# taz.de -- Kürzungen bei Medienunternehmen SWMH: Weniger Lokales im Ländle
       
       > Die „Stuttgarter Zeitung“ und die „Stuttgarter Nachrichten“ bekommen ein
       > neues Konzept. Sie sollen digitaler werden, dennoch werden Stellen
       > abgebaut.
       
 (IMG) Bild: Protest in der Mittagspause vor dem Stuttgarter Pressehaus
       
       Es ist noch gar nicht so lange her, da war die Abkürzung SWMH nur
       Eingeweihten bekannt. Zwar war die Südwestdeutsche Medienholding auch schon
       vor gut zehn Jahren ein Riese unter Deutschlands Regionalzeitungsgruppen,
       doch sie bekam wenig Aufmerksamkeit. Heute sieht das anders aus. Spätestens
       nach der Übernahme der Süddeutschen Zeitung (SZ) 2008 ließ sich die Politik
       des „Uns gibt es eigentlich gar nicht“ nicht mehr durchhalten. Doch das
       geheime Credo „Keine Fragen, keine Antworten“ scheint bis heute zu gelten.
       
       Deswegen sind sie am Donnerstag in Stuttgart mal wieder in eine kreative
       Mittagspause gegangen: Rund 100 Redakteur*innen und Mitarbeitende von
       Stuttgarter Zeitung (StZ) und Stuttgarter Nachrichten (StN), diesmal
       unterstützt von Kolleg*innen anderer SWMH-Titel aus der Region. Auch die
       SZ war vertreten, denn auch dort soll das Lokale und Regionale schrumpfen.
       
       Auch die jüngste Antwort der Stuttgarter Geschäftsleitung auf einen
       siebenseitigen Brief der Belegschaft kam nicht gerade gut an: Angesichts
       einer gerade einmal einseitigen Antwort mit Phrasen wie nun müssten alle
       gemeinsam die „Qualität hochhalten“ schüttelte der Stuttgarter
       Betriebsratsvorsitzende Michael Trauthig nur den Kopf: „Wie überheblich
       kann man sein?“
       
       Joe Bauer, heute Kolumnist der unabhängigen Online-Zeitung Kontext und
       vordem langjähriger Stadtflaneur bei den Stuttgarter Nachrichten, mahnte in
       seiner Rede: „Ich brauche den Blick vor meine Haustür, und zwar auf die
       Dinge, die ich selber nicht sehen kann. Ich brauche Journalisten, die
       aufdecken und dolmetschen, die mich mit ihren Ermittlungen unterhalten.“
       All das stehe nun auf dem Spiel.
       
       Fünfundfünfzig Redaktionsarbeitsplätze sollen bei den auch schon früher
       unter dem gleichen Verlagsdach erscheinenden, aber redaktionell stets
       getrennt marschierenden Titeln StZ und StN abgebaut werden. Das sind noch
       mal rund 20 Prozent des ohnehin seit Jahren schrumpfenden Bestands, und
       trifft durchweg die Regional- und Lokalteile. „Die Stellen sollen
       sozialverträglich abgebaut werden, auf betriebsbedingte Kündigungen werden
       wir so weit wie möglich verzichten“, sagt Joachim Dorfs, der
       StZ-Chefredakteur Dorfs ist in Wahrheit auch so etwas wie der Chefredakteur
       der StN, obwohl die mit Christoph Reisinger noch einen eigenen haben.
       
       Denn schon 2015/16 wurden die beiden Titel, was den überregionalen Teil
       angeht, zusammengelegt. Für viele schon damals ein Unding – schließlich
       verstand sich die StZ immer als eine Art Süddeutsche fürs Ländle, während
       die StN die bodenständigere Regionalität verkörperte und mit ihrem
       überregionalen Teil, dem sogenannten Mantel, einen ganzen Schwung weiterer
       zur SWMH gehörenden Lokalblätter beglückte.
       
       ## Es geht um die finanzielle, nicht die journalistische Rendite
       
       Jetzt soll auch im Lokalen zusammengeschoben werden, was nach Meinung des
       SWMH-Managements zusammengehört. Nicht ungefährlich. Denn die lokale und
       regionale Pressevielfalt ist gerade in Zeiten von [1][Desinformation] und
       einem weit verbreiteten Gefühl, „die Medien“ hätten den Bezug zum Alltag
       der Menschen verloren, enorm wichtig. Doch bei der SWMH geht es mehr um die
       finanzielle als die journalistische Rendite.
       
       Den Unternehmern um SWMH-Konzernchef Christian Wegner stehen noch ganz
       andere Dinge im Sinn. Wegner kam 2018 von ProSiebenSat.1 und ein bisschen
       hört sich das neue Konzept für Stuttgart tatsächlich nach Privatfernsehen
       an. Denn nun sollen in den Redaktionen nicht nur massiv Stellen abgebaut,
       sondern auch die klassischen Ressorts wie Politik, Kultur, Sport und
       Wirtschaft verschwinden. An ihre Stelle treten 22 Themen-Teams, die dann
       Titel wie „Liebe und Partnerschaft“ oder „Entscheider und Institutionen“
       oder „Automobilwirtschaft“ tragen. „Ressortchefs raus, Digitalklicks rein“
       fasste die Frankfurter Allgemeine Zeitung den Plan zusammen. In der
       Redaktion fragen sie ein bisschen ungeschützter, wer wohl die Schnapsidee
       verbrochen hat.
       
       Dass die Zeichen in Stuttgart darauf standen, „Doppelstrukturen weiter
       abzubauen“, wundert auch den Zeitungsexperten Horst Röper wenig, der seit
       Jahrzehnten die Entwicklungen im Verlagsbereich analysiert. „Doch eine
       solche Reorganisation der Redaktion ist tatsächlich neu.“ Denn die
       künftigen Themen-Teams erinnerten eher an Online-Rubriken, „die Information
       steht so nicht mehr im Vordergrund“, fürchtet Röper: „Das ist ein
       Sammelsurium von Begriffen, mit denen ich nichts anfangen kann.“ Und eine
       Redaktion wie die der Stuttgarter Blätter, die eine hohe Selbstständigkeit
       und Eigenverantwortlichkeit kannte, auch nicht.
       
       Das macht der von 227 Mitarbeitenden, also rund 80 Prozent der Stuttgarter
       Redaktionen, unterschriebene offene Brief an die SWMH-Spitze klar. Darin
       schreiben sie: „Für uns ist die Ansage, wir machen vornehmlich nur noch
       das, was geklickt wird und Web-Abos erzeugt, ein Offenbarungseid.“ Ihr
       ernüchterndes Fazit: „Wenn wir nicht mehr über das berichten, was unser
       Gemeinwesen zusammenhält, nicht mehr präsent sind in den Gemeinden und
       Stadtbezirken, nicht mehr von den Auswirkungen der Landes- und Lokalpolitik
       auf das Leben der Menschen, wofür braucht es uns noch?“
       
       Das haben in den letzten Monaten auch jede Menge politisch Verantwortliche
       und Prominente gefragt. Politiker*innen sind parteiübergreifend von
       konservativ bis links entsetzt. Tübingens nicht gänzlich unumstrittener OB
       Boris Palmer (B90/Grüne) [2][rief in der Online-Zeitung Kontext dazu auf,
       „das Abo zu kündigen“], seine CDU-Kollegen Frank Nopper (Stuttgart) und
       Christoph Traub (Filderstadt) sekundieren. „Für die Kommunalpolitik und für
       das städtische Leben als Ganzes sind starke regionale Qualitätsmedien von
       größter Bedeutung“, sagt Nopper.
       
       Gleich fünf Landräte aus dem Verbreitungsgebiet stiegen der SWMH-Spitze
       aufs Dach. Dazu Künstler*innen, zivilgesellschaftliche Organisationen oder
       auch Buchhändler Thomas Ott aus Stuttgart, für den das Ganze daherkommt wie
       ein „neoliberaler Porno“. Nur Ministerpräsident Winfried Kretschmann
       (Grüne) hat sich bislang nicht öffentlich geäußert. Chefredakteur Dorfs und
       seine Führungsriege versuchen seit Wochen gegenzusteuern und bieten
       irritierten Bürgermeister*innen, Parteigranden und anderen
       Entscheider*innen Gespräche an. Sonderlich erfolgreich scheinen die
       nicht zu verlaufen.
       
       ## Auch die SZ steht unter Sparzwang
       
       Immerhin berichtet die StZ knapp und klar in eigener Sache, was bei der
       auch zur SWMH gehörenden SZ anders aussieht. Dass aus München auch sonst
       kaum Unterstützung kommt, sorgt dafür, „dass viele bei StZ und StN nicht
       eben gut auf die SZ zu sprechen sind, auch wenn die Kolleg*innen nichts
       dafür können“, heißt es in Stuttgart. Ans konzerneigene „Weltblatt“ traut
       sich eben keiner ran, das würde die ganze Republik zur Kenntnis nehmen.
       
       Wobei auch die SZ unter Sparzwang steht. Doch die Gemengelage ist
       komplizierter. Die SWMH steht insgesamt unter Druck. Laut dem eben
       veröffentlichten Jahresabschluss 2020 lag der Gesamtumsatz mit 855,2
       Millionen Euro satte 67,5 Millionen Euro unter dem Vorjahreswert. Natürlich
       spielte hier Corona eine Rolle, doch schon 2019 war die SWMH deutlich unter
       den Erwartungen geblieben. Seit Übernahme der SZ drücken außerdem ständig
       Schulden. Schließlich kostete der Verlag mit 750 Millionen Euro nur etwas
       weniger, als der Laden heute komplett umsetzt.
       
       Verlagsexperte Röper wundert, dass die SWMH die SZ nicht viel stärker in
       ihre Strukturen einbindet. „Es wäre eine gemeinsame Hauptredaktion unter
       SZ-Führung denkbar“, sagt er. Tatsächlich versorgt der StZ/StN-Verbund die
       regionalen SWMH-Titel wie Esslinger Zeitung, Schwarzwälder Bote,
       Frankenpost (Hof), Freies Wort (Suhl) oder den Nordbayerischer Kurier aus
       Bayreuth. Was die neue Themenstruktur hier für Konsequenzen haben wird, ist
       längst noch nicht abzusehen.
       
       Ex-ProSieben-Mann Christian Wegner ist derweil in anderen Bereichen auf
       Expansionskurs und hat als SWMH-Chef im Januar die 7Mind GmbH übernommen,
       eine digitale Plattform für Meditation und Achtsamkeit. Schwer
       vorzustellen, dass er selber meditieren oder achtsamer in Sachen
       Lokaljournalismus sein will. Dahinter steht laut SWMH vielmehr, die „Basis
       zur Schaffung einer digitalen Gesundheitsplattform zu legen“.
       
       [3][Joe Bauer] hingegen schrieb am Donnerstag vorm Stuttgarter Pressehaus
       der SWMH mit Blick auf die neuen Themen-Teams: „Wenn ein großes
       Zeitungshaus sich inhaltlich ins Schlagerfach flüchtet, um jedem Anspruch
       aus dem Weg zu gehen, dann verstößt es gegen das Recht auf Meinungs- und
       Pressefreiheit. Dieser Konzern ignoriert seinen Auftrag als vierte Gewalt.“
       
       27 Mar 2022
       
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