# taz.de -- Unruhen in Kasachstan: Mehr als 4.400 Festnahmen
       
       > Die Lage in Kasachstan bleibt unübersichtlich. Präsident Tokajew sorgt
       > mit seinem Schießbefehl für Eskalation und telefoniert mit Wladimir
       > Putin.
       
 (IMG) Bild: Bewaffnete Bereitschaftspolizisten halten einen Demonstranten in Kasachstan fest
       
       NUR-SULTAN dpa/rtr/afp | Bei den seit Tagen andauernden beispiellosen
       Unruhen in Kasachstan sind nach staatlichen Angaben bislang insgesamt mehr
       als 4.400 Menschen festgenommen worden. Das berichtete das Staatsfernsehen
       am Samstag unter Berufung auf das Innenministerium des zentralasiatischen
       Landes. Der Präsident der autoritär geführten Republik, Kassym-Schomart
       Tokajew, ordnete einen Tag Staatstrauer an. Am Montag solle „der vielen
       Opfer der tragischen Ereignisse in einigen Landesteilen“ gedacht werden,
       berichteten mehrere kasachische Staatsmedien am Samstag.
       
       Die Behörden zählten bislang insgesamt mehr als 40 Tote, darunter auch
       Sicherheitskräfte. Befürchtet wird jedoch, dass die Zahl – vor allem der
       zivilen Todesopfer – viel höher sein könnte: Bereits seit Tagen wird
       Militär gegen Demonstranten eingesetzt, und Präsident Tokajew hat den
       Schießbefehl erteilt. In der Millionenstadt Almaty, die von den Unruhen
       besonders erschüttert wurde, sollen die so genannten Anti-Terror-Einsätze
       weiterhin laufen, hieß es in unabhängigen kasachischen Nachrichtenkanälen.
       
       ## Kasachstans Präsident entlässt Vize-Sekretär des Sicherheitsrats
       
       Inmitten schwerer Unruhen baut Kasachstans Präsident Kassym-Schomart
       Tokajew die autoritäre Staatsführung weiter um. Am Samstag entließ er den
       stellvertretenden Sekretär des einflussreichen Sicherheitsrates, Asamat
       Abdymomunow, wie das kasachische Staatsfernsehen berichtete. Tokajew hatte
       zuvor bereits seinem Vorgänger, dem ersten kasachischen Präsidenten
       Nursultan Nasarbajew, den mit großer Machtfülle ausgestatteten Vorsitz in
       dem Gremium entzogen – und ihn selbst übernommen. Abdymomunow war Angaben
       des Präsidialamtes zufolge vor mehr als sechs Jahren von Nasarbajew zum
       Vize-Sekretär ernannt worden.
       
       Der 81 Jahre alte Nasarbajew – der politische Ziehvater Tokajews – galt
       auch nach seinem Rücktritt im Jahr 2019 als mächtigster Mann in Kasachstan.
       Einige Experten argumentieren, dass Tokajew die aktuelle Krise nutze, um
       sich mehr Einfluss zu sichern. So ersetzte der 68-Jährige auch die
       Geheimdienstführung durch eigene Vertraute. Ex-Geheimdienstchef Karim
       Massimow wurde wegen Hochverrats festgenommen, wie am Samstag bekannt
       wurde. In der vergangenen Woche hatte Tokajew bereits die gesamte Regierung
       entlassen.
       
       Kasachstan, das an Russland und China grenzt, erlebt seit Tagen die
       schwersten Ausschreitungen seit Jahren. Unmut über gestiegene
       Treibstoffpreise an den Tankstellen schlug in vielerorts friedliche, aber
       teils auch gewaltsame Proteste gegen die Staatsführung um. Tokajew
       verhängte den Ausnahmezustand und bat ein von Russland geführtes
       Militärbündnis um Hilfe. Vor [1][allem sein Schießbefehl gegen
       Demonstranten] sorgte international für Entsetzen.
       
       ## Ex-Machthaber Nursultan Nasarbajew weiterhin im Land
       
       Kasachstans einflussreicher Ex-Langzeit-Machthaber Nursultan Nasarbajew hat
       seine Heimat einem Sprecher zufolge trotz der Unruhen nicht verlassen. „Der
       Führer der Nation hält sich in Kasachstans Hauptstadt Nur-Sultan auf“,
       schrieb Ajdos Ukibaj am Samstag auf Twitter. Zuvor hatte es Gerüchte
       gegeben, der 81-Jährige habe Kasachstan verlassen, nachdem sein Nachfolger,
       Präsident Kassym-Schomart Tokajew, ihm den Posten als Chef des
       einflussreichen Sicherheitsrats entzogen hatte. Nasarbajew stehe in
       direktem Kontakt zu Tokajew, schrieb Ukibaj. Der 2019 zurückgetretene
       Ex-Präsident gilt als der eigentlich starke Mann in der autoritär geführten
       Ex-Sowjetrepublik.
       
       Der kasachische Inlandsgeheimdienst gab am Samstag bekannt, dass sein
       früherer Chef, Karim Massimow, wegen des Verdachts auf Hochverrat
       festgenommen wurde. Tokajew hatte Massimow den Posten am Donnerstag
       entzogen – ebenfalls im Zuge der Proteste. Der Präsident wirft den
       Sicherheitsorganen vor, nicht im Vorfeld auf angeblich von außen gesteuerte
       „Terroristen“ aufmerksam geworden zu sein, die nun an den Ausschreitungen
       beteiligt seien.
       
       In der Millionenstadt Almaty im Südosten, wo die Lage besonders dramatisch
       und unübersichtlich ist, erhielten unterdessen nicht dringend benötigte
       Mitarbeiter des US-Generalkonsulats die Erlaubnis, freiwillig auszureisen,
       wie das US-Außenministerium mitteilte.
       
       ## Putin und Tokajew beraten über „Wiederherstellung der Ordnung“
       
       Russlands Präsident Wladimir Putin und sein kasachischer Kollege
       Kassym-Schomart Tokajew haben sich über die Krise in Kasachstan
       ausgetauscht. Die Staatschefs hätten in einem „langen“ Telefongespräch
       „über Maßnahmen zur Wiederherstellung der Ordnung“ gesprochen, teilte der
       Kreml am Samstag mit. Die russische Regierung kritisierte zudem eine
       Äußerung von US-Außenminister Antony Blinken im Zusammenhang mit der
       Entsendung von „Friedenstruppen“ nach Kasachstan als „rüpelhaft“.
       
       Tokajew habe Putin darüber informiert, dass sich die Lage im Land „in
       Richtung einer Stabilisierung entwickelt“, hieß es in der Mitteilung. Der
       kasachische Präsident habe der Organisation des Vertrags über kollektive
       Sicherheit (OVKS) und „insbesondere“ Russland für seine Hilfe gedankt. Das
       von Russland angeführte [2][Militärbündnis OVKS] hatte am Donnerstag
       angesichts der Krise „Friedenstruppen“ nach Kasachstan entsandt.
       
       US-Außenminister Blinken hatte deshalb am Freitag gewarnt, dass es für
       Kasachstan jetzt schwierig sein werde, den russischen Einfluss
       zurückzudrängen. „Ich denke, eine Lehre aus der jüngsten Geschichte ist,
       dass es manchmal sehr schwierig ist, die Russen wieder loszuwerden, wenn
       sie erst einmal in deinem Haus sind“, sagte er.
       
       Das russische Außenministerium kritisierte diese Äußerung am Samstag
       scharf. „US-Außenminister Antony Blinken hat versucht, einen lustigen
       Scherz über die tragischen Ereignisse in Kasachstan zu machen“, erklärte
       das Ministerium auf Facebook. „Ein rüpelhafter Versuch, aber auch nicht
       sein erster.“
       
       Damit habe er „eine völlig legitime Reaktion“ der OVKS „lächerlich“
       gemacht. „Wenn Antony Blinken so sehr an Geschichtslektionen interessiert
       ist, dann fällt einem eine ein: Wenn Amerikaner in deinem Haus sind, kann
       es schwierig sein, am Leben zu bleiben und nicht ausgeraubt oder
       vergewaltigt zu werden“, erklärte das Außenministerium und verwies auf die
       amerikanischen Ureinwohner, Korea, Vietnam und Syrien.
       
       ## Bundesregierung stoppt Rüstungsexporte nach Kasachstan
       
       Angesichts des gewaltsamen Konflikts in Kasachstan hat die Bundesregierung
       die Ausfuhr von Rüstungsgütern in das Land untersagt. Nach Information der
       Nachrichtenagentur AFP vom Samstag wurde ein Exportstopp verhängt. Zwar sei
       der Wert der Rüstungsexportgenehmigungen nach Kasachstan gering, der
       Exportstopp sei aber angesichts der Lage geboten, hieß es. Im vergangenen
       Jahr waren 25 Genehmigungen mit einem Gesamtwert von rund 2,2 Millionen
       Euro erteilt worden.
       
       8 Jan 2022
       
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