# taz.de -- „Festtage 2022“ der Berliner Staatsoper: Der Gesang der Frauen
       
       > Mozart im Small Talk Modus: Die Staatsoper Berlin zeigt bei ihren
       > „Festtagen 2022“ drei Mozartopern, inszeniert von Vincent Huguet als
       > Serie.
       
 (IMG) Bild: Im Atelier von „Don Giovanni“: Elsa Dreisig (Donna Elvira), Riccardo Fassi (Leporello)
       
       Vincent Huguet, 1976 in Frankreich geboren, war Geschichtslehrer,
       Kunstkritiker und Autor von Büchern über Themen der Bildenden Kunst. Zur
       Oper kam er über Patrice Chéreau, für den er regelmäßig als Assistent
       gearbeitet hat. Chéreau ist legendär, Huguet lernte fleißig, 2019 durfte er
       für das 150-jährige Jubiläum der Wiener Staatsoper schon ganz alleine „Die
       Frau ohne Schatten“ von Richard Strauß inszenieren.
       
       Natürlich hatte er bei Chéreau auch dessen Freund Daniel Barenboim kennen
       gelernt. Eine Zusammenarbeit für die Berliner Staatsoper, wo Barenboim seit
       1991 Chefdirigent ist, lag daher nahe. Überraschend ist nur, was sich die
       beiden ausgedacht haben: Die drei Opern, die Mozart nach Texten von Lorenzo
       da Ponte schrieb, könnten als Trilogie über das Leben ihrer Hauptfiguren
       gelesen werden, wenn man sie nur in die richtige Reihenfolge bringt.
       
       Eine Familienserie also. Sie beginnt mit [1][„Cosí fan tutte“], der letzten
       der drei Opern. Sie handelt von Jugendlichen, die ihre Lust am Sex
       entdecken und deswegen in die „Schule der Liebenden“ geschickt werden, wie
       es im Untertitel steht. Huguet, der Kunstkritiker, schickt sie zu den
       Hippies, wo sie sich als Blumenkinder mit viel nackter Haus austoben
       können, wenn auch unter der strengen Aufsicht eines Kurators für Popkultur,
       der die richtigen Bilder aufhängt.
       
       Danach kommt „Le Nozze di Figaro“, weil Huguet meint, dass dort das
       Eheleben gezeigt werde, dem gutbürgerliche Hippies nun mal nicht entkommen.
       Die Nerven liegen blank. Huguet denkt an die Filme von Pedro Almodovar und
       seine ständige Bühnenbildnerin Aurélie Maestre hat ihm dafür passende
       Kulissen im Geschmack der 80er Jahre entworfen.
       
       ## Der bestrafte Wüstling
       
       Folgt „Don Giovanni“, tatsächlich die chronologisch nächste Oper nach dem
       Figaro. Der Graf, der dort das Stubenmädchen vögeln will, weil er darauf
       ein Recht zu haben glaubt, ist nun „Il dissoluto punito“ geworden, der
       bestrafte Wüstling, wie der Originaltitel lautet. Bei Huguet ist er ein
       Mode-Fotograf. Überall hängen Bilder von Helmut Newton oder Peter Lindbergh
       und die Kulissen stammen aus einem teuren Magazin für Architektur und
       Inneneinrichtung. Sehr von heute ist auch das tödliche Kontaktgift am Ende.
       
       Es ist viel los in allen drei Folgen, die jetzt zum ersten Mal kurz
       hintereinander auf der Bühne zu sehen sind. „La Nozze di Figaro“ war bisher
       Corona zum Opfer gefallen. Soweit es in den anderen Premieren zu sehen war,
       machen es optische Pointen und starke Kostüme den Sängerinnen und Sängern
       leicht, allerlei Rollen zu spielen.
       
       ## Illusion eines Zusammenhangs
       
       Aber es stimmt nichts, die willkürliche Reihenfolge der Werke täuscht einen
       Zusammenhang vor, den es nicht gibt. Die Figuren sind nicht fortsetzbar.
       Die Musik gibt ihnen Ausdruck für sehr individuelle, seelische Dramen des
       Widerspruchs zwischen Gefühl und Trieb im Kampf um die persönliche
       Freiheit.
       
       Huguets Idee einer Serie ist dagegen small talk. Philosophen wie Søren
       Kierkegaard haben versucht, Don Giovanni zu verstehen. Michael Volle singt
       ihn, am 2. April war die Premiere. Einen besseren Bariton gibt es zur Zeit
       nicht. Huguet lässt ihn machen und Volle spielt einfach sich selbst, einen
       Mann von Welt, souverän, impulsiv, auch mal grob, aber nicht bösartig. Ist
       das Don Giovanni?
       
       Auch Huguet weiß es nicht. Die Festtage der Staatsoper sind für Daniel
       Barenboim erfunden worden und nur deswegen werden sie auch dieses Jahr
       nicht in einer Katastrophe enden. Um das Salongeplauder über richtige
       Reihenfolge von Mozartopern braucht Barenboim sich nicht zu kümmern, denn
       es betrifft die Musik nicht einmal von ferne.
       
       Er lässt sich Zeit und hört zu. Diese ewigen Meisterwerke hat er schon so
       oft dirigiert, aber er scheint sie immer wieder neu begreifen zu wollen.
       Die Ouvertüre zu „Don Giovanni“ ist ein Schock. Man hat sie als dämonisches
       Grollen im Ohr, jetzt ist sie leise und schreitet ruhig voran. Es gibt
       laute Akzente, aber sie gliedern nur die Teile des musikalischen Flusses,
       die Variationen von Motiven sind und in genau ausgewogenen Zeiträumen ein
       Ganzes bilden.
       
       ## Er ist nicht wichtig
       
       Es bleibt die beiden Akte lang bei diesem zuhörenden Suchen nach dem
       musikalischen Sinn. Die Sängerinnen, vor allem Elsa Dreisig als Donna
       Elvira, haben manchmal Mühe, zu folgen, weil sie einen solchen Mozart auch
       noch nie gehört haben. Barenboim fängt sie ein und die Frage, wer Don
       Giovanni sei, findet eine Antwort: Er ist nicht wichtig. Er singt Liedchen
       zur Gitarre und albert mit Leporello herum, seinem Diener.
       
       Das große musikalische Drama liegt allein im Gesang der Frauen. Drei sind
       es, und sie alle wollen ihn loswerden, den Sexrüpel. Aber sie schaffen es
       nicht und fallen immer wieder auf ihn herein, obwohl sie es besser wissen.
       
       In Frauenhäusern spielt sich bis heute jeden Tag das Drama ab, das Mozart
       und da Ponte auf die Bühne stellten. Mit einer lustigen Höllenfahrt des Don
       Giovanni kann es nicht enden, deshalb ist es gerade kein bedeutungsloser
       Zufall, dass kurz danach „Cosí fan tutte“ entstand, der Versuch, das
       Verhältnis von gefühlter Liebe und sexueller Lust aufzuklären. Was bleibt
       uns anderes übrig? Barenboim lässt dafür die Musik heller klingen, doch die
       Frauen tragen auch jetzt wieder die volle Last des Dramas. Die Nöte der
       Männer sind nur jämmerlich komisch.
       
       Auf der Bühne zu sehen ist davon nichts. Huguets Trilogie kommt überhaupt
       nur zustande, weil sie die Etappen männlicher Karrieren erzählen will.
       [2][Barenboim hat mal wieder den falschen Regisseur erwischt.]
       
       5 Apr 2022
       
       ## LINKS
       
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