# taz.de -- Tausche Konserven gegen Gemälde
       
       > Lange kaum beachtet, ist die Rolle von Emmy alias Galka Scheyer bei der
       > Verbreitung moderner Kunst nun in ihrer Geburtsstadt
       > BraunschweigGegenstand von Forschung und Förderung: Unkonventionell,
       > durchsetzungsstark und laut hat sie in den USA den europäischen
       > Expressionismus bekannt gemacht
       
 (IMG) Bild: Selbstporträt Emmy Scheyer um 1915: Als Künstlerin nannte sie sich Renée, als Impresaria bekam sie von den Malern den Spitznamen Galka, also Dohle
       
       Von Bettina Maria Brosowsky
       
       Der Blaue Reiter, also jene um 1911 formierte lose
       Künstler:innen-Gruppierung um Wassily Kandinsky und Franz Marc, ist wohl
       allen an moderner Kunst Interessierten ein Begriff. Weniger bekannt ist
       „Die Blaue Vier“, internationalisiert „The Blue Four“ aus Lyonel Feininger,
       Paul Klee, Kandinsky sowie Alexej Jawlensky. Die bildeten allerdings keine
       neue Malergruppe. Ihr Zusammenschluss fand einzig auf dem Briefkopf statt
       und war ein Marketing-Label. Etabliert hat es die jüdische Malerin,
       Impresaria, Kuratorin und Kunstlehrerin Galka Scheyer (1889–1945) im Jahr
       1924.
       
       In jenem Jahr nämlich brach sie erstmals in die USA auf, um die Arbeiten
       der vier in einer Rundreise vorzustellen und Werke zu verkaufen. Ihre
       Schiffspassage beglich sie, ganz Optimistin, aus dem Vorschuss eines
       Förderers auf mögliche Interessent:innen. Diese beherzte Frau, die im Laufe
       ihres Lebens zu einer bestens in die internationale Kunstszene der
       klassischen Moderne vernetzten Akteurin avancierte, ist als Emilie Esther,
       genannt Emmy, in Braunschweig aufgewachsen. Ins Forschungsinteresse ist
       ihre Vita erst in den letzten Jahren gerückt, seit versucht wird, ein Bild
       der vergessenen oder durch den Holocaust ausgelöschten jüdischen Kultur
       abseits ihrer großen Zentren zu zeichnen.
       
       Mittlerweile liegt der Ergebnisband einer internationalen Tagung zu Leben
       und Wirken Scheyers vor. Die war 2019 durch die Bet Tfila Forschungsstelle
       für jüdische Architektur der TU Braunschweig veranstaltet worden. Ein
       Verein hat sich dort auch gegründet, der unter dem Titel „Galka Scheyer
       Zentrum“ [1][Biographie und Werk erforschen und über sie informieren will].
       Im Kontext des bundesweiten Festjahres „1700 Jahre jüdisches Leben in
       Deutschland“ erschien zudem ein handlicher, 70 Seiten starker Wegweiser zu
       Scheyers Lebensphasen und Wohnorten in ihrer Geburtsstadt. Dort soll auch
       im kommenden Jahr eine große Ausstellung von Herzog Anton Ulrich- und
       Städtischem Museum ihr Leben und Wirken als „Agentin der Moderne“, so der
       missverständliche Titel, nachzeichnen.
       
       Letztmals war Scheyer Ende 1932 zu Besuch nach Braunschweig zurückgekehrt,
       um im Mai 1933 endgültig nach Amerika überzusiedeln. Seit 1931 besaß sie
       bereits die Staatsbürgerschaft der USA. Dort blieb sie bis zu ihrem Tod in
       Hollywood.
       
       Galka Scheyers Lebensweg begann ähnlich dem vieler gutbürgerlich
       assimilierter, religionsferner Jüdinnen in der ersten Hälfte des 20.
       Jahrhunderts in Deutschland. Geboren am 15. April 1889 in eine kulturell
       aufgeschlossene, wohlhabende Braunschweiger Familie – der Vater war erst
       Großhändler für Lederwaren, später Konservenfabrikant – wuchs sie mit zwei
       Brüdern auf. Künstlerisch begabt nahm sie privaten Malunterricht, der sich
       in einem respektablen Volumen impressionistisch bis pointilistisch
       angehauchter Landschaften, Stillleben und Porträts niederschlug. Noch mehr
       allerdings interessierten sie Mal-Reisen quer durch Europa und die
       Kunstzentren Paris, Brüssel, Zürich oder auf den Monte Verità bei Ascona.
       
       Dennoch schien eine professionelle Kunstausübung nicht mit den familiären
       und gesellschaftlichen Konventionen vereinbar. Dass Scheyer stattdessen
       ihre Kontakte zu Künstler- und Sammler:innen in den Dienst der Förderung
       und Vermarktung nicht nur ihrer vier Protegés stellte, war im Grunde dann
       ein noch gewagterer Schritt. Eigentlich konnten den nur wesentlich besser
       situierte Frauen wie die US-Amerikanerin Peggy Guggenheim meistern.
       Scheyer, als exzentrisch bis hysterisch beschrieben, kompensierte das
       fehlende Geld wohl mit jeder Menge Durchsetzungskraft. Ihr Spitzname Galka,
       russisch: die Dohle, den ihr Jawlensky 1919 gegeben haben soll, galt dann
       nicht nur ihrem schwarzem Haar, sondern auch ihrer, dem Vogel verwandten,
       durchdringenden Stimme und der Redegewalt, mit der sie ihre Interessen und
       die ihrer Künstler:innen zu vertreten vermochte.
       
       Selber Sammlerin und Förderin, vermittelte Scheyer Kunstkäufe, betrieb aber
       nie eine eigene Galerie oder einen kommerziellen Kunsthandel. Um
       Interessent:innen zu gewinnen, vertraute sie auf den persönlichen
       Kontakt und die Atmosphäre privater Räume. Solch Methode pflegten durchaus
       auch renommierte Galeristen wie der Berliner Alfred Flechtheim. Der bot bei
       üppigen Abendessen in seiner Wohnung einer prominenten Klientel wie dem
       Regisseur Josef von Sternberg oder dem Boxmeister Max Schmeling
       Kommissionsware an. Die verlangten dann gehörig Rabatt von den ebenfalls
       anwesenden Künstler:innen.
       
       Derartiges Feilschen war in den USA unüblich. Dennoch blieb die finanzielle
       Situation Scheyers stets kritisch, vor allem, als nach der „Arisierung“ des
       elterlichen Besitzes und der Emigration ihrer Brüder der monatliche
       Zuschuss ausblieb. Hatte sie früher manchen Künstleranspruch auch mit
       Konservenkontingenten befriedigen können, verdiente sie nun Geld mit
       Kunstunterricht und Vorträgen. Ihre Sammlung verlieh sie für Ausstellungen.
       Scheyer inspirierte so eine ganz eigene Kulturszene im amerikanischen
       Westen, zu der nach 1933 immer mehr Emigrant:innen aus Europa stießen.
       
       Aus der Ferne beriet Scheyer Freund:innen beim Investment in europäische
       Kunst, die, anders als Geldvermögen, mit etwas Glück, als „Umzugsgut“
       deklariert in die Emigration mitgenommen werden konnte, zwecks späterem
       Verkauf. Ob sie von solcherart „Fluchtgut“ profitierte, bleibt ebenso im
       Vagen wie die Provenienz von vier Grafiken Paul Klees, die, durch ihre
       Hände gewandert, mit dem Museum Heinz Berggruen 1996 nach Deutschland zur
       Berliner Nationalgalerie zurückkehrten.
       
       Wohl nicht nur wegen finanzieller Engpässe lebte Scheyer, oft nicht
       konfliktfrei, bei wechselnden Freund:innen. Erst 1934 bezog sie ein
       eigenes, vergleichsweise bescheidenes Haus hoch über Los Angeles, das der
       Architekt Richard Neutra für sie entwarf. Die Straße, an der es liegt, hat
       sie Blue Heights Drive getauft. So heißt sie noch heute.
       
       Das Haus bestand im Grunde aus nur einem einzigen großen Raum: Wohnbereich
       und Ausstellung gleichzeitig, mit weitem Balkon-Ausblick über die Stadt –
       die perfekte Möglichkeit für ihre unkonventionelle Art, moderne Kunst zu
       verbreiten.
       
       Katrin Keßler (Hg‘): „Galka Scheyer – A Jewish Woman in International Art
       Business“,Imhof-Verlag 128 S., 29,95 Euro
       
       Katrin Keßler und Gilbert Holzgang: „Galka Scheyer in Braunschweig“,
       kostenfrei u. a. in der Tourist-Info Braunschweig
       
       12 Apr 2022
       
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 (DIR) [1] https://www.galka-scheyer.de/der-verein/ueber-uns/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bettina Maria Brosowsky
       
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