# taz.de -- Vorm Videogipfel von Biden und Putin: Ausflug in alte Zeiten
       
       > Washington und Moskau sind keine Weltenlenker mehr. Das heißt auch: Über
       > einen Beitritt zur Nato darf jedes Land selbst entscheiden – auch die
       > Ukraine.
       
 (IMG) Bild: Konferieren am Dienstag nur online: Wladimir Putin und Joe Biden (hier analog im Juni in Genf)
       
       Was ist das für eine Welt, in der erwachsene Menschen Hoffnung in ein
       Videogespräch zwischen einem ehemaligen sowjetischen KGB-Offizier mit
       Minderwertigkeitskomplex und einem 79-jährigen Präsidenten im ersten
       Amtsjahr setzen? Die Bedeutung des virtuellen Gipfels zwischen [1][Wladimir
       Putin und Joe Biden] besteht ausschließlich im Ereignis selbst.
       
       Für Putin geht es um die immer wieder neu gesuchte Bestätigung, dass er als
       Führer einer Weltmacht anerkannt wird; für Biden geht es darum, dass er
       nach [2][Kabul] wieder außenpolitisch Tritt fasst und nicht auch noch Kiew
       verliert, weil er nicht aufgepasst hat. Aber die Idee, Krisen auf der Welt
       per Telefonschalte zwischen Washington und Moskau zu lösen, ist ein
       hoffnungslos antiquierter Rückgriff in alte Zeiten – ebenso wie das
       russische Begehr, von den USA eine Zusage des Verzichts der Nato auf die
       Aufnahme weiterer Länder zu erwirken.
       
       Die Präsidenten Russlands und der USA verkörpern beide lediglich die
       Vergangenheit ihrer Länder, nicht die Zukunft, und schon gar nicht die
       Zukunft anderer Länder. Die Ära, wo die USA und die Sowjetunion die Welt
       unter sich aufteilten, ging in den Jahren ab 1989 unter und das ist gut so.
       Weder Russland noch die USA haben zu entscheiden, ob ein Land der Nato
       betritt oder nicht. Das entscheiden die Länder selbst – und die Nato als
       Ganzes.
       
       Nach dem Ende des Kalten Krieges fand ja nicht einfach eine
       „Nato-Osterweiterung“ statt, sondern die frisch der Sowjetdominanz
       entronnenen Länder Mittel- und Osteuropas beschlossen selbst aus freien
       Stücken, ihre Sicherheit durch den Beitritt zur Nato zu gewährleisten.
       
       Hätte die Nato das zurückgewiesen, wäre sie im alten
       Ost-West-Konfrontationsmuster verharrt, als alternder und zunehmend
       irrelevanter Klub des Westens mit vermutlich zunehmend instabilen und
       nationalistischen Nachbarn im Osten – ein Rezept für Dauerkonflikt in
       Europa. Es liegt auf der Hand, warum dieses Szenario Moskau lieber gewesen
       wäre, und es liegt ebenso auf der Hand, warum es für alle anderen
       inakzeptabel war.
       
       ## „Den Farbfilm vergessen, mein Wladimir“
       
       Nur die Nato schützt ehemalige Sowjetrepubliken vor dem zunehmend
       deutlichen Anspruch der Machthaber in Moskau, die Auflösung der Sowjetunion
       zumindest im Geiste rückgängig zu machen. Die drei baltischen Staaten
       Estland, Lettland und Litauen traten 2004 der Nato bei – und werden seitdem
       von Russland in Ruhe gelassen, trotz der großen russischen Minderheiten in
       ihren Bevölkerungen.
       
       [3][Georgien und die Ukraine] stellten daraufhin ebenfalls
       Beitrittsgesuche, wurden aber unter anderem auf Wunsch Deutschlands
       zurückgewiesen – und werden seitdem von Russland mit Dauerkrieg überzogen,
       mit Tausenden Toten und großem [4][Leid für Millionen Menschen], Abspaltung
       einzelner Territorien unter russischer Vorherrschaft und permanenter
       militärischer und politischer Destabilisierung.
       
       Kein Wunder, dass die [5][Ukraine] jetzt erst recht einen Beitritt zur Nato
       anstrebt und das sogar in ihre Verfassung aufgenommen hat. Soll man nun
       ernsthaft erwarten, dass Biden dies ausschließt oder gar die ukrainische
       Verfassung umschreiben lässt, um Putins Wünsche zu erfüllen? Wieso sollte
       die Ukraine sich darauf einlassen? Und wem sollte das Stabilität bringen?
       
       Man kann nur hoffen, dass wenigstens in Berlin eine neue Regierung eine
       neue Außenpolitik führt, die des 21. Jahrhunderts würdig ist. Das
       Selbstbestimmungsrecht souveräner Staaten sollte eigentlich zum
       Selbstverständnis des wiedervereinigten Deutschland gehören. Schade, dass
       Angela Merkel nicht die Chance nutzt, an ihrem mutmaßlich letzten Tag im
       Amt dieses historische Weltereignis zu moderieren und zur Einstimmung die
       Bundeswehr „Du hast den Farbfilm vergessen, mein Wladimir“ spielen zu
       lassen.
       
       7 Dec 2021
       
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