# taz.de -- Dokufilm über kurdische Polizistinnen: Märtyrerinnen für den Feminismus
       
       > Der Dokumentarfilm „The Other Side of the River“ begleitet eine kurdische
       > Polizistin. Sie kämpft in der Stadt Manbidsch für ein autonomes Leben.
       
 (IMG) Bild: Gehört zur Ausbildung der Polizistinnen an der Militärakademie: Frauen tarnen sich mit Matsch
       
       „Sie verkaufen dich, ohne mit der Wimper zu zucken“, hört man die Kurdin
       Hala sagen. Sie sitzt im Gras, ein Gewehr klemmt unter ihrem linken Arm. Im
       Hintergrund ist ein Stacheldrahtzaun zu sehen. Hala erzählt gerade, wie ihr
       Vater sie mit 19 Jahren an einen Freund der Familie verkaufen wollte. Eines
       Tages kam sie nach Hause und die beiden Männer standen im Wohnzimmer. Geld
       lag auf dem Tisch und ihr Vater sagte zu ihr: „Das ist dein Verlobter.“
       
       Hala wusste damals nicht, ob sie weinen oder lachen sollte. Sie flieht und
       schließt sich der Militärakademie in [1][Rojava in Westkurdistan] an. Dort
       beginnt der Dokumentarfilm „The Other Side of the River“ von Antonia
       Kilian. Ihr Langfilmdebüt ist ein bewegendes Porträt der 21-jährigen Hala,
       die dafür kämpft, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
       
       Im Jahr 2016 verschlug es die Regisseurin in die syrische Stadt Manbidsch,
       die kurz zuvor durch kurdische Truppen vom „Islamischen Staat“ befreit
       wurde. Manbidsch liegt in Rojava, einem autonomen kurdischen Gebiet in
       Syrien, das versucht, ein basisdemokratisches System mit einer progressiven
       Frauenpolitik aufzubauen. Antonia Kilian wollte diesen Wandel begleiten und
       mehr über die Frauenbewegung erfahren. In Manbidsch lernt sie Hala kennen.
       Sie ist fasziniert von ihrer eigenwilligen, entschlossenen Art und
       begleitet sie für ein Jahr mit ihrer Kamera.
       
       Diese Langzeitbeobachtung macht den Film besonders: So verfolgt man Halas
       Ausbildung an der Militärakademie, sieht, wie sie im Anschluss als
       Polizistin in Manbidsch arbeitet. Und immer wieder kommt es zu Konflikten
       mit ihrer Familie, die Halas Entscheidung nicht akzeptieren will.
       
       Der Film zeigt keine perfekt inszenierten Aufnahmen: So fährt man in
       wackeligen Einstellungen mit im Bus, manchmal sieht man Soldatinnen aus dem
       Selfie-Winkel patrouillieren oder man beobachtet ein Familientreffen mit
       einer GoPro-Kamera. Das lässt den Film authentisch und nah an Halas Leben
       erzählt wirken. Die Filmemacherin hält sich dabei meist raus, sie ist reine
       Beobachterin, nur ab und zu ist ihre Stimme aus dem Off zu hören, um Szenen
       zu verknüpfen.
       
       ## Gegen ihren Willen verheiratet
       
       So sitzt man etwa mit Halas Familie in ihrem spärlich eingerichteten Haus.
       Halas Geschwister spielen mit einer Katze und man hört ihren Vater
       schimpfen: „Seit 18 Monaten bringt Hala Schande über uns.“ Ihre Mutter
       sitzt nur schweigend daneben. Mithilfe ihrer Stelle als Polizistin möchte
       Hala ihre jüngeren Schwestern zu sich holen. Denn diese sollen, wie Hala
       damals, gegen ihren Willen verheiratet werden.
       
       Diese Diskrepanz zwischen Halas Wunsch nach mehr Selbstbestimmung und ihrer
       alltäglichen Realität verleiht dem Film eine leise Spannung, die sich
       dadurch entlädt, dass eine von Halas Schwestern tatsächlich
       zwangsverheiratet wird.
       
       Im Kontrast zur Familie steht das Leben in der Militärakademie: Es ist eine
       Gruppe von etwa sechzig [2][Frauen, alle tragen khakifarbene Militärhosen],
       manche tragen ein Kopftuch, andere nicht. Man begleitet sie zu
       Militärübungen, bei denen sie am Boden liegend einen Angriff imitieren. Man
       beobachtet, wie sie lernen, mit Gewehren zu schießen, und abends in einem
       Klassenzimmer Vorträge zu Feminismus und Freiheit hören.
       
       Wenn man sieht, wie Hala als Polizistin Frauen in Manbidsch hilft, versteht
       man, wie sie in dieser Funktion ein selbstbestimmteres Leben führen kann.
       Doch die rein beobachtende und kommentarlose Haltung der Regisseurin ist
       zum Teil irritierend. Denn es ist auch bedrückend zu sehen, dass die
       Ausbildung an einer Militärakademie der einzige Ausweg aus dem Patriarchat
       zu sein scheint.
       
       Das wird in einer Szene besonders deutlich: Hala ist mit ihren Kolleginnen
       auf einer politischen Kundgebung zum Internationalen Frauentag. Ein paar
       Dutzend Menschen stehen vor einer provisorisch aufgebauten Bühne. Im
       Hintergrund glitzert der Fluss Euphrat in der Sonne und Hala hält eine Rede
       über die Bedeutung von Frauen für die kurdische Gesellschaft. Am Ende sagt
       sie: „Ich gratuliere allen Märtyrerinnen, die für Manbidsch gestorben
       sind.“ Sein Leben für den Feminismus aufzuopfern ist eine Radikalität, die
       man aus westlicher Perspektive schwer nachvollziehen kann.
       
       27 Jan 2022
       
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