# taz.de -- Fake-Hauptmieter und Untermietverträge: Neue Masche gegen Mieterschutz
       
       > Mit einem dubiosen Konstrukt hebelt ein Vermieter in Berlin offenbar
       > Mietrecht und Milieuschutz aus. Ein Räumungsstreit wirft ein Schlaglicht
       > auf die Praxis.
       
 (IMG) Bild: Aufgeteilte und in Eigentum umgewandelte Häuser sind hier keine Seltenheit: Berlin-Kreuzberg
       
       BERLIN taz | Wenn der Berliner Wohnungsmarkt [1][ein Haifischbecken] ist,
       dann hat eine Richterin des Amtsgerichts Kreuzberg am Dienstag
       möglicherweise eine neue Raubfischart entdeckt. Klar jedenfalls war nach
       der mündlichen Hauptverhandlung eines: Etwas am Vermieter in einem Streit
       über eine Räumungsklage scheint sehr fischig zu sein.
       
       Verhandelt wurde dort eine Räumungsklage der Wohnungsfirma Dornröschen
       Immobilien GmbH gegen zwei Mieter*innen. Die Richterin betonte gleich
       mehrfach, dass ihr etwas an dem Fall komisch vorkomme: „Es geht hier auch
       um die Frage, ob es ein Konstrukt gibt. Ich muss sagen, das klingt alles
       dubios“, sagte sie mit Blick auf den Eigentümer.
       
       Die Vermutung der Mieter*innen ist, dass der Eigentümer mittels einer
       Konstruktion systematisch den Mieterschutz aushebelt. Der Trick: Der
       Vermieter setzt einen Strohmann als Hauptmieter ein, um die Wohnungen nur
       über Untermietverträge zu vergeben. Die Vorteile für den Eigentümer lägen
       auf der Hand: Viele Mieterrechte entfallen in einem Untermietverhältnis. So
       ließe sich etwa der Kündigungsschutz leicht aushebeln, in dem der
       Hauptmieter bei Bedarf kündigt.
       
       Im vorliegenden Fall bei einem sanierten Altbau in der Kreuzberger
       Admiralsstraße wäre das besonders praktisch, um eine gute Rendite zu
       erzielen. Denn die Wohnungen in dem Mehrfamilienhaus sind bereits
       aufgeteilt und könnten mit Ablauf der bezirklichen Genehmigungsfrist ab
       2024 als [2][Eigentumswohnungen teuer verkauft werden]. Ein Auszug aus dem
       Grundbuch, der der taz vorliegt, belegt, dass die Wohnungen in dem Haus
       tatsächlich aufgeteilt sind. Noch teurer lassen diese sich verkaufen, wenn
       darin keine lästigen Mieter*innen wohnen.
       
       ## „Mieterschutz und Milieuschutz ausgehebelt“
       
       So jedenfalls die These des Fachanwalts für Mietrecht, Benjamin Raabe, der
       die beiden Mieter*innen in dem Streit vertritt. Raabe geht in dem Fall
       von einem Schattenmietverhältnis aus, weswegen eine Räumungsklage unwirksam
       sei, und ein reguläres Mietverhältnis mit allen Rechten bestünde. „Dieses
       systematische Vorgehen ist eine neue Qualität. Damit soll nicht nur
       Mieterschutz, sondern auch der Milieuschutz ausgehebelt werden“, sagt
       Raabe.
       
       Von der Räumung bedroht sind Moritz M. und Irina R. Sie wohnen seit 2020 in
       der Wohnung in der Admiralsstraße, aber eben nur als Untermieter. Die
       Hausverwaltung habe bei der Besichtigung erklärt, dass der Hauptmieter, ein
       Cristian J., vorübergehend im Ausland lebe und nach seiner Rückkehr wieder
       einziehen wolle. Kontakt zum Hauptmieter selbst hätten sie zunächst nicht
       gehabt, sagen sie der taz. Miete hätten sie an die Hausverwaltung zahlen
       sollen. Misstrauisch wurden sie endgültig, als sie in Gesprächen
       feststellten, dass alle Nachbar*innen, die nach 2018 eingezogen waren,
       ebenfalls nur Untermietverhältnisse unter ähnlichen Bedingungen hatten.
       
       Weil die Wohnung zudem recht teuer war, zogen sie die [3][Mietpreisbremse].
       Daraufhin hörten sie plötzlich erstmals von ihrem angeblichen Hauptmieter:
       Er habe das Mietverhältnis gekündigt und gebe die Wohnung zwei Monate
       später auf. M. und R. wollten das nicht so einfach hinnehmen, gingen zur
       Mieterberatung und verteidigten sich gegen die folgende Räumungsklage durch
       den Vermieter.
       
       Der Rechtsanwalt des Eigentümers, Ulf Tilo Kellner, behauptet vor Gericht,
       dass alle Wohnungen in dem Gebäude regulär an Hauptmieter vermietet seien
       und sämtliche Darstellungen der Mieter*innen „an den Haaren
       herbeigezogen“ seien, wie er vor Gericht sagte. Belege dafür blieb er
       allerdings schuldig, wie auch die Richterin anmerkte: Bis heute hat Kellner
       laut Gericht keinen Hauptmietvertrag vorgelegt oder auch nur die Kündigung.
       Immerhin erschien vor Gericht auch der angebliche Hauptmieter J. – zur
       Aufklärung trug er allerdings wenig bei. Die Richterin sagte: „Die
       Darlegungslast liegt beim Kläger“, wohingegen sie die Einlassungen der
       Mieter für „einen substanziierten Vortrag“ hielt.
       
       Denn wie aus den der taz vorliegenden Stellungnahmen ans Gericht
       hervorgeht, haben die Mieter viele Indizien gesammelt für eine
       systematische Masche der Dornröschen GmbH und beteiligter Firmen. Zusammen
       mit ihrem Anwalt haben sie herausgefunden, dass ihr angeblicher Hauptmieter
       Cristian J. in der Firma des Eigentümers arbeitet. Über einen
       Privatdetektiv und mit einer Auskunft beim Einwohnermeldeamt bringen sie
       auch in Erfahrung, dass der angeblich im Ausland lebende J. seit 1998
       seinen Lebensmittelpunkt in einem Einfamilienhaus mit Garten in
       Blankenfelde hat.
       
       Auch bei anderen vermeintliche Hauptmieter*innen in dem Haus handele es
       sich teilweise um Mitarbeiter oder einen Facebook-Freund des Eigentümers.
       Besonders absurd: Hauptmieter in den Dachgeschosswohnungen der betroffenen
       zwei Gebäude in der Admiralsstraße seien die Eigentümer selbst: Ein Holger
       J. sowie dessen Frau Heidi M. Die sind zudem nicht nur die Inhaber der
       Dornröschen GmbH, sondern auch letztlich Eigentümer eines komplexen
       Firmenkonstrukts, dem weitere Unternehmen mit märchenhaften Namen
       angehören: etwa die Schneeweißchen Immobilien Gmbh & Co. KG sowie die
       Rotkäppchen Immobilien Gmbh & Co. KG und eine High Five GmbH & Co. KG.
       
       Aufgeklärt ist der Fall nach der Verhandlung allerdings nicht: Am Ende der
       mündlichen Güteverhandlung steht weder Einigung noch Urteil. Durch die
       Andeutungen der Richterin jedenfalls fühlen sich die Mieter bestärkt, beide
       Parteien bekommen nun noch einmal eine Erklärungsfrist. Mieter M. gibt sich
       nach der Verhandlung kämpferisch, selbst wenn sie beim Amtsgericht
       verlieren sollten, wollen sie in die zweite Instanz ziehen: „Ich kann zwar
       verstehen, wenn man mit seinem Eigentum Rendite machen will, aber nicht auf
       diese Weise“, sagt er.
       
       15 Feb 2022
       
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