# taz.de -- Bis zu 600 Tote im Theater Mariupol: „Ein großes Massengrab“
       
       > Ein ehemaliges Team der Nachrichtenagentur AP hat Russlands Angriff auf
       > Mariupols Theater rekonstruiert. Die Befunde sind erschütternd.
       
 (IMG) Bild: „Tödlichste Einzelangriff auf Zivilisten“: das Theater von Mariupol nach dem Angriff am 16. März
       
       LWIW ap | Oksana Syomina stand im Bademantel im eisigen Keller, bedeckt mit
       dem weißen Staub der Explosion. Ihr Mann flehte sie an, nicht hinzusehen.
       Aber sie sah hin. Überall waren Leichen verstreut. Beim Hauptausgang lag
       ein kleines Kind. Syomina musste über die Toten klettern. Verwundete
       schrien. Syomina, ihr Mann und etwa 30 andere rannten Richtung Meer. „Die
       Leute sind noch unter den Trümmern, weil die Trümmer noch da sind“, sagt
       Syomina und weint. „Es ist ein großes Massengrab.“
       
       Russlands Bombardierung des [1][Theaters von Mariupol] am 16. März bleibt
       der tödlichste Einzelangriff auf Zivilisten im Ukrainekrieg. AP hat
       ermittelt, dass der Angriff viel tödlicher war als vermutet, bis zu 600
       Menschen starben. [2][AP rekonstruierte das Ereignis] mit 23 Überlebenden,
       Rettern und Menschen, die das Theater kannten. Auch Gebäudepläne, Fotos und
       Videos von vor, während und nach dem Angriff wurden anhand einer von
       Experten entwickelten Methodologie überprüft.
       
       Alle Zeugen sagten, dass sich zum Zeitpunkt des Angriffs mindestens 100
       Menschen an einer Feldküche draußen befanden. Keiner überlebte. Die Räume
       und Flure waren voller Menschen – etwa 1.000. Höchstens 200 wurden gesehen,
       wie sie das Gebäude verließen. Kein Zeuge sah ukrainische Soldaten im
       Gebäude. Keiner bezweifelte, dass ein russischer Präzisionsangriff das
       Gebäude zerstörte.
       
       Das elegante Theater mit weißen Säulen stand seit über 60 Jahren. Russland
       begann Anfang März, Mariupol zu belagern. Am 5. März suchten die
       Schauspieler und Mitarbeiter im Theater Zuflucht. Bald ordnete die Stadt
       an, das gesamte Gebäude zu öffnen. Am ersten Tag kamen 600 Menschen,
       erinnert sich Bühnenmanagerin Elena Bila.
       
       Bühnendesigner malten mit weißer Farbe das Wort „Kinder“ auf die Erde vor
       und hinter dem Theater. Bis 15. März drängten sich rund 1.200 Menschen in
       Büros, Fluren, Balkons, Keller, Gängen und in den Saal. Am Theater gab es
       Lebensmittel und Wasser vom Roten Kreuz, sowie Nachrichten über mögliche
       Evakuierungen. Die Familie Kutnjakow kam am Morgen des 16. März. „Man
       brachte uns sofort Tee“, erinnert sich die 56-jährige Galina Kutnyakowa.
       „Wir hatten seit sechs Tagen kaum etwas gegessen oder getrunken. Alle waren
       so glücklich.“
       
       „Eine Verwundete lag in einem See von Blut“ 
       
       Die 30-jährige Maria ging, um die Familie zu registrieren, und dann hinaus,
       um ihren Onkel zu suchen. Sie hörte Flugzeuge. Eines sehr nah. Dann kam die
       Explosion. Sie hielt sich an einer Mauer fest. Und dann sah sie, wie aus
       dem Park Rauch aufstieg. Ein großer Teil des roten Theaterdaches lag am
       Boden. Die dicken Mauern an der Feldküche hatten sich aufgelöst.
       
       Der Luftangriff traf das Theater gegen 10 Uhr. Maria Radionowa war draußen,
       als sie das Pfeifen des Flugzeuges hörte. Ein Mann presste sie gegen eine
       Wand, Steine flogen. Eine Verwundete lag in einem See von Blut. Radionowa
       ging zurück in das Theater. Menschen rannten schreiend umher. Auch Maria
       Kutnjakowa suchte ihre Angehörigen. Unten stand ihre Schwester, voller
       Staub, mit einer Katze. Ihre Mutter war aus dem Nebenausgang gerannt.
       
       Für Dmitri Jurin war der 16. März der 31. Geburtstag. Er ging gerade am
       Theater vorbei nach Hause, als der Luftangriff ihn zu Boden warf. Der
       Fischer stand auf und rannte los, um Menschen aus den Trümmern zu ziehen.
       „Meine Arme waren bis zu den Ellbogen voller Blut“, erinnert er sich. Die
       meisten Menschen waren unerreichbar, tief in brennenden Ruinen. Wen die
       Retter fanden, brachten sie in den Park. „Manche waren nicht mehr am
       Leben.“
       
       An eine etwa 25-jährige Frau erinnert er sich besonders. Sie legten sie auf
       ein Blumenbeet. Zwei Frauen und ein Kind versuchten weinend, sie zu
       trösten. „Stirb nicht“, sagten sie. Sie starb vor seinen Augen.
       
       Aus dem Englischen von Dominic Johnson
       
       4 May 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Theaterleiter-ueber-sein-Haus-in-Mariupol/!5843112
 (DIR) [2] https://apnews.com/article/Russia-ukraine-war-mariupol-theater-c321a196fbd568899841b506afcac7a1
       
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