# taz.de -- Petition der Woche: Hochschwanger in der Werkstatt
       
       > Der Mutterschaftsschutz berücksichtigt selbstständige Handwerkerinnen
       > kaum. Häufig arbeiten sie bis kurz vor der Geburt.
       
 (IMG) Bild: „Einige stehen dann bis kurz vor der Geburt an den Maschinen“, sagt Röh
       
       BERLIN taz | Hätten Johanna Röh und ihr Mann ungeachtet aller biologischen
       Voraussetzungen wählen können, dann würde wahrscheinlich ihr Mann das Kind
       austragen. Aber weil die Natur das so nicht vorgesehen hat, ist nun
       [1][Johanna Röh] schwanger. Sie ist selbstständige Tischlereimeisterin und
       weiß, dass eine Schwangerschaft in der Handwerksbranche ein
       unternehmerisches Risiko ist.
       
       Seit etwa drei Jahren hat die 34-Jährige ihren eigenen Betrieb, beschäftigt
       einen Gesellen und bildet eine weitere Person aus. Die Auftragsbücher sind
       voll, die Wartelisten lang. Zeit, um finanzielle Rücklagen zu bilden, gab
       es trotzdem nicht. „Im Handwerk dauert es etwas, bis man verdient“, sagt
       Röh. Zunächst müsse in Gerätschaften investiert werden. Hinzu kommen
       Fixkosten und Gehälter. Ein erfolgreicher Handwerksbetrieb erlaubt keinen
       Arbeitsausfall – vor allem nicht durch eine Schwangerschaft. „Da ist ein
       Fehler im System“, sagt Röh.
       
       In der deutschen Gesetzeslage ist eine finanzielle Absicherung für
       schwangere Selbstständige nicht verankert. Leistungen wie Lohnfortzahlungen
       im Krankheitsfall oder der Arbeitgeberzuschuss zum Mutterschaftsgeld gelten
       nur für angestellte Frauen im Handwerk. Die Regierung hat bislang kaum
       nachgebessert. „Es wird auf private Lösungen verwiesen. Das bremst aus“,
       sagt Röh. Obwohl viele junge Frauen an einer Selbstständigkeit interessiert
       seien. „Perspektiven werden dadurch auf jeden Fall verbaut.“
       
       Erhebungen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) zeigen,
       dass die Quote der Selbstständigen seit 1990 in Deutschland stetig
       gestiegen ist. Nach Angaben des [2][Zentralverbandes des Deutschen
       Handwerks (ZDH)] hat sich auch der Frauenanteil im Handwerk erhöht. Von
       5,45 Millionen Beschäftigten sind insgesamt 36 Prozent weiblich. Nahezu
       jeder vierte Betrieb wird von einer Frau gegründet.
       
       ## Schwangerschaft und Selbstständigkeit
       
       Johanna Röh hat sich nun mit zwei Kolleginnen zusammengetan und eine
       [3][Petition] initiiert. Gemeinsam fordern sie eine Reform des
       Mutterschaftsschutzes sowie eine Gleichbehandlung von selbstständigen und
       angestellten Handwerkerinnen. Die Petition richtet sich unter anderem an
       den Petitionsausschuss des Bundestages und an Michael Kellner,
       Bundesgeschäftsführer des Bündnis 90/Die Grünen. Die Unterschriften werden
       Kellner Anfang Mai übergeben. Ein Termin ist schon ausgemacht.
       
       Damit sich eine Schwangerschaft und eine Selbstständigkeit nicht
       ausschließen, müssen einige Schrauben im Gesetzesgerüst nachgezogen werden.
       Dies könnte der Artikel 8 der EU Richtlinie 2010/41/EU sein. Die Richtlinie
       existiert im europäischen Recht seit Juli 2010 und sieht
       Mutterschaftsleistungen für selbstständige Frauen vor. In Deutschland
       endete die Umsetzungsfrist im August 2012. „Die Richtlinie wurde sehr weich
       formuliert, entsprechend schwach war die Umsetzung in deutsches Recht“,
       sagt Dr. Kirsten Knigge. Die Rechtsanwältin promovierte 2017 über den
       Sachverhalt, verfolgte den Umsetzungsstand genau.
       
       Johanna Röh hat Glück gehabt: Aufgrund der finanziellen Unterstützung durch
       ihren Partner und eine Stiftung ist sie nicht von einer Insolvenz bedroht,
       im Gegensatz zu einigen Kolleginnen. „Einige stehen dann bis kurz vor der
       Geburt an den Maschinen“, sagt Röh. Das kann das Wohl des ungeborenen
       Kindes gefährden.
       
       Körperlicher Arbeit geht Röh daher zwar nicht mehr nach, ist aber sechs
       Wochen vor ihrem Geburtstermin immer noch in der Werkstatt und dafür
       verantwortlich, dass der Laden läuft.
       
       10 Apr 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Imagekampagne-fuer-Handwerksberufe/!5630304
 (DIR) [2] https://www.zdh.de/daten-und-fakten/kennzahlen-des-handwerks/frauen-des-handwerks/
 (DIR) [3] https://www.change.org/p/robert-habeck-schwanger-und-selbstst%C3%A4ndig-es-braucht-endlich-eine-reform-des-mutterschutzes
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Frederike Grund
       
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