# taz.de -- Begleitschutz auf Querdenken-Demos: Pressing für die Pressefreiheit
       
       > Immer wieder werden Journalist*innen in Sachsen angegriffen. Die
       > Initiative „Between the Lines“ bietet seit sechs Monaten Begleitschutz
       > an.
       
 (IMG) Bild: Leipzig am 6. November 2021
       
       Der Journalist Daniel Drepper schrieb kürzlich auf Twitter: „Es ist
       ziemlich unfassbar, dass Redaktionen in diesem Land mittlerweile wieder
       durch Polizeiketten geschützt werden müssen.“ Und [1][unter dem Hashtag
       #AusgebranntePresse] sammelten sich Erfahrungsberichte von
       Journalist*innen, die über die Gewalt berichten, die sie selbst in den
       vergangen Monaten vor allem auf Demonstrationen von Coronaleugner*innen
       erfahren mussten.
       
       „Wir haben gemerkt, dass das was mit Leuten macht, die Beschimpfungen, die
       Angriffe. Es macht was, man stumpft ab, nicht nur psychisch, sondern auch
       körperlich. Das macht was damit, ob Leute gerne ihren Beruf ausüben. [2][Es
       rechnen alle damit, blutend am Boden zu liegen.]“ Diese Sätze sagt Klemens
       Köhler ruhig, aber bestimmt. Wir sprechen via Zoom, ich nicke, ich weiß,
       was er meint: dass weder Polizei noch Auftraggeber*innen in der Lage
       sind, Reporter*innen zu schützen und dass es nicht nur am Willen,
       sondern an Infrastruktur fehlt.
       
       Klemens Köhler und Johannes Scholz, die beide in Dresden leben, haben es
       sich zur Aufgabe gemacht, Journalist*innen bei ihrer Arbeit zu
       beschützen. Beide haben Erfahrungen als Aktivisten, Köhler war selbst
       journalistisch tätig.
       
       Between the Lines hat keinen homogenen politischen Background. Die
       Initiative setzt sich aus Menschen zusammen, die schon viel mit extrem
       Rechten zu tun hatten. Man könne bei dieser Enthemmung und Eskalation wie
       sie Journalist*innen entgegenschlägt nicht einfach wegschauen.
       Gemeinsam sei allen schlicht der Wunsch, Ungerechtigkeiten zu begegnen.
       Letztendlich sei es eine Form der Zivilcourage, sich Angreifer*innen in
       den Weg zu stellen. Between the Lines existiert seit 2021 und bietet freien
       Journalist*innen seit sechs Monaten auf Demonstrationen Begleitschutz
       an. Ehrenamtlich, ohne Entgelt, anfangs nur zu zweit, mittlerweile hat die
       Initiative Mitstreiter*innen in ganz Sachsen.
       
       „Wir haben relativ schnell Menschen gefunden, die sich wirksam für
       Grundrechte wie die Pressefreiheit einsetzen und ihre ohnehin
       stattfindenden Demonstrationsbesuche sinnvoller gestalten wollten“, sagt
       Köhler. Anfangs boten sie den Begleitschutz nur direkt betroffenen
       Journalist*innen an, die bereits Gewalt auf Demonstrationen erfahren
       haben. Nun zeigen sie umfassender Präsenz, bieten ihre Leistungen auch
       öffentlich an. Das Angebot stieß schnell auf Nachfrage. Heute ist ihre
       Gruppe zehn bis 15 Menschen stark und verteilt sich auf mobile Teams in
       ganz Sachsen.
       
       Between the Lines begleitet Journalist*innen nicht, um ihnen in
       kämpferischer Manier den Weg freizuschubsen. Journalist*innen sollen
       den Kopf frei haben. „Meistens stehen wir einfach nur da“, sagt Klemens
       Köhler. „Grundsätzlich ist es unser Ziel, Abstand zwischen die Schutzperson
       und den Angreifer zu bringen. Wir sorgen dafür, dass sich
       Journalist*innen sicher aus gewaltvollen Situation zurückziehen können
       und Verletzungen vermeiden, bis die Polizei tätig wird. Wir vertreten eine
       defensive Grundhaltung“, so Köhler.
       
       Angreifer festzuhalten und der Polizei zu übergeben, das leistet der Verein
       nicht. Anfangs habe die Serviceleistung nicht so sehr darin bestanden,
       physische Angriffe abzuwehren, sondern Belastungssituationen für
       Journalisten abzufedern, sodass diese nicht noch für ihre eigene Sicherheit
       sorgen müssen. Dies habe sich nun aber geändert.
       
       ## Sachsen ist das Bundesland mit den meisten Angriffen
       
       War Kampfsporterfahrung der Begleitpersonen zu Beginn keine Voraussetzung,
       hat man sich bei Between the Lines nun dazu entschlossen, dass kein Team
       mehr ohne eine kampfsporterfahrene Person eine Begleitung durchführt. Die
       physische Abwehr gehört nun zu jedem Einsatz, so Klemens Köhler.
       
       Wer aus der Gruppe welche Einsätze begleitet, wird für jeden Anlass
       individuell entschieden. Wer neu ist, wird vorbereitet und mindestens
       einmal auf eine Begleitung mitgenommen.
       
       Journalist*innen werden im Zweierteam begleitet. Mindestens einer der
       Begleiter*innen muss das Gefahrenpotenzial der Demonstration bereits
       erlebt haben. Gemeinsame Einsatzziele sprechen die Begleitpersonen mit den
       Journalist*innen vorher ab. Man orientiere sich dabei an den
       Bedürfnissen derer, die vom Demonstrationsgeschehen berichten. Köhler
       appelliert hier auch an die Eigenverantwortung: „Natürlich müssen auch
       Medienschaffende wissen, wo ihre Grenzen liegen. Wir können da im Grunde
       nur beraten und letztlich auch anhand unseres eigenen Sicherheitsempfindens
       Maß nehmen.“
       
       Der Fokus der Arbeit von Between the Lines liegt auf Sachsen. „Gerade auch
       die Kleinstadtberichterstattung, die ja in Sachsen besonders heikel ist,
       versuchen wir zu schützen“, so Köhler. „Sicher haben es die Kolleg*innen
       in den kleineren Städten häufig schwerer, weil sie in der Region bekannt
       sind und dann auch sehr rasch persönlich zumindest verbal angegriffen und
       bedroht werden. Gerade Lokaljournalist*innen sind hier oft auf sich
       gestellt“, sagt Jörg Aberger, Vorsitzender des ehrenamtlichen Vorstands der
       Fachgruppe Medien/Deutsche Journalistinnen im Landesbezirk Sachsen von
       Verdi.
       
       Den Schutzbedarf, von Journalist*innen in solchen Situationen sieht
       auch er: „Tatsächlich ist die Arbeit für Journalist*innen in Sachsen
       gefährlicher geworden.“ 2020 bilanzierte das Leipziger Europäische Zentrum
       für Presse und Medienfreiheit (ECPMF), das Angriffen auf die Presse
       nachgeht, Sachsen sei das Kernland pressefeindlicher Angriffe.
       
       Über den gesamten Erfassungszeitraum, also seit 2015, ist Sachsen das
       Bundesland mit den meisten Angriffen. Insgesamt 69 von 182 Fällen wurden
       dort erfasst. Was 2015 mit Pegida begann, setzt sich nun in einer Vielzahl
       von Coronaleugner*innen-Demos fort. In Sachsen gab es 2020 und 2021 die
       meisten Angriffe auf Journalist*innen. 71 Prozent der Angriffe auf
       Journalist*innen gingen laut ECPMF von Demonstrationen im Zusammenhang
       mit der Coronapandemie aus.
       
       ## Narrativ „Lügenpresse“
       
       „Mit Pegida wurde eher gesprochen, die Bewegung wurde nicht ausgegrenzt.
       Dadurch entstanden ein Anspruchsdenken und die Wahrnehmung, im Recht zu
       sein. Dies wirkt sich auf die Atmosphäre der Demos in Sachsen aus“, so
       Johannes Scholz über die Hintergründe der Gewalt gegenüber
       Journalist*innen. Das Narrativ einer vermeintlichen Lügenpresse habe das
       Gefahrenpotenzial für Journalist*innen noch einmal verstärkt.
       
       Probleme sehen Köhler und Scholz auch im Vorgehen der Polizei. „Oft werden
       rechte Demos in letzter Zeit polizeilich viel schwächer begleitet.
       Journalist*innen werden in dieser Gemengelage oft als die leichter zu
       kontrollierende Gruppe wahrgenommen. Das führt eben dazu, dass Beamte
       oftmals dazu übergehen, Journalist*innen in ihrer Arbeit eher zu
       behindern als zu beschützen.“
       
       Jörg Aberger von Verdi sagt: „Natürlich muss die Polizei Medienschaffenden
       ihre ungestörte Arbeit ermöglichen und sie gegen Angriffe schützen.“
       Fraglich sei aus seiner Sicht, wie das umfassend geschehen kann. „Es kann
       sicher nicht jeder und jedem ein Polizist oder eine Polizistin zum
       individuellen Schutz zur Seite gestellt werden. Zudem bin ich auch schon
       mit dem Vorwurf konfrontiert worden, wir würden sozusagen [3][‚embedded
       journalism‘], betreiben, wenn wir uns auf eine gute Zusammenarbeit mit der
       Polizei stützen.“
       
       Der Vorwurf des durch die Exekutive institutionell geschützten und damit
       unkritischen Journalismus lässt aufhorchen, ist es doch gerade die Aufgabe
       der Polizei, Pressevertreter*innen zu schützen. Die Akzeptanz der
       Polizei gegenüber den ehrenamtlichen Pressebegleiter*innen sei
       zwiegespalten, so Köhler. Man müsse sich darauf verlassen, dass
       Polizist*innen kooperativ seien. Die Rechtslage dahingehend sei nicht
       eindeutig. Grundsätzlich hänge es vom Wohlwollen der einzelnen Beamten ab,
       ob auch Begleitschützer*innen seitens der Beamten durchgelassen
       werden. Eins bleibt die Lage in jedem Fall: schwierig.
       
       14 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /AusgebranntePresse/!5824602
 (DIR) [2] /Gewalt-gegen-JournalistInnen/!5724074
 (DIR) [3] https://www.deutschejournalistenakademie.de/journalismus-lexikon/embedded-journalism/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jessica Ramczik
       
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