# taz.de -- Unruhen in Kasachstan: Schlechtes Timing für den Kreml
       
       > Russland kommt der Aufstand in seinem Nachbarland sehr ungelegen.
       > Reflexartig wird eine US-Verschwörung unterstellt.
       
 (IMG) Bild: Demonstranten auf einem LKW im kasachischen Almaty
       
       MOSKAU taz | Russische Kommentatoren bezeichnen den gewaltsamen Aufstand in
       Kasachstan als „Smuta“, ein Ausdruck, der die Wirren im Russland des
       ausgehenden 16. Jahrhunderts beschreibt. Die Verantwortlichen dafür sind in
       Russlands staatlichen Medien schnell gefunden: Es sind die USA, die fast
       schon reflexartig für jede Art von Protest im postsowjetischen Raum genannt
       werden. Diese finanzierten schließlich die meisten ausländischen
       Nichtregierungsorganisationen im Land.
       
       Der Unmut ist allerdings hausgemacht. Kasachstan ist reich an Öl und Gas,
       doch dieser Reichtum kommt bei vielen Menschen nicht an. Die Preise, nicht
       nur für Flüssiggas, waren zuletzt stark angestiegen, viele Jüngere sehen
       kaum Perspektiven im Land. Ventile, die Unzufriedenheit loszuwerden, fehlen
       im autoritär geführten Kasachstan. Der Langzeitherrscher Nursultan
       Nasarbajew hat stets die Fäden im Hintergrund gezogen. Auch nachdem er mit
       Kassym-Schomart Tokajew einen Nachfolger installiert hatte.
       
       Russlands Präsident Wladimir Putin hat Nasarbajew, dem „Führer der Nation“
       (kasachisch: Elbassy), stets Anerkennung zukommen lassen. Tokajew hingegen
       hat er zuletzt kaum noch erwähnt. Nun stürzen die Nasarbajew-Statuen im
       Land und Tokajew macht sich selbst zum Chef des Sicherheitsrats – eine
       heftige Degradierung Nasarbajews. „Die Schizophrenie der Doppelmacht in
       Kasachstan hat ein Ende“, sagt der russische Politologe [1][Arkadi Dubnow
       vom Moskauer Carnegie-Zentrum] dazu.
       
       Für Russland, das derzeit in staatlichen Ferien weilt, kommt die Krise bei
       seinem engen Verbündeten Kasachstan zu einem ungünstigen Zeitpunkt. An der
       Grenze zur Ukraine hat Moskau Truppen zusammengezogen und bedroht das
       Nachbarland, während es vehement Sicherheitsgarantien vom Westen
       einfordert. Kreml-loyale Beobachter sehen in den Protesten in Kasachstan
       eine Verschwörung: Der [2][Westen wolle damit Russland zu Zugeständnissen]
       zwingen, raunen sie.
       
       ## Souverän und wirtschaftsstark
       
       Kasachstan ist mit Russland in der Eurasischen Wirtschaftsunion vereint.
       Ebenfalls sind beide Länder Partner im von Russland ins Leben gerufenen
       Militärbündnis, der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit
       (ODKB). Tokajew hat die ODKB, die eigentlich bei Bedrohung von außen
       eingreifen sollte, angerufen und erklärte den Bündnisfall dadurch, dass die
       Unruhen in seinem Land einem terroristischen Angriff von außen gleichkämen.
       Russland schickt Soldaten als Friedenstruppen nach Kasachstan – und könnte
       dadurch mehr Einfluss im Land bekommen.
       
       Bereits 2014 hatte Putin bei einem seiner Auftritte davon gesprochen, dass
       Kasachstan Teil der „großen russischen Welt“ sei und nie eine eigenständige
       Staatlichkeit gehabt habe. Erst Nasarbajew habe diese geschaffen. Es war
       auch stets Nasarbajew, der trotz der Partnerschaft eine Distanz zu Moskau
       zu pflegen versuchte und es auch schaffte, weil sein Land – im Gegensatz
       zur Ukraine zum Beispiel – wirtschaftlich stark war.
       
       ## „Apokalypse für autoritäre Autokraten“
       
       Auch der [3][Ukraine spricht der Kreml die Staatlichkeit ab]. Zudem leben
       vor allem im Norden Kasachstans viele ethnische Russen. Diese könnte Moskau
       durch die Unruhen bedroht sehen und vorgeblich retten wollen. Ohnehin
       betrachtet Russland den kasachischen Norden historisch als russisches
       Territorium.
       
       Die heftigen Auseinandersetzungen in Kasachstans Städten führen dem Kreml
       vor allem auch vor Augen, dass der [4][Machtübergang von Nasarbajew zu
       Tokajew] nicht als der Erfolg gesehen werden kann, den der Kreml stets als
       solchen wahrnahm. Putin selbst hat seine Nachfolge noch nicht geregelt.
       
       Das, was in Kasachstan passiere, so sagt Politologe Dubnow, sei eine
       „Apokalypse für autoritäre Autokraten“.
       
       6 Jan 2022
       
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