# taz.de -- Kennzeichnung für gute Tierhaltung: Verwaschene Bestnote
       
       > Auch konventionelle Tierhaltung soll die Kennzeichnung für die besten
       > Ställe erreichen können. Dazu rät eine Kommission des Agrarministeriums.
       
 (IMG) Bild: Dem Kalb ist es egal, ob sein Futter gesund ist, es will raus an die frische Luft
       
       BERLIN taz | Eine vom Bundesagrarministerium eingesetzte Expertenkommission
       hat sich gegen eine eigene Biostufe in der geplanten, staatlichen
       Tierhaltungskennzeichnung ausgesprochen. Die Kommission unter Leitung des
       ehemaligen CDU-Landwirtschaftsministers Jochen Borchert empfiehlt in ihrer
       [1][Stellungnahme], die höchste Haltungsstufe „sowohl für ökologische wie
       auch für konventionelle Betriebe zugängig zu machen“.
       
       Damit stellen sich alle Kommissionsmitglieder aus Behörden, Wissenschaft,
       Praxis, Branchenverbänden und Umweltorganisationen bis auf den Vertreter
       des Bioverbands Naturland gegen eine Forderung der Ökobranche. Sie hatte
       verlangt, dass die höchste Stufe [2][Biobetrieben vorbehalten] sein muss.
       
       Die Empfehlungen der Kommission könnten die Position von
       Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) beeinflussen, der an [3][einem
       Gesetzentwurf für eine verpflichtende Tierhaltungskennzeichnung] arbeitet.
       Diese soll laut dem [4][Ampel-Koalitionsvertrag] den VerbraucherInnen
       zeigen, unter welchen Bedingungen die Tiere lebten sowie transportiert und
       geschlachtet wurden.
       
       Ende März machte das Agrarministerium Branchenverbänden den [5][Vorschlag]
       nach dem Vorbild der Eierkennzeichnung. Er sah 4 Stufen vor: 0 = Bio, 1 =
       Auslauf, 2 = Außenklima und 3 = Stall. Transport und Schlachtung sollten
       doch nicht berücksichtigt werden. Das war ganz im Sinne der Bioverbände,
       die traditionell eng mit den Grünen verbandelt sind. Denn nach dem Entwurf
       hat Öko automatisch die beste Stufe – und zwar exklusiv. Biotiere werden
       meist auch nicht besser als konventionelles Vieh transportiert und getötet.
       Deshalb haben BiolandwirtInnen kein besonderes Interesse daran, dass diese
       Punkte für die Kennzeichnung relevant werden.
       
       ## Wieviel gesünder ist bio?
       
       Für diese Bevorzugung von Bio gebe es aber „keine fachliche Begründung“,
       konterte Agrarprofessor und Kommissionsmitglied Harald Grethe im
       Branchendienst [6][Agra Europe]. Auch [7][Albert Sundrum], Leiter des
       Fachgebiets Tierernährung und Tiergesundheit an der Uni Kassel, betont
       immer wieder, dass Biotiere nicht grundsätzlich gesünder seien. Manche
       konventionellen Bauern haben sogar tierfreundlichere Ställe als viele
       Biobetriebe. Das Neuland-Siegel etwa verbietet perforierte Böden komplett,
       Ökovorschriften erlauben sie auf 50 Prozent der Fläche. Dass Biobauern auf
       chemisch-synthetische Pestizide bei der Futterproduktion verzichten, wirkt
       sich nicht aufs Befinden der Tiere aus.
       
       Die Kommission argumentiert außerdem, dass Bio schon heute durch die
       verbindliche EU-Kennzeichnung und das deutsche Biosiegel sichtbar werde.
       „Eine auch für konventionelle Betriebe zugängige Premiumstufe ist vor allem
       wichtig, um möglichst viele Betriebe für eine Umstellung auf ein hohes
       Tierwohlniveau zu gewinnen und die entsprechenden Anreize nicht auf
       ökologisch wirtschaftende Betriebe zu begrenzen“, so die ExpertInnen
       weiter.
       
       Die vom Ministerium vorgeschlagene Nummerierung von 0 bis 3 würde die
       VerbraucherInnen verwirren, heißt es in der Empfehlung. Die
       Supermarktketten hätten bereits ihre Kennzeichnung von 1 (Stallhaltung) bis
       4 (Premium) etabliert. Sie würde wohl noch längere Zeit neben dem
       staatlichen System existieren, weil dieses vorerst nur für die Schweinemast
       kommen soll. Die Kommission rät deshalb, „entweder die
       privatwirtschaftliche Ziffernreihenfolge von 1 bis 4 aufzugreifen oder ganz
       auf die Ausweisung einer numerischen oder alphanumerischen Ordnung zu
       verzichten“.
       
       ## Etabliertes aufgreifen
       
       Eine Stufe könnte zum Beispiel „[8][Stall plus]“ heißen. Die gibt es schon
       in der Kennzeichnung des Handels. Sie sieht mehr Platz und mehr
       Beschäftigungsmaterial für die Tiere vor, als das Gesetz verlangt. Im
       System nach dem Vorbild der Eierkennzeichnung wären solche „Stall
       plus“-Anlagen auf der schlechtesten Stufe („Stall“), weil sie weder Zugang
       zum Außenklima noch einen Auslauf bieten. Die Kommission warnt, dass dann
       die jetzigen „Stall plus“-Bauern wieder auf den gesetzlichen
       Mindeststandard umstellen, denn Außenklima und Auslauf sind für viele zu
       teuer. Immerhin würden schon fast die Hälfte der Mastschweine nach den
       Stall-plus-Kriterien gehalten.
       
       Die Biobranche lehnte den Vorstoß jedoch ab: „Die jüngste Empfehlung der
       Borchert-Kommission läuft darauf hinaus, dass nicht nur beim gesetzlichen
       Mindeststandard, sondern auch bei der nächsten Stufe den Schweinen
       weiterhin die Schwänze abgeschnitten werden müssten, weil der Stall zu
       klein ist“, kritisierte Tina Andres, Vorsitzende des Bundes Ökologische
       Lebensmittelwirtschaft (BÖLW).
       
       Die KundInnen müssten Biofleisch durch „eine Kennzeichnung – wie beim Ei –
       klar unterscheiden können von anderen Qualitäten“. Der Umweltbeitrag der
       Ökolandwirtschaft trage zum Tierschutz bei: „Auch Wildtiere wie Feldhase,
       Biene oder Rebhuhn bekommen mit Ökolandwirtschaft gesunde Lebensräume. Denn
       Bio kommt ohne chemisch-synthetische Pestizide und Kunstdünger aus.“
       
       11 May 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Tiere/Nutztiere/kompetenznetzwerk-nutztierhaltung-april-2022.pdf?__blob=publicationFile&v=4
 (DIR) [2] https://www.agrarzeitung.de/nachrichten/politik/interview-mit-naturland-praesident-hubert-heigl-die-hoechste-stufe-muss-bio-sein-101094?crefresh=1
 (DIR) [3] /Bauernfuehrer-ueber-Reform-der-Tierhaltung/!5828632
 (DIR) [4] https://www.spd.de/koalitionsvertrag2021/
 (DIR) [5] https://www.topagrar.com/management-und-politik/news/bmel-will-tierhaltungskennzeichnung-am-eier-modell-orientieren-13064761.html
 (DIR) [6] https://www.topagrar.com/management-und-politik/news/agraroekonom-grethe-zur-tierhaltungspolitik-warme-worte-reichen-nicht-13084326.html
 (DIR) [7] /Gesundheit-von-Kuehen/!5343397
 (DIR) [8] https://www.haltungsform.de/stallhaltung-plus/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jost Maurin
       
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