# taz.de -- Eindrücke aus Charkiw: Alle wollen bloß noch weg
       
       > In Charkiw harren seit einer Woche Menschen in den U-Bahnhöfen aus. Die
       > 30-jährige Ukrainerin Vika hilft ihnen bei der Flucht.
       
 (IMG) Bild: Gefährlicher Alltag: Ein Junge holt Wasser während die Bomben in Charkiw fallen
       
       Ich bin jetzt gerade in der Stadt Switlowodsk, das ist rund 300 Kilometer
       von Charkiw entfernt. Für den Weg haben wir 24 Stunden gebraucht. Mein Mann
       und ich haben mit unserem Kleinbus eine Kolonne von sechs Autos begleitet,
       insgesamt mehr als 30 Leute, die alle aus Charkiw fliehen mussten. Immer
       wieder mussten wir überprüfen, ob es noch Benzin für alle gibt. Unterwegs
       haben wir viele Autos gesehen, [1][alle wollen bloß noch weg].
       
       Hier in Switlowodsk ist es noch sicher, zumindest wird noch nicht
       geschossen und es gibt keine Angriffe. Ich und meine Hilfsorganisation
       „Ukrainische Grenzen“ haben hier eine Art Anlaufstelle für humanitäre Hilfe
       eingerichtet. Wir bringen Menschen aus Charkiw hierher und helfen ihnen
       dann, weiterzukommen Richtung Polen. Aber viele von ihnen wollen nicht. Sie
       wollen ihre Verwandten nicht zurücklassen. Und sie haben einfach Angst, da
       nicht lebend anzukommen. Es gibt jetzt so viele Fake News, dass es in
       vielen Städten unsicher sei.
       
       Am Freitag um sechs Uhr morgens fahren mein Mann und ich wieder zurück nach
       Charkiw. Er ist diesmal mitgekommen, damit wir uns beim Fahren abwechseln
       können. Wir werden standhalten. Das braucht viel Kraft, aber wir haben sie.
       Aus Charkiw sind am Mittwoch 22.000 Menschen geflohen. Alle sprechen jetzt
       in Charkiw von einem zweiten Stalingrad. Luftangriffe, Raketen – die ganze
       Zeit geht das so. Sie beschießen alles, auch kleine Dörfer im Charkiwer
       Gebiet. In Charkiw ist die Lage katastrophal. Die Menschen sitzen seit über
       einer Woche in den [2][U-Bahn-Stationen]: Alte, Familien mit ihren Kindern
       und Haustieren. Es wird immer schwieriger, noch Lebensmittel und Wasser
       aufzutreiben.
       
       Aber wir halten durch. Es gibt auch viele Freiwillige, die jetzt in den
       Krankenhäusern mithelfen. Alle halten zusammen, auch innerhalb der
       Familien. Ich habe mit meinem Vater 20 Jahre nicht gesprochen, aber jetzt
       bietet er mir jede Unterstützung an. Ich glaube immer noch an den Sieg,
       dass wir es schaffen können. Die russische Armee hat noch keine größere
       Stadt besetzt, auch Charkiw nicht. Deshalb herrscht unter den russischen
       Soldaten dort Hysterie.
       
       Der Hass gegenüber Russland wächst 
       
       Manchmal wundere ich mich über mich selbst. Ich fluche den ganzen Tag. Fick
       dich, Putin, du Scheißkerl, früher hätte ich mich da zurückhaltender
       ausgedrückt. Unter den Menschen wächst der Hass gegenüber Russland. Ich bin
       eigentlich zweisprachig, Russisch und Ukrainisch, aber jetzt bin ich zum
       Ukrainischen übergegangen.
       
       Ich werde in Charkiw bleiben und weiter versuchen, Menschen mit meinem Bus
       aus der Stadt herauszubringen. Und ich werde, wenn nötig, zur Waffe
       greifen, obwohl sie bisher nur Leute mit Kampferfahrung nehmen. Bei den
       Stellen, wo sich Freiwillige melden, um Charkiw zu verteidigen, werden die
       Schlangen immer länger.
       
       Ein Witz lautet: Wie viel Schmiergeld muss man bezahlen, um eine Waffe zu
       bekommen. (Vika lacht) Das ist schwarzer Humor, aber wie soll man das sonst
       alles aushalten. Ich würde mir sehr wünschen, dass es eine Flugverbotszone
       geben wird. Damit sie endlich aufhören, diese schrecklichen Luftangriffe …
       
       Am Freitag ist der nächste Kontakt geplant. Wenn es dann noch eine
       Verbindung gibt, sagt Vika. 
       
       Protokoll: Barbara Oertel
       
       3 Mar 2022
       
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