# taz.de -- Kürzungen an der Uni Halle-Wittenberg: Finanzielle Selbstverstümmelung
       
       > Jahrelang weigerte sich die Universiät Halle, den Sparkurs der
       > Landesregierung umzusetzen. Nun ist der politische Druck zu groß
       > geworden.
       
 (IMG) Bild: Universität Halle-Wittenberg: Jetzt geht's ans Sparen
       
       DRESDEN taz | Mitte März feierte sich Sachsen-Anhalt selbst. Der Chip-Riese
       Intel verkündete [1][eine Milliardeninvestition in zwei Werke bei
       Magdeburg.] Unter anderem mit dem Hinweis auf ein vorhandenes Potenzial
       wissenschaftlicher Fachkräfte. Drei Wochen später wird dieser Stolz auf die
       Hochschulen konterkariert, kehrt das alte Verliererimage des Landes wieder
       zurück. Die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) soll bis 2030
       etwa acht Millionen Euro sparen. Knapp jede zehnte Professur und jeder
       fünfte der 21.000 Studienplätze könnten wegfallen.
       
       So hat es der akademische Senat Anfang April selbst beschlossen, allerdings
       unter erheblichem Druck. Trotz eines Landeszuschusses von 166 Millionen
       Euro fehlen im laufenden Jahr 17 Millionen im Haushalt der MLU, mehr als in
       den Jahren zuvor. Mit 13 zu 10 Stimmen fiel die Entscheidung für die
       Selbstverstümmelung knapp aus.
       
       Die Abstimmung musste digital durchgeführt werden, weil etwa 500
       Studentinnen und Studenten den Sitzungssaal „Börse zur Tulpe“ in Halle
       blockierten. „Fächervielfalt für (H)alle“ oder „Halle ist Provinz“ stand
       auf ihren Plakaten. Ein gewohntes Protestbild an Sachsen-Anhalts größter
       und bekanntermaßen widerspenstiger Hochschule.
       
       Der dahinterstehende Konflikt reicht mindestens bis in das Jahr 2013
       zurück. Damals verordnete SPD-Finanzminister Jens Bullerjahn den
       Hochschulen eine jährliche Abschmelzung des Landeszuschusses von 430
       Millionen Euro um jeweils fünf Millionen. Nach eineinhalb Jahren Tauziehen
       einigten sich die Rektoren und der damalige Wissenschaftsminister Hartmut
       Möllring (CDU) Anfang 2015 in Bernburg auf Strukturreformen und den Abbau
       der Haushaltsdefizite.
       
       ## Abwicklung statt Entwicklung
       
       In der Folge sanken die Studierendenzahlen leicht und erholten sich erst in
       den vergangenen beiden Jahren wieder. Kein anderes Bundesland war für
       Hochschulabsolventen so unattraktiv wie Sachsen-Anhalt, zeigte eine Studie
       2016.
       
       Halle aber setzte die Schließungsvorgaben der Regierung von Anfang an nicht
       um. Geo-, Sport-, Medien- und Kommunikationswissenschaften sowie die
       Informatik standen eigentlich auf der Kippe. Proteste verhinderten diesen
       Abbau. Die Universität habe über ihre Verhältnisse gelebt und die
       wachsenden Defizite nicht ausgleichen können, wirft nun das
       Wissenschaftsministerium der MLU vor. Pikant ist, dass der heutige Minister
       Armin Willingmann (SPD) vor acht Jahren als Rektor der Hochschule Harz und
       Vorsitzender der Landesrektorenkonferenz den sogenannten Bernburger Frieden
       mit der Landesregierung aushandelte.
       
       Hochschulen müssten immer wieder überprüfen, was zu ihrer finanziellen
       Ausstattung passe und was nicht mehr zukunftsfähig sei, sagt er nun. „Die
       Martin-Luther-Universität holt diesen Prozess jetzt nach“, zitiert der MDR
       den Minister. „Es hilft vor allen Dingen, dass man die Nöte durchaus
       erkennt, und zwar auf beiden Seiten.“
       
       Am Zuge aber war jetzt ausschließlich eine Seite – die Universität –, um
       überhaupt wieder verhandlungsfähig mit dem Land zu werden. Der Preis dafür
       ist hoch. Der vom Senat beschlossene Entwicklungsplan ist in Wirklichkeit
       ein Abwicklungsplan. Vakante Stellen werden nicht besetzt, Fakultäten und
       Institute zusammengelegt. Betroffen sind Agrarwissenschaften, Biochemie,
       Pharmazie und Politikwissenschaften. [2][Orchideenfächer] wie Indologie,
       Japanologie oder Altertumswissenschaften werden absehbar wegfallen.
       
       Bis ein solcher Abbau zu finanziellen Entlastungen führt, dürften aber
       Jahre vergehen. Studierende befürchten eine Verschlechterung der
       Studienbedingungen auch dann, wenn sie ihre Abschlüsse noch erreichen. Als
       ein „fatales Signal angesichts des Fachkräftemangels“ bezeichnete
       Linken-Hochschulpolitiker Hendrik Lange die chronische Unterfinanzierung
       der Hochschulstandorte in Sachsen-Anhalt.
       
       Christian Tietje, Rektor der Uni Halle-Wittenberg, rechnet nicht mit Milde
       der Landesregierung, die offenbar eine sinkende Attraktivität ihrer
       Hochschulen in Kauf nimmt. Am vorigen Freitag lehnte auch die Mehrheit von
       CDU, SPD und FDP im Finanzausschuss des Landtages einen Antrag der Grünen
       zur Verbesserung der Hochschulausstattung ab. Die Kürzungen an der MLU
       hätten „einen gravierenden Einfluss auf die Entwicklung unseres gesamten
       Bundeslandes“, warnt deren hochschulpolitischer Sprecher Olaf Meister. Eine
       letzte Korrekturchance sieht er noch in der Haushalts-Bereinigungssitzung
       des Landtages am 4. Mai.
       
       20 Apr 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Bartsch
       
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