# taz.de -- Angriffskrieg auf die Ukraine: Korruption und Kolonialismus
       
       > Es fehlt an Kritik, Profit und die Gasversorgung stehen im Fokus. Reden
       > wir noch über die deutsche Verantwortung für den Krieg in der Ukraine?
       
 (IMG) Bild: Ziemlich beste Freunde: Schwesig reicht Schröder die Hand im Sommer 2021
       
       Doch, man hätte es wissen können. Das Wichtige über das Russland unter
       Putin. Man hätte es lange vor dem Überfall dieses Russlands auf die Ukraine
       am 24. Februar wissen können. Vielleicht schon im Jahre 2001, [1][dem Jahr
       der Säuberungsaktionen gegen „Terroristen“ in Tschetschenien], und 2008
       nach dem Kaukasuskrieg gegen Georgien oder spätestens 2014, als russische
       Soldaten nur sehr dürftig maskiert mit Lügen aus Moskau erst die
       ukrainische Halbinsel Krim annektierten und dann dabei halfen, einen Krieg
       im Osten der Ukraine vom Zaun zu brechen.
       
       Man hätte von [2][Folter an Schwulen, Lesben und trans Menschen im Reich
       des Mörders Ramsan Achmatowitsch Kadyrow] wissen können. Von seiner
       persönlichen Armee, die an keine Gesetze gebunden ist und ganze Familien
       ermordet hat. Von den [3][Krimtatar:innen, die während der russischen
       Besetzung reihenweise in den Gefängnissen gelandet sind], weil sie sich mit
       der Besetzung nicht zufriedengeben wollten. Vom russischen Fernsehen voller
       Feind- und Vernichtungsfantasien.
       
       Gerade von Politiker:innen, die für sich in Anspruch nehmen, mit und über
       Russland zu sprechen, kann man erwarten, dass sie wissen, worüber sie
       reden. Das sind Menschen, die andere Menschen unter sich haben, die für sie
       recherchieren und die Informationen gewichten können, und die Russisch
       sprechen und verstehen können oder die dann wenigstens
       Mitarbeiter:innen haben sollten, die das tun. Die großen
       Russlandversteher:innen unserer Zeit wie Gerhard Schröder (SPD),
       [4][Matthias Platzeck] (SPD), [5][Manuela Schwesig (SPD)] oder Michael
       Kretschmer sitzen nicht allein und überfordert vor dem Computer beim
       Googeln. Es ist ganz sicher nicht so, dass diese Menschen getäuscht wurden,
       wie einige von ihnen jetzt behaupten.
       
       Sie tragen eine Mitverantwortung dafür, die Politik von Wladimir Putin in
       Deutschland gedeckt zu haben. Sie haben dabei geholfen, andere Menschen zu
       täuschen, die über weniger Ressourcen verfügen als sie.
       
       ## Wir wurden getäuscht – und nun?
       
       Was machen „wir“ denn nun so als Deutsche, als Bewohner:innen dieses
       Landes mit dieser Erfahrung, getäuscht worden zu sein? Jetzt wo es einen
       unverhüllten Angriffskrieg gibt, in dem Russland Millionenstädte wie Kiew
       und Charkiw mit Raketen beschießt und mit Bomben bewirft? In dem russische
       Truppen das Atomkraftwerk von Saporischschja angreifen? Was machen wir mit
       den mächtigen Menschen, die hier im gaswarmen Deutschland mit dafür
       verantwortlich sind, diesen Krieg erst ermöglicht zu haben?
       
       Reden „wir“ beispielsweise nochmal so wirklich ehrlich über Geld? Über
       Korruption oder „Vitamin B“, wie „wir“ hier gerne sagen, denn so richtige
       Korruption gibt es natürlich nur beim Italiener oder weit im Osten. Dass
       die gute Bezahlung für seine Jobs bei Rosneft und Nord Stream 2 dem
       früheren sozialdemokratischen Bundeskanzler Gerhard Schröder den Weg in ein
       Leben ohne Selbstachtung gepflastert hat, gut, darüber lacht das halbe Land
       schon länger. Ebenfalls ein Brüller in diesem zynischen Universum sind aber
       Aufrufe wie der von SPD-Parteichefin Saskia Esken. Sie schrieb auf Twitter,
       Schröder schade mit seinen Posten in russischen Konzernen „dem Ansehen
       Deutschlands und der Sozialdemokratie. Geschäfte mit einem Kriegstreiber
       sind mit der Rolle eines Altkanzlers unvereinbar.“
       
       Ansehen. Deutschland. Sozialdemokratie. Esken schrieb das am dritten Tag
       des Krieges, am 26. Februar. Da hatten russische Flugzeuge schon
       Millionenstädte wie Kiew und Charkiw bombardiert und russische Raketen
       schlugen auf ukrainischen Flughäfen ein. So viel Ignoranz muss man
       hinkriegen. Für Manuela Schwesig, die Ministerpräsidentin von
       Mecklenburg-Vorpommern, gab es bislang nicht einmal diesen
       Wischiwaschi-Tadel. Dabei hat ihre Regierung außergewöhnlich hart daran
       gearbeitet, Nord Stream 2 möglich zu machen. Der Bau dieser Pipeline und
       ihr standhaftes politisches Verteidigen hat Putin über Jahre signalisiert,
       dass er in seinem Land und in Ländern, die er de facto als seine betrachtet
       (Georgien, Ukraine etc.) so willkürlich und mörderisch handeln konnte, wie
       es ihm gefiel, Deutschland wollte sich dennoch von seinem Gas abhängig
       machen.
       
       Unter Manuela Schwesig rief Mecklenburg-Vorpommern zu diesem Zweck
       [6][sogar extra eine Stiftung ins Leben], die, so schrieb es die
       Anti-Korruptions-Organisation Transparency Deutschland am 16. Februar, acht
       Tage vor dem russischen Angriff, „gegen das Geldwäschegesetz“ verstößt. Die
       Landesregierung in Schwerin verschleiere „Putins und Gazproms Einfluss“.
       
       ## Die EU und ihre „Partner“
       
       Zum Krieg in der Ukraine verfasste Transparency vor zwei Tagen auch noch
       eine Mitteilung, die so gar nichts von dem verwaschenen
       Ach-du-meine-Nase-Duktus Saskia Eskens hat: „Deutschland und seine Partner
       tragen dahingehend eine Mitverantwortung, dass der bisher äußerst lasche
       Umgang mit schmutzigem Geld aus autokratisch regierten Staaten dazu
       beiträgt, Korruption und Machtmissbrauch weltweit zu ermöglichen.“ Und: „Es
       ist an der Zeit, dass Deutschland und seine Partner konsequent gegen
       Geldwäsche sowie intransparente Eigentumsverhältnisse und Geldflüsse
       vorgehen.“
       
       Das Wort „Partner“ zeigt an, dass nicht nur Deutschland ein Problem mit
       Korruption hat, sondern die Europäische Union als Ganzes. Googeln Sie mal
       Schlagwörter wie „Russian Laundromat“ und klicken Sie dann noch ein
       bisschen nach links und rechts. [7][Googeln Sie „taz“, „Dialyse“ und „Oleg
       Kolodjuk“.] Ohne westeuropäische, als Nachlässigkeit getarnte,
       Profitinteressen könnte osteuropäisches Oligarchen- und Diktatorengeld gar
       nicht so locker-lässig gewaschen werden. Lenorweich fiel auch die Kritik an
       den Inhabern gut gefüllter Bankkonten aus.
       
       Angela Merkel übrigens mag als Person nie korrupt gewesen sein. Sie hat
       sich solchen schmutzigen Geschäften aber auch nicht entschlossen
       entgegengestellt.
       
       Ihre volle Wirkungskraft entfaltet die westeuropäische Lust am
       Geldverdienen erst in Kombination mit einem imperialen und
       kolonialistischen Weltbild. Mit Russland reden, hieß es oft, mit Russland
       sollte immer geredet werden, nur eben nicht mit jenen, die die Politik
       dieses Landes am meisten betraf: kleinere Nachbarstaaten zum Beispiel. Wie
       oft wurden Politiker:innen in den drei baltischen Ländern in den
       letzten Jahrzehnten dafür verspottet, dass sie öffentlich sagten, sie sähen
       ihre Sicherheit durch Russland bedroht.
       
       ## Auch „wir“ haben profitiert
       
       Ausgerechnet den Menschen, die das russische Fernsehen, das russische
       Militär, die russischen Eliten am besten kannten, denen, die ihre Sprache
       verstanden, wurde am wenigsten zugehört. Es schien bisweilen fast so als
       hoffte man in Deutschland darauf, künftig nur noch mit einem starken Mann
       in Moskau reden zu können statt mit lauter nervigen Kleinvölkern, deren
       Namen sich keiner merken mochte.
       
       Wie gehen „wir“ also damit um? Mit der Verantwortung unserer eigenen Eliten
       für diesen Krieg? Damit, dass auch „wir“ von ihrem Handeln profitiert
       haben, uns Debatten um erneuerbare Energien erspart haben, auf Jobs gehofft
       und sie bekommen haben, sorglos unsere Heizungen aufgedreht haben, unsere
       engen und rassistischen Vorstellungen auf die Figur Wladimir Putin
       projiziert haben, in denen er der Mann war, der ohne Schuld und Sühne die
       Welt in männlich und weiblich, oben und unten, stark und schwach einteilen
       konnte.
       
       Derzeit sieht es nach Überkompensation aus. Vor Putins Überfall auf die
       ganze Ukraine demonstrierten vor der russischen Botschaft in Berlin maximal
       ein paar hundert Leute. Inzwischen schwenkt das halbe Land blau-gelbe
       Fahnen und die Geflüchteten aus Kramatorsk und Melitopol werden an den
       Grenzen begrüßt wie verloren geglaubte Geschwister. Das Desinteresse und
       das rassistische Framing sind weiter sichtbar, nur unter umgekehrten
       Vorzeichen: Medien aus Europa und den USA zeichnen Ukrainer:innen als
       christlich-kämpferische männliche und weiße Avantgarde. Das Harte,
       Militärische der Soldat:innen wird als europäischer Wert gefeiert und
       alles Revolutionäre, Anarchische, Multireligiöse, aber auch alles Korrupte,
       Neofaschistische ausgeblendet. Dieser Rausch wird nicht ewig anhalten.
       
       Werden „wir“ uns dann damit befassen, was unser Beitrag war zu diesem
       Krieg?
       
       5 Mar 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://reliefweb.int/report/russian-federation/chechnya-cleansing-operations-village-chiri-yurt-may-jun-2001
 (DIR) [2] /Homophobie-in-Tschetschenien/!5563388
 (DIR) [3] https://www.hrw.org/news/2021/10/26/russian-authorities-arrest-crimean-tatar-lawyer-while-representing-his-clients
 (DIR) [4] /Kommentar-Platzeck-bei-RT-Deutsch/!5383967
 (DIR) [5] https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_91506762/schwesig-hat-ein-nord-stream-2-geheimnis-und-traf-sich-mit-schroeder.html
 (DIR) [6] https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Transparency-wirft-MV-wegen-Stiftung-Verschleierung-vor,umweltstiftung122.html
 (DIR) [7] /dialyserecherche/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Schulz
       
       ## TAGS
       
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