# taz.de -- Coronapandemie in Nordkorea: Raketen statt Vakzine
       
       > Offiziell haben sich bereits 1,7 Millionen Nordkoreaner mit Corona
       > infiziert. Die Staatsführung will von internationaler Hilfe dennoch
       > nichts wissen.
       
 (IMG) Bild: Schlechte Nachrichten: Nordkoreas Staatschef Kim Jong Un am 12. Mai im Staatsfernsehen
       
       PEKING taz | Kim Jong Un hat dieser Tage einen wahrlich vollen
       Terminkalender. Erst zu Beginn der Woche tourte Nordkoreas Machthaber,
       gekleidet in schwarzer Lederjacke und mit zwei OP-Masken im Gesicht, zu
       nächtlicher Stunde durch die Apotheken der Hauptstadt, um die medizinischen
       Vorräte zu inspizieren.
       
       Am nächsten Morgen trommelte der 38-Jährige schließlich das Politbüro für
       ein Krisentreffen zusammen. Darin sprach der Diktator in seiner gewohnt
       blumigen Sprache, er werde „die gesamte Partei wie einen aktiven Vulkan
       erwecken“.
       
       Nur wenige Tage, nachdem [1][erstmals Corona-Infektionen im Land zugegeben]
       wurden, sind die offiziellen Zahlen rasant in die Höhe geschossen: Allein
       am Mittwoch sprachen die Behörden von weiteren 230.000 Fällen, insgesamt
       sollen sich bereits 1,7 Millionen Nordkoreaner [2][angesteckt] haben. Davon
       sind über 60 an dem Virus gestorben, knapp 700.000 Menschen befinden sich
       noch in Quarantäne. Aus Mangel an PCR-Tests sind sämtliche Angaben
       allerdings eher als Richtwert zu betrachten.
       
       Die Weltgesundheitsorganisation zeigt sich dennoch besorgt, ist jedoch in
       ihrem Handlungsspielraum stark eingeschränkt: Nordkorea hat bislang auf
       keines der vielfachen Hilfsangebote reagiert. Seit letztem Jahr bereits
       versucht die Covax-Initiative, Vakzine ins Land zu entsenden. Damals hieß
       es von nordkoreanischer Seite, andere Länder würden die Impfstoffe
       dringender benötigen.
       
       ## Hilfe vom „Hund der US-Imperialisten?“ Eher nicht.
       
       Dass das Land nun täglich in seinen Propagandamedien über die
       Corona-Situation berichtet, wird von vielen Experten als taktisch gewertet.
       Dem Regime gehe es darum, internationale Hilfslieferungen abzugreifen.
       Dabei stehen viele Länder bereits Schlange, um mit medizinischem Gerät und
       Impfstoffen auszuhelfen – darunter auch Südkorea, das seit Kurzem vom
       konservativen Hardliner Yoon Seok-yeol regiert wird. „Ich habe wiederholt
       gesagt, dass ich immer offen für humanitäre Hilfe bin, ganz ungeachtet der
       militärischen Probleme, die zwischen Nord- und Südkorea liegen“, sagte Yoon
       vor der Nationalversammlung in Seoul.
       
       Doch Kim ist bislang auch darauf nicht eingegangen. Laut Südkoreas
       Vereinigungsministerium habe man über den einzig betriebsfähigen
       Gesprächskanal ein Fax gen Norden geschickt, allerdings keine Antwort
       erhalten. Das hat auch mit dem propagandistischen Gründungsmythos der
       Kim-Dynastie zu tun: Die Diktatorenfamilie behauptet von sich, ihre
       Bevölkerung vor einer feindlich gesinnten Welt zu schützen. Sich von
       Südkorea aushelfen zu lassen, dem „Hund der US-Imperialisten“, würde da
       nicht recht ins Bild passen.
       
       „Die Hilfen, die Nordkorea am Ende akzeptiert, sind möglicherweise nicht
       unbedingt die Impfstoffe“, analysiert Go Myong-hyun von der Asan-Denkfabrik
       in Seoul. Laut dem Experten geht es dem Regime in Pjöngjang an allererster
       Stelle um Kontrolle und Selbsterhalt. mRNA-Vakzine könnten diese indirekt
       untermauern, da man einerseits ausländische NGO-Arbeiter ins Land lassen
       müsste und andererseits auch externe Abhängigkeiten erzeugen würde. Und
       logistisch könnte Nordkorea die Tiefkühlkette auch gar nicht gewährleisten.
       
       Trotz allem hoben am Montag drei nordkoreanische Cargo-Flieger ab, um in
       der nordostchinesischen Stadt Shenyang Fracht aufzuladen. Ob darunter
       Impfstoffe waren, ist bislang nicht bekannt. Noch am selben Tag flogen die
       Maschinen wieder retour, wie die südkoreanische Kyunghyang Sinmun meldete.
       
       ## Paracetamol in Nordkorea, Einsperren in China
       
       Peking selbst hat starkes Interesse, seinem Nachbarn zu helfen – allein
       schon aus Selbstschutz: Beide Länder teilen eine 1.400 Kilometer [3][lange,
       poröse Grenze]. Auch wenn die Volksrepublik China in den letzten Jahren
       flächendeckend Zäune errichtet hat, besteht weiterhin die Gefahr, dass
       nordkoreanische Flüchtlinge das Virus über die Grenze schleppen könnten.
       
       Überhaupt scheint Staatschef Xi Jinping derzeit weitaus angespannter als
       sein Amtskollege Kim Jong Un. In China ließen die Zensoren gar Berichte
       über die Covid-Situation in Nordkorea löschen. Der Grund ist an Ironie
       nicht zu überbieten: Online-Nutzer haben Chinas rigide „Null
       Covid“-Maßnahmen in Frage gestellt, nachdem sie das scheinbar pragmatische
       und verhältnismäßige Vorgehen in Pjöngjang gesehen haben.
       
       „Ich habe meiner Tochter alle fünf Stunden Paracetamol, allgemeine
       Fiebermedizin und Antibiotika gegeben“, sagt eine Mutter in den Nachrichten
       des Staatsfernsehens: „Ihr Fieber ist bereits nach drei Tagen
       verschwunden.“ Was trivial klingt, dürfte viele Chinesen, die wegen Covid
       teils monatelang in ihren Wohnungen eingesperrt sind, ihre eigene Regierung
       in Frage stellen lassen.
       
       Dabei sind die nordkoreanischen Berichte vor allem auch Schönfärberei. Wer
       sich mit NGO-Mitarbeitern unterhält, die vormals in Nordkorea gearbeitet
       haben, bekommt horrende Anekdoten zu hören: In ländlichen Gebieten haben
       die Spitäler oftmals weder Antibiotika noch Zugang zu sauberem Trinkwasser.
       Und selbst in der relativ wohlhabenden Hauptstadt Pjöngjang kommt es alle
       paar Tage zu stundenlangen Stromausfällen. Nicht zuletzt trifft das Virus
       auf eine ungeimpfte Bevölkerung, die zu großen Teilen durch Tuberkulose und
       Mangelernährung geschwächt ist.
       
       Doch an diesen elementaren Problemen wird sich mittelfristig wenig ändern.
       Denn weiterhin steckt das Regime seine spärlichen Ressourcen vor allem in
       sein Militär. Derzeit deuten Satellitenbilder darauf hin, dass Kim Jong Un
       unmittelbar den Test einer Interkontinentalrakete plant – möglicherweise
       gar eine Atomrakete. Am Wochenende wäre dafür aus Sicht Pjöngjangs der
       perfekte Zeitpunkt: Dann wird nämlich US-Präsident Joe Biden auf
       Staatsbesuch in Seoul erwartet.
       
       18 May 2022
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Fabian Kretschmer
       
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