich für die „Bild“: Boulevard der Albträume
       
       > „Hürriyet“ und „Bild“-Zeitung haben viel gemein. Hinter beiden Medien
       > stehen mächtige, quasi staatstragende Konzerne. Ein wahrer Abgrund.
       
 (IMG) Bild: Habeck und Baerbock auf dem roten Teppich zur „Bild“-Spendengala „Ein Herz für Kinder“ am 4.12
       
       2006 hat sich die Springer-Verlagsgruppe beim größten türkischen
       Medienkonzern Doğan (dazu gehört als Flaggschiff die [1][Boulevardzeitung
       Hürriyet]) eingekauft. 2018 wurden die Anteile wieder abgestoßen. Zuvor
       waren die Hauptanteile des Medienhauses an den Unternehmer Demirören
       verkauft worden.
       
       Einen Mann, den Staatspräsident Erdoğan telefonisch ausschimpfen und zum
       Weinen bringen konnte. Die Springer-AG kassierte seinerzeit eine
       dreistellige Millionensumme. Und ihr Vorstandsvorsitzender [2][Mathias
       Döpfner] war traurig: „Ein außerordentlich bedauernswertes Zeichen für den
       Journalismus in der Türkei“. Heute setzen die gleichgeschalteten Medien um,
       was die Herrschenden einfordern: Die Wirklichkeit verzerren,
       Inflationsraten und Covid-Infektionszahlen senken, Bösewichte konstruieren
       und die Herrschenden rühmen.
       
       Als Gegenleistung gibt es gewaltige staatliche Bauaufträge (Autobahnen,
       Flughäfen, Brücken) und die Chefredakteure dürfen sogar im türkischen
       Präsidentenjet mitfliegen.
       
       ## Die guten, bösen alten Zeiten
       
       In den guten alten Zeiten, als sich der Axel-Springer-Konzern bei der
       Doğan-Gruppe einkaufte – war Hürriyet noch Staat im Staat, um dessen Gunst
       Politiker buhlten. Das Boulevardblatt brachte Minister zu Fall und stürzte
       türkische Regierungen. Doch der Umstand, dass Hürriyet nicht unmittelbarer
       Erfüllungsgehilfe der Regierung war, machte sie nicht besser.
       Journalistisches Ethos wurde mit Füßen getreten, Menschenleben wurden
       zerstört.
       
       Die Ermordung des kurdischen Menschenrechtsaktivisten und Vorsitzenden der
       Anwaltskammer der Stadt Diyarbakir, Tahir Elçi, folgte unmittelbar der
       Medienkampange in Hürriyet, in welcher Elçi als „Terrorist“ denunziert
       wurde.
       
       An die guten alten Zeiten der Hürriyet erinnerte ich mich anlässlich der
       Spendengala „Ein Herz für Kinder“, die Bild veranstaltet. Nicht der
       Vergangenheit von Bild wegen. Nicht wegen den Schüssen auf Rudi Dutschke,
       nachdem dieser im Boulevard als Bösewicht dargestellt wurde, nicht wegen
       der Hetzkampagne gegen den Schriftsteller Heinrich Böll wegen seines Romans
       „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“.
       
       ## Gewehr bei Fuß
       
       Die Politik stand damals Gewehr bei Fuß, um die Bild-Zeitung zu verteidigen
       und Böll in die Nähe des Terrorismus zu rücken. So tat es auch der
       CDU-Politiker und spätere Bundespräsident Karl Carstens. Er hatte Bölls
       Roman zwar nicht gelesen, wusste aber, dass das Boulevardblatt gegen
       terroristische Schriftsteller verteidigt werden müsse.
       
       Auch der Investigativjournalist [3][Günter Wallraff], der das Binnenleben
       von Bild aufdeckte und dafür verleumdet wurde, ist Vergangenheit.
       Vergangenheit ist auch CDU-Politiker Christian Wulff, der vom
       Bundespräsidentenamt zurücktreten musste, weil er es sich mit der
       Bild-Zeitung verscherzt hatte.
       
       Nein, wir sind in der Gegenwart. Und aktuell sind Olaf Scholz, Annalena
       Baerbock und Robert Habeck gemeinsam mit Mathias Döpfner bei einer Charity.
       Jener Döpfner, von dem wir wissen, dass er den Zustand des Journalismus in
       der Türkei bedauert und auch große Gefahren für Deutschland sieht. Just am
       Tag der Gala wurden in Bild die Wissenschaftler:Innen Dirk Brokmann,
       Viola Priesemann und Michael Meyer-Hermann als „Die Lockdown-Macher“ (so
       die Schlagzeile auf Seite eins) denunziert.
       
       ## Fackelzug von Coronaleugnern
       
       Nur wenige Stunden zuvor war ein Fackelzug von Coronaleugnern vor dem Haus
       von Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) aufmarschiert.
       Scholz, Baerbock und Habeck dürfen auf dem roten Teppich gute Miene zum
       bösen Spiel machen.
       
       Dabei ist Deutschland ein ordentliches Land. Es gibt sogar ein
       DZI-Gütesiegel für Spenden, welches belegt, dass eine Organisation mit den
       ihr anvertrauten Geldern sorgfältig und verantwortungsvoll umgeht. Hunderte
       Spendensammler:Innen sind bei DZI gelistet. Große, wie DRK und Unicef
       Deutschland, und kleine, wie „die Kinderhilfe Kaliningrad“. Aber, die
       Charity „Ein Herz für Kinder“ von Bild fehlt in der Liste. Das Blatt habe
       auf Nachfragen nie reagiert, erklärt die DZI.*
       
       Doch wer Kanzler und Minister:Innen in seiner Nähe hat, die sich auf
       den roten Teppich der Bild-Zeitung freuen, der braucht sich um so etwas
       nicht zu scheren.
       
       *Dazu möchte Christian Senft, Director Communications der Bild-Gruppe
       ergänzen: „Bild hilft e.V. „Ein Herz für Kinder“ ist Mitglied des Deutschen
       Spendenrates und hat das Siegel Geprüfte Transparenz“. Dem kommen wir
       hiermit gerne nach.
       
       13 Dec 2021
       
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