# taz.de -- Fachkräfte-Mangel in Schleswig-Holstein: Welche Ideen haben die Parteien?
       
       > In Schleswig-Holstein fehlt es besonders im Sozial- und
       > Gesundheitsbereich an Fachpersonal. Die Lösungen in den Wahlprogrammen
       > sind begrenzt.
       
 (IMG) Bild: Kennt das Problem des Personalmangels: Marco Lemke, Leiter der Kita im Kieler Heinrichs-Familienhaus
       
       NEUMÜNSTER taz | Ein Spielzeug festhalten ist schwer, sprechen lernen
       dauert lange: Für Kinder, die sich nicht wie erhofft entwickeln, gibt es
       die Frühförderung. Aktuell aber nicht in Kiel. „Wir schieben Wartelisten
       von Kindern vor uns her, die dringend Therapie brauchen“, sagt Jörg Adler,
       Vorstand des „Kieler Fensters“, das solche und andere Hilfen anbietet. Es
       fehlen Heilpädagog*innen: „Die gibt es nicht auf dem Markt“, sagt Adler.
       
       Das ist kein Einzelfall: In [1][Schleswig-Holstein] werden die Fachkräfte
       knapp. Besonders sichtbar ist das im Sozial- und Gesundheitsbereich, einer
       zentralen Branche in dem Bundesland. Welche Antworten haben die Parteien
       darauf vor der [2][Landtagswahl]?
       
       Pflege ist oft das erste Stichwort, das Politik und Öffentlichkeit zu
       Fachkräftemangel einfällt. Entsprechend konzentriert sich die aktuelle
       Regierung darauf, gering Qualifizierte aus den „unterrepräsentierten
       Gruppen“ wie Frauen, Ältere und Menschen mit Behinderungen „besser zu
       erreichen“, so steht es in einem Programm mit dem putzigen Namen „FI.SH“ –
       das steht für „Fachkräfte-Initiative Schleswig-Holstein“. Es läuft seit
       2012, zuständig ist das zurzeit von der FDP geführte
       Wirtschaftsministerium.
       
       Ein Ziel, das sich die [3][Jamaika-Regierung] für diese Legislaturperiode
       vorgenommen hatte, war die Gründung eines Instituts für Berufliche Bildung.
       Das „SHIBB“ existiert inzwischen, aber Opposition und Verbände halten es
       bisher für wenig effektiv. Zudem helfe die Suche nach angelernten Kräften
       aus dem Ausland nicht für alle Bereiche der Gesundheitsbranche, sagt
       Wolfgang Faulbaum-Decke, Geschäftsführer der Brücke Schleswig-Holstein, die
       vor allem Angebote für psychisch Kranke macht: „In der Psychiatrie ist das
       wichtigste Instrument die Sprache.“
       
       Weil Kommunen und Krankenkassen genaue Vorgaben über die Qualifikation des
       Personals machen, werben sich Arbeitgeber gegenseitig die wenigen Fachleute
       auf dem Markt ab, um Einrichtungen nicht schließen zu müssen. Das hätte
       Auswirkungen nicht nur auf die dort Betreuten, sondern auch für die
       Wirtschaft des Landes. Denn Schleswig-Holstein lebt zu einem beträchtlichen
       Teil von der Gesundheitsbranche.
       
       Rund 180.000 Menschen, mehr als 20 Prozent aller Beschäftigten im Land,
       sind sozialversicherungspflichtig in der Gesundheitsbranche beschäftigt –
       „bundesweit die Spitzenposition“, so der Dachverband „Netzwerk deutscher
       Gesundheitsregionen“ (siehe Kasten). Und der Bedarf an Fachkräften steigt,
       in Kitas wie im Krankenhaus, im Pflegebereich oder in den Pharma- und
       Medizintechnik-Firmen. Auf dem Land droht Versorgungsmangel, weil viele der
       heute niedergelassenen Ärzt*innen in den nächsten Jahren in Rente gehen.
       
       Nur gemeinsam mit Krankenkassen, Kommunen und dem Land ließe sich dem
       Mangel entgegenwirken, bevor am Ende wirklich noch Angebote schließen
       müssten, sagt Faulbaum-Decke: „Stattdessen erleben wir Druck und
       Reglementierungen.“
       
       In ihren Wahlprogrammen finden die Parteien nur begrenzt Lösungen. Die
       regierende CDU will den Weg des jetzigen FI.SH-Programms fortsetzen und
       „Potenzial stärker nutzbar machen“, indem mehr Frauen in Vollzeit arbeiten
       und Langzeitarbeitsarbeitslose und Geflüchtete besseren Zugang zum
       Arbeitsmarkt erhalten. Für die „gezielte Anwerbung von Fachkräften aus dem
       Ausland“ solle das Land ein „Welcome-Center“ schaffen – allerdings löst das
       nicht das Sprachenproblem und den Mangel an Spezialist*innen.
       
       Die SPD setzt als selbsterklärte „Partei der guten Arbeit“ auf auskömmliche
       Bezahlung. Neben dem Mindestlohn ist das Ziel eine Neuauflage des
       Tariftreue- und Vergabegesetzes, damit nur die Firmen öffentliche Aufträge
       und Förderung bekämen, die „Beschäftigte ordentlich behandeln“. Um die
       Hausärzt*innen zu entlasten und Älteren zu helfen, möglichst lange
       zuhause zu leben, will die SPD in den Gemeinden „Vor-Ort-für-dich-Kräfte“
       einsetzen, die beraten und Hilfen koordinieren. Fraglich ist, ob es
       genügend Fachleute dafür auf dem Markt gibt.
       
       Die Grünen, die dritte Partei, die sich um den Einzug in die Staatskanzlei
       bewirbt, will zunächst „dem Dozierendenmangel entgegenwirken“. Soziale
       Berufe sollen durch Akademisierung und Aufstiegschancen attraktiver werden,
       dazu sollen neue Studiengänge für Pflegeberufe entstehen. Flexible Arbeit,
       moderne Arbeitszeitmodelle in der Pflege wünschen sich die Grünen –
       schwierig, wenn Nachtdienste und Wochenendschichten besetzt werden sollen.
       Lösungen soll eine neue „Stabsstelle Pflege“ in der Regierung finden.
       
       Julia Bousboa, Sprecherin des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, weiß, dass
       der Mangel schwer zu beheben ist. „Die Wohlfahrtsverbände fordern seit
       Jahren eine echte Fachkräfteoffensive, die sich auf zwei Ziele
       konzentriert: Wie halten wir unsere heutigen Kräfte im Beruf, wie gewinnen
       wir neue?“ Eine Reihe von Ideen hätte die Branche. So schlägt Jörg Adler
       duale Ausbildungsformen vor: „So lernen die Studierenden gleich die Arbeit
       kennen.“
       
       19 Apr 2022
       
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