# taz.de -- Recycling gegen den Klimawandel: Diesel aus der Bratpfanne
       
       > Liu Shutong sammelt altes Speiseöl ein, damit es zu Biodiesel veredelt
       > werden kann. Damit löst der Chinese gleich zwei Probleme auf einmal.
       
 (IMG) Bild: Erst gut fürs Essen, dann für den Tank: Frittiertes auf dem Markt in Chengdu, Provinz Sichuan
       
       SCHANGHAI taz | Als Liu Shutong in der südchinesischen Provinz Jiangxi
       aufwuchs, sah er fast täglich in den Abendnachrichten die Meldungen über
       „Speiseöl-Banden“: organisierte Kriminelle, die das hochgiftige,
       verbrauchte Öl von Garküchen und aus der Kanalisation auflesen, es primitiv
       filtrieren und dann zu einem Bruchteil des Einkaufspreises wieder am Markt
       verkaufen. Zu Hochzeiten, so berichten es die Staatsmedien um die
       Jahrtausendwende, soll jeder zehnte Liter Speiseöl in China sogenanntes
       „Gossenöl“ gewesen sein: gesundheitsgefährdend und oftmals mit Fäkalien
       versetzt. Doch selbst die Androhung von Todesstrafen konnte das Problem
       nicht lösen, zu lukrativ war das gesundheitsgefährdende Geschäft.
       
       Fast zwei Jahrzehnte später musste Liu an jene Nachrichten zurückdenken,
       als er während seines Auslandsstudiums in den Niederlanden bei dem
       Energieriesen SkyNRG ein Praktikum absolvierte. Damals hatte die Firma
       gerade eine neue Entdeckung gemacht: Speiseöl ließe sich mit der richtigen
       Verarbeitung zu Treibstoff für Fahr- und Flugzeuge transformieren. Das
       Problem war nur, dass es den Niederländern damals an nachhaltigem Öl
       mangelte – denn das [1][Palmöl], welches damals verwendet wurde, machte
       allein schon aufgrund der Regenwaldrodungen sämtlichen Umweltnutzen
       zunichte.
       
       „Ich bin durch ganz Ostasien gereist, von Taiwan über Hongkong bis nach
       Japan und Südkorea. Was ich mich gefragt habe: Wieso sollen wir all diese
       wertvollen Ressourcen nach Europa verschiffen? China leidet unter hohen
       Emissionen. Wir wollen unser Speiseöl lokal sammeln, lokal konvertieren und
       lokal benutzen“, sagt Liu Shutong.
       
       Seine Geschäftsidee war geboren: In seinem Heimatland China gibt es
       schließlich Speiseöl zur Genüge. Abertausende Lokale, Restaurants und
       Straßenküchen verwenden davon jeden Tag Unmengen. „Öl und Treibstoff: Wieso
       kann man das nicht verbinden?“, dachte sich Liu damals. Es war der Moment,
       der sein Leben fortan prägen sollte.
       
       Wer den heute 34-jährigen Shutong in der boomenden Millionenmetropole
       Schanghai besucht, trifft auf einen eher untypischen Unternehmer: Statt
       Anzug trägt er ein funktionales Fleece-Shirt, seine Gestik strahlt
       Bescheidenheit aus, und jede Silbe wählt er mit Bedacht.
       
       Doch was der Chinese mit seinem Start-up MotionEco erreicht hat, wäre Grund
       genug für stolzes Pathos: In mehreren Millionenstädten hat Liu Shutong ein
       Händler-Netzwerk aus Scooter-Fahrern aufgebaut, die örtliche Restaurants
       abklappern und das verwendete Speiseöl aufsammeln. Dieses wird dann an
       lokale Energiefirmen weiterverkauft, wo sie das Material weiterverarbeiten
       und als Biodieselöl verwenden.
       
       ## Zwei Güterzüge Öl gesammelt
       
       Im letzten Jahr hat MotionEco allerdings nur bescheidene 2.000 Tonnen Öl
       eingesammelt, was etwa dem Gewicht von zwei Güterzügen entspricht. Doch
       angesichts eines riesigen Markts mit 1,4 Milliarden Chinesen und 120
       Millionenstädten mit unzähligen Restaurants ist das Potenzial riesig. Jeder
       Liter aufbereitetes Bioöl verbraucht in seiner Herstellung nur rund ein
       Zehntel an Schadstoffen im Vergleich zu herkömmlichem Treibstoff.
       
       Solche Graswurzel-Ideen sind überaus wichtig in einem Land, das in
       absoluten Zahlen längst der größte Klimasünder weltweit geworden ist. Der
       Aufstieg nach der ökonomischen Öffnung der Volksrepublik in den frühen
       1980er Jahren von bitterer Armut zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt
       war auch mit einem Raubbau an der Natur verbunden. Die großen Städte
       entlang der Ostküste litten in den letzten Jahren unter derart massiven
       Feinstaubwerten, dass die Aussicht aus dem eigenen Fenster oftmals einem
       apokalyptischen Science-Fiction-Filmset glich.
       
       Ein Blick auf die Statistiken ist ernüchternd: Seit über einem Jahrzehnt
       verbraucht China mehr Kohle als der Rest der Welt zusammen. Und der
       Energiehunger der Volksrepublik wird in den nächsten Jahren noch weiter
       massiv anwachsen: Aktuelle Berechnungen gehen davon aus, dass sich Chinas
       Primärenergieverbrauch bis 2040 verdoppeln könnte und dann ein Viertel des
       globalen Bedarfs ausmacht. Um die globalen Klimaziele zu erreichen, ist für
       die Weltgemeinschaft deshalb ein gemeinsames Vorgehen mit den Chinesen
       zwingend.
       
       Umso verärgerter zeigte man sich im Westen, als Staatschef [2][Xi Jinping]
       beim jüngsten Klimagipfel im britischen Glasgow gar nicht erst auftauchte.
       US-Präsident Joe Biden sprach von einem „Fehler“ – und drückte damit aus,
       was wohl die meisten anderen Staatschefs ebenfalls dachten.
       
       Doch gleichzeitig hat Xi in seiner Heimat den Wandel zu Nachhaltigkeit
       überhaupt erst auf die Agenda geholt. 2020 versprach er während einer
       Videoschalte vor den Vereinten Nationen, sein Land bis 2060 zur
       Schadstoffneutralität zu führen – eine Ankündigung, die international
       euphorisch aufgenommen wurde.
       
       Dennoch kommen seither aus der Volksrepublik höchst ambivalente
       umweltpolitische Signale. Zu den größten Klimasündern Chinas gehören die
       riesigen Ölkonzerne, die für sich genommen CO2-Bilanzen wie eigenständige
       Staaten haben. Sinopec und Petrochina belegen mit weit über 160 Millionen
       Tonnen CO2-Ausstoß pro Jahr die obersten zwei Plätze der größten
       Schadstoffemittenten unter allen öffentlich gehandelten Ölfirmen weltweit.
       
       Das hat nicht nur mit der absoluten Größe der Unternehmen zu tun, sondern
       vor allem auch damit, dass sie überproportional in den energieintensivsten
       Bereichen des Ölgeschäfts tätig sind – nämlich der Erforschung und
       Förderung neuer Felder sowie dem Betrieb von Raffinerien. Doch trotz der
       immensen Menge an Schadstoffen stellte die Parteiführung ihnen bisher stets
       eine Art Freifahrtschein aus, weil die Betriebe für die Energieversorgung
       des Landes eine zentrale Rolle einnehmen.
       
       In den letzten Monaten haben diese Energieriesen jedoch allesamt
       hochsymbolische Absichtserklärungen unterschrieben, gemeinsame
       Forschungsprojekte mit Universitäten aufgesetzt und neue
       Investitionsprojekte angekündigt. Der Präsident von Sinopec, Ma Yongsheng,
       versprach etwa Investitionen in Höhe von 4,6 Milliarden US-Dollar, um die
       Infrastruktur für Wasserstoffautos voranzutreiben. Petrochina-Vorstand Dai
       Houliang kündigte an, dass bis 2035 mindestens ein Drittel der
       Investitionsausgaben auf erneuerbare Energien fallen sollen. Doch Fakt
       bleibt: Chinas auf Exporten und Schwerindustrie beruhendes
       Wirtschaftsmodell ist auf lange Sicht nicht nachhaltig.
       
       Und doch vollzieht sich allmählich auch im Reich der Mitte längst ein
       Umdenken: Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet in China der weltweit
       größte Windpark steht, jede zweite Solarzelle verbaut wird und die
       Verkehrswende längst beschlossene Sache ist.
       
       Von den meisten Medien fast unbemerkt wendet sich Staatschef Xi Jinping
       seit letztem Jahr von strengen Wachstumszielen ab, die bisher auf die
       Kommastelle die ökonomische Expansion vorgaben. Mittlerweile propagiert der
       mächtigste Mann des Landes eine neue Entwicklungsstufe, in der es mehr um
       qualitatives statt rein quantitatives Wachstum geht. Zudem wird dieses neue
       Ziel ganzheitlicher aufgefasst: Zentral ist immer auch die Frage, wie
       nachhaltig das Wachstum ausfällt.
       
       ## „Jeder redet über erneuerbare Energien“
       
       Diese Signale sind längst an der Basis angekommen. Start-up-Gründer Liu
       Shutong sagt: „Mittlerweile redet jeder über erneuerbare Energien. Die
       Stimmung hat sich merklich geändert, die Leute kümmern sich mehr um
       Nachhaltigkeit.“ Und plötzlich wird der Kleinunternehmer, der zuvor von den
       mächtigen Kapitalgebern des Landes belächelt worden ist, in die
       Konferenzräume der großen Ölkonzerne des Landes gebeten, um sein
       Geschäftsmodell zu erläutern.
       
       Ob der Plan des Jungunternehmers aufgeht, ist nach wie vor offen. Doch das
       Beispiel Liu Shutong belegt, wie sehr Kooperationen in einer globalisierten
       Welt die Lösungssuche für eine bessere Zukunft befruchten. Liu sagt von
       sich selbst, dass er als Jugendlicher niemals auf die Idee gekommen wäre,
       dass man nicht unbedingt in einem Büro arbeiten und Buchhalter werden muss.
       Der Gedanke, dass es beispielsweise möglich ist, sein eigenes Start-up zu
       gründen, wäre ihm niemals gekommen, hätte er nicht ein Austauschsemester in
       San Francisco absolviert. „Die freie, liberale Atmosphäre dort hat mich
       inspiriert“, sagt Liu heute.
       
       Doch erst in Europa, wo seine Kommilitonen ständig über Nachhaltigkeit und
       Umweltbilanzen debattierten, kam er in Kontakt mit dem Thema der
       erneuerbaren Energien. Und für die Umsetzung eignet sich schließlich kein
       anderes Land der Welt besser als seine chinesische Heimat.
       
       16 Dec 2021
       
       ## LINKS
       
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