# taz.de -- WLAN in Hamburger Pflegeheimen: Senior*innen im Funkloch
       
       > Die Hälfte der über 74-Jährigen nutzt das Internet – in vielen Hamburger
       > Pflegeheimen gibt es aber keinen Zugang. Das zu ändern, dauert.
       
 (IMG) Bild: Mails checken, YouTube, Whatsapp: Für Klaus Obruzeit wäre es schwer, ohne WLAN zu leben
       
       HAMBURG taz | Ein Leben ohne Internet? Für Klaus Obruzeit wäre das nichts.
       Fast jeden Tag setzt er sich in den Ledersessel vor seinem Schreibpult,
       klappt seinen Laptop auf und tut, was man im Netz eben so tut:
       „Online-Banking. Die leidige Steuererklärung. Videogespräche mit Skype oder
       Jitsi. YouTube. Stinknormale E-Mails. Und natürlich Whatsapp.“
       
       Obruzeit ist 86 Jahre alt und Rentner. Mit seiner Frau lebt er im Hospital
       zum Heiligen Geist in Poppenbüttel, in einer Senior*innen-Wohnung. Rund
       1.200 Menschen sind dort zu Hause, nicht alle kommen wie Obruzeit ins
       Internet: Einige der Häuser mit stationärer Pflege haben kein WLAN.
       
       In Hamburg ist das keine Seltenheit. [1][Der WLAN-Ausbau in der Pflege
       gedeiht nur langsam.] Ein Problem, besonders in der Pandemie. Durch Omikron
       steigen die Infektionszahlen. Dass es wieder zu Besuchsverboten kommt, ist
       nicht ausgeschlossen. Schon jetzt, sagt Obruzeit, sei das Leben in der
       Anlage stiller geworden. Er zahlt sein Internet selbst, 30 Euro im Monat.
       Das Hospital spendiert Wohnungen wie seiner nur die Steckdose für den
       Router.
       
       „Das Internet ist wie ein Fenster zur Welt“, sagt Christa Möller-Metzger,
       Sprecherin für Senior*innenpolitik der Grünen Bürgerschaftsfraktion.
       SPD und Grüne haben deshalb im Juni einen Antrag an den Senat gestellt. Die
       Forderung: Pflegeeinrichtungen müssen ihren Bewohner*innen WLAN
       bereitstellen. Nicht nur in Gemeinschaftsräumen, sondern in jedem Zimmer.
       Kostenfrei. Bis Ende 2021 sollte die Sozialbehörde einen Gesetzesentwurf
       ausarbeiten. Das ist nicht geschehen.
       
       Möller-Metzger hat den Antrag mit angestoßen. Ihr Herzensthema sei das,
       sagt sie. „Die Pandemie hat uns gelehrt, wie wichtig die Digitalisierung
       für Teilhabe ist. Und dass Ältere oft davon ausgeschlossen sind.“
       
       Es ist nicht überraschend: Ältere Menschen nutzen das Internet weniger als
       jüngere. Das zeigen Daten des [2][Statistischen Bundesamtes] und des
       Deutschen Alterssurveys (DEAS). Sie zeigen aber auch: Jedes Jahr gehen mehr
       Senior*innen online. 2002 hatte laut DEAS bloß jede*r Hundertste der
       über 74-Jährigen einen Internetanschluss. 2017 war es jede*r Dritte, 2020
       jede*r Zweite.
       
       Wie gut Pflegeheime ihre Bewohner*innen mit der digitalen Welt
       verbinden, ist unklar. Bundesweit gibt es keine Bestandsaufnahme. [3][2018
       befragte die Online-Agentur pflegemarkt.com] 575 Heime in ganz Deutschland.
       Knapp ein Drittel gab an, WLAN anzubieten, in vier von fünf Fällen mussten
       die Bewohner*innen dafür selbst zahlen. Zum WLAN in den rund 150
       Einrichtungen in Hamburg hat die Sozialbehörde keine Daten.
       
       Ruft man in Hamburger Heimen an, hört man oft: Internet bräuchten die
       wenigsten Bewohner*innen. „Die haben so ein hohes Durchschnittsalter, mit
       WLAN haben die gar nichts am Hut“, sagt eine Pflegerin.
       
       Auch Klaus Obruzeit kennt viele im Hospital, die gut ohne Internet
       auskommen. „Die kennen das nicht, denen ist das zu kompliziert“, sagt er.
       Einige könne man aber auch begeistern: „Einer Nachbarin habe ich gezeigt,
       wie sie ihr Smartphone entsperrt, Whatsapp öffnet, Fotos schießt. Ihre
       Kinder hatten es ihr geschenkt, sie hat es nie benutzt. Heute ist sie kaum
       davon wegzukriegen.“
       
       Ältere Menschen würden oft unterschätzt, glaubt Christa Möller-Metzger.
       „Das liegt an unserem negativen Altersbild“, sagt sie. „Dabei muss man den
       Leuten das Internet einfach zeigen. Dann ist es eine Chance für sie.“
       
       ## Die Pflege wird digitaler
       
       Der Vorschlag, eine WLAN-Pflicht gesetzlich zu verankern, ist nicht neu.
       Schon 2017 forderte die Bundesarbeitsgemeinschaft der
       Senioren-Organisationen in einem Positionspapier: Heime sollten öffentliche
       Fördermittel nur noch im Gegenzug für freies WLAN erhalten. Und bereits im
       Oktober 2019 stellten SPD und Grüne einen Antrag an den Hamburger Senat.
       Nicht bei allen stieß der auf Verständnis. „Kleinteilig“ nannte ihn die
       CDU-Abgeordnete Birgit Stöver und sagte im Plenum: „Haben die
       Regierungsfraktionen nicht bedeutsamere Themen als WLAN in
       Pflegeeinrichtungen?“ Der Antrag wurde dennoch einstimmig angenommen. Dann
       passierte: nichts. Auch, weil Corona dazwischen kam.
       
       Uwe Clasen vom Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste vertritt
       über die Hälfte von Hamburgs Pflegeheimen. Er sagt: „Eine gesetzliche
       WLAN-Pflicht würde nichts ändern. Schließlich wollen wir selbst
       flächendeckendes Internet. Dazu muss man uns nicht zwingen.“ Nicht nur
       Senior*innen, sondern auch die Pflege wird digitaler. Seit einem Jahr gibt
       es beispielsweise elektronische Patient*innenakten. Um sie zu nutzen,
       brauchen Heime Internet – in allen Räumen.
       
       ## Kostspielige Umbauten
       
       Ältere Gebäude müssten dafür umgebaut werden, sagt Clasen. Im Extremfall
       hieße das: ganze Flügel schließen, Wände und Böden aufreißen, neue Kabel
       verlegen. Das kostet Geld. Der Bund stellt jeder Pflegeeinrichtung bis zu
       12.000 Euro bereit, einmalig, für die Digitalisierung. Clasen sagt: „Eine
       Anhebung dieser Höchstgrenze – die würde uns helfen.“
       
       Christa Möller-Metzger sieht das anders: „Die meisten Heime sind private
       Unternehmen, sie können Zuschüsse beantragen und müssen den Rest dann
       selbst hinkriegen. Für sie ist das ja auch ein Qualitätsmerkmal. Und meine
       Erfahrung hat mir einfach gezeigt: Ohne gesetzliche Verpflichtung passiert
       oft nicht genug.“ Für das erste Quartal 2022 habe die Sozialbehörde nun
       einen ersten Entwurf angekündigt, sagt Möller-Metzger. „Ein erster
       Schritt.“
       
       An die Wand hinter seinem Laptop hat Klaus Obruzeit einen Kalender gehängt,
       den Januar ziert eine Lindenallee. Obruzeit hat ihn selbst gestaltet und
       bestellt, online, mit Urlaubsfotos von Usedom. „Den mache ich schon seit
       Jahren“, sagt er. „Wenn ich in einem Heim ohne WLAN wäre: Ich würde es sehr
       vermissen.“
       
       10 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Petition-fuer-Wlan-in-Altenheimen/!5550432
 (DIR) [2] https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Einkommen-Konsum-Lebensbedingungen/_Grafik/_Interaktiv/it-nutzung-alter.html
 (DIR) [3] https://www.pflegemarkt.com/2018/09/14/wlan-studie-zahlen-pflegeheime-deutschland-2018/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anaïs Kaluza
       
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