# taz.de -- Konzert von Fehler Kuti und die Polizei: Wenn Rollen kollidieren
       
       > Am Donnerstag spielte die Münchner Diskursband Fehler Kuti und die
       > Polizei im Berliner HAU. Trotz Coronabedingungen war es eindrucksvoll.
       
 (IMG) Bild: Fehler Kuti und die Polizei. Im Hintergrund das historische Foto der Mutter und ihrer Kinder
       
       Im Saal ist es fast so still wie bei einer Anhörung vor Gericht. Wird wem
       der Prozess gemacht? Oder müssen wir uns an gedämpftes Gemurmel gewöhnen,
       bevor Konzerte unter Pandemiebedingungen starten?
       
       Im Schachbrettmuster sitzen zu müssen, mit Mundschutz, jeweils versetzt
       zwischen leeren Stühlen, die mit Klebeband abgesperrt sind, steigert nicht
       gerade das Vergnügen. Zuschaueranzahl und Bewegungsradius der Zugelassenen
       bleiben ohnehin eingeschränkt. Erschwerte Bedingungen also, am
       Donnerstagabend im halbleeren großen Saal des HAU in Berlin, als die
       Münchner Band [1][Fehler Kuti] und die Polizei aufspielt.
       
       „The History of the Federal Republic of Germany as told by Fehler Kuti und
       die Polizei“ steht auf einem weißen Banner über der Bühne, drunter ein
       vergrößertes altes Foto, eine Frau, möglicherweise Mutter, mit zwei Kindern
       im Arm, eines davon schwarz. Dazu später mehr.
       
       ## Deutsche Pässe, deutsche Pässe
       
       Zuerst betritt die Polizei den Saal. Fünf Musiker:Innen deckungsgleich
       in braunen Hosen und beigen Hemden chanten Acappella-Vokale. Dann skandiert
       Percussionist Sascha Schwegeler in harter Diktion: „Deutsche Pässe,
       deutsche Pässe, deutsche Pässe“ und Sänger Fehler Kuti alias Julian Warner
       kegelt dazu auf die Bühne wie ein Brummkreisel. Allmählich setzt die Band
       ein, angetrieben von Drummer (und Notwist-Mastermind) [2][Markus Acher],
       der meist Tempo und Takt vorgibt, steigen Tubistin und Saxofonistin Theresa
       Loibl, Bassist und Saxofonist Tobias Siegert und Keyboarderin Sachiko Hara
       ein.
       
       Warner arbeitet auch als Kulturanthropologe und Kurator für
       Theater(festivals). Immer wieder meldet er sich zu Themen wie
       Identitätspolitik zu Wort. In dem von ihm herausgegeben Band „After Europe.
       Beiträge zur dekolonialen Kritik“ schreibt er etwa darüber, beim Thema
       Rassismus „spezifische historische und geografische Situationen zu
       erfassen“, aber nicht in Glaubenssätzen, die losgelöst von Raum und Zeit
       entstehen. Sehr reflektiert klingt das, aber auch selbstkritischer als der
       identitätspolitische Diskurs, der Schwarzsein oftmals mit Viktimisierung
       gleichsetzt. Warner erwähnt seine privilegierte Position als Akademiker
       immer mit.
       
       Zaudern und Nicht-Einverstandensein finden ihren Weg auf die Bühne, wenn er
       singt, schwingt viel mehr mit und seine Rolle als Entertainer kollidiert
       mit der als Wissenschaftler und Regisseur. Dann ächzt es zuweilen unter der
       Diskurslast. Mal hält Fehler Kuti einen kurzen Monolog, erzählt eine
       persönliche Anekdote, bevor die Musik einsetzt und manchmal wirkt er dabei
       noch unschlüssig, sucht erst nach der Bestimmung.
       
       ## Angriffslustige Grundstimmung
       
       Unruhe, angriffslustige Grundstimmung, eingebettet in Jazz- und
       Groove-basierten Songarrangements kennzeichnen die Atmosphäre auf den
       bisher veröffentlichten Alben „Schland is the Place for me“ (2019) und
       „Professional People“ (2021). Race und Class und ihre Debatte in
       Deutschland sind die wiederkehrenden Themen in Fehler Kutis Texten, der
       schon im Künstlernamen die Fallstricke und Irrtümer in der Bezugnahme auf
       den internationalen (stark anglo-amerikanisch geprägten) Diskurs spiegelt,
       der sich auch in die Popsphäre übertragen hat.
       
       „On MTV the cool boys/In private more than paranoid/This transatlantic
       ideology/Will end most violently“ singt Warner in dem Song “Transatlantic
       Ideology“. Mehr überzeugen allerdings die Steeldrums, kongenial von Sascha
       Schwegeler bedient, leicht windschief tönend, aber auffrischend.
       
       Manchmal wirkt die Polizei am Donnerstag in ihrem Agieren noch zu verzagt.
       Um nicht den Flow von Frontmann Fehler Kuti zu unterbrechen, zwingen sich
       die Musiker:Innen zur Zurückhaltung. Obwohl es die Songs eigentlich
       zulassen würden, fehlt es an an der unangestrengten Performance. Nur, weil
       die Welt eine ungerechte ist, muss ein Song darüber nicht hemmen. Wenn
       Fehler Kuti einmal ablässt, mit in die Musik einsteigt und Synthesizer
       spielt, klingt es sofort runder. Vielleicht liegt es auch an der
       Klangdynamik im Saal? Einzelne Instrumente setzen sich nur schwer durch.
       
       ## Vorgeschichte im Rheinland
       
       Schwarze Geschichte in Deutschland sei ein Scherbenhaufen, erklärt Warner
       irgendwann und zeigt auf das Bühnenbild. Das Foto von einer Frau und ihren
       beiden Kindern stamme aus den frühen 1920er Jahren. Es sei Sinnbild der
       „schwarzen Schmach“ genannten Besetzung des Rheinlands durch die
       französische Armee. Schwarze Soldaten aus den Kolonien waren dabei im
       Einsatz. Und die Kinder, die sie mit deutschen Frauen gezeugt haben,
       sogenannte „Rheinland Bastarde“ seien lange vor der NS-Zeit
       zwangssterilisiert worden. Das ist eine Vorgeschichte der „History of the
       Federal Republic of Germany“, aber auch sie sollte nicht vergessen werden.
       
       „1,2,3,4,5,6,7, all Ausländer go to Heaven“ treibt Warner seine Band dann
       an. Zuvor erzählt Warner, wie er von der Münchner Polizei daran gehindert
       wurde, Fotos von einer migrantischen Besetzung am zentralen
       [3][Sendlinger-Tor-Platz] zu machen. Als der Platz schließlich geräumt
       wurde, hingen noch Kleidungsstücke in den Bäumen. Dann stimmt Sachiko Hara
       eine wunderbare Melodie auf der Melodika an, die Band setzt ein, es wirkt
       für einen kurzem Moment beschwingt, fast heiter. Raus in die eiskalte
       Nacht.
       
       7 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [3] https://www.muenchenwiki.de/wiki/Sendlinger-Tor-Platz
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julian Weber
       
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