# taz.de -- Das Ende von Wandel durch Handel: Die Aufgabe rein ökonomischer Logik
       
       > Der Krieg in der Ukraine hat die Vorherrschaft der rein ökonomischen
       > Logik unterbrochen. Seitens Russlands rückt an ihre Stelle die der
       > Ideologie.
       
 (IMG) Bild: Frau am Grab einer Angehörigen in Ukraine
       
       Dieser Krieg ist nicht die Fortsetzung einer alten Logik, sondern der
       Beginn einer neuen. Er ist eine Zäsur. Zu dieser Zäsur gehört die Aufgabe
       der rein ökonomischen Logik. So unklar die Situation, so ungewiss und
       unvorhersehbar der Ausgang aus diesem ganzen Desaster ist – eines ist
       eindeutig: Der Krieg in der Ukraine hat mit einem Schlag die Vorherrschaft
       der rein ökonomischen Logik unterbrochen. Das meint nicht nur das Ende der
       Überzeugung eines „Wandels durch Handel“, sondern auch das Aussetzen der
       ganz banalen Profitlogik.
       
       Reden wir jetzt nicht vom Leid der Menschen. Von der Angst. Von den
       unerträglichen Verhältnissen. Von den Toten. Wenn man all das einmal
       ausblendet. Wenn man einen Moment lang davon abstrahiert, dann bleibt: eine
       Verheerung. Alleine die Bilder aus der devastierten Hafenstadt Mariupol
       zeigen das täglich.
       
       Es gab ja mal das Gerücht, es könnte am 9. Mai, am Tag der Siegesfeier,
       eine russische Militärparade ebendort geben. In Mariupol. Mariupol, das ist
       jene Stadt, wo noch schnell die Leichen von den Straßen weggeräumt wurden –
       in mobilen Krematorien entsorgt. Mariupol, das ist jene Stadt, die in
       Schutt und Asche bombardiert wurde – eine Ansammlung devastierter,
       skelettierter Häuser. Nichts als Zerstörung. Mariupol, das ist ausgelöscht.
       Eine Geisterstadt. So hat sich das Gerücht schlussendlich auch nicht
       realisiert. Es gab hier keine Parade am 9. Mai. Es wäre ein Sinnbild
       gewesen. Das Bild eines Pyrrhussieges.
       
       Ein Land in Schutt und Asche zu legen ist, ganz nüchtern betrachtet, rein
       ökonomisch eine unproduktive Verausgabung. Eine sinnlose Verschwendung
       (außer für diverse Kriegsgewinnler). Der Krieg folgt also nicht der – in
       jeder Hinsicht – berechenbaren Profitlogik.
       
       ## Abschied von rechtlicher Logik
       
       Zu der Zäsur dieses Krieges gehört aber nicht nur das Aufgeben der
       ökonomischen Logik – zu ihr gehört auch der Abschied von der rechtlichen
       Logik. [1][Putin ersetzt das Völkerrecht durch die Geschichte], so der
       Historiker Wilfried Jilge. Statt bindender rechtlicher Regeln gibt es
       freihändige historische Analogien. Man weckt damit Erinnerungen, befördert
       Emotionen, liefert eine „Legitimation“ des eigenen Handelns. Keine
       rechtliche, aber eine emotionale. Denn das Beschwören der eigenen
       Geschichte, der Anspruch diese weiter zu schreiben, gibt dem eigenen
       Handeln Bedeutung.
       
       Genau damit wurde aber eine andere [2][Logik in diesem Krieg zentral: jene
       der Ideologie.] Nicht im Sinne von einem eindeutigen Weltsystem – sondern
       im Sinne von unangemessenen, aber bewegenden Ideen. Aber obwohl Putin die
       Auseinandersetzung auch auf dem Feld der Ideologie eröffnet hat, fährt die
       Ernte auf diesem ideologischen Feld ein anderer ein.
       
       Als Selenski und sein Team die Wahlen gewonnen haben, sollen die
       Putin-Leute gemeint haben: Die können nur Videos machen. Eine Kompetenz,
       die die Russen eindeutig unterschätzt haben. Selenski bespielt damit die
       ideologische Front weltweit. Während Putins Demoralisierung des Westens
       nach hinten losgegangen ist, ist diese Moralstrategie umso erfolgreicher.
       
       Die dem Krieg eigene Logik führt auch dazu, sämtliche Prognosen zu
       unterlaufen. Prognosen sind derzeit „nicht belastbar“, wie es der Soziologe
       Harald Welzer kürzlich genannt hat. Warum? Weil es stets ein Rechnen mit
       mehreren Unbekannten ist – gegen die Unberechenbarkeit der Kriegsdynamik.
       Denn diese folgt ihrer eigenen unabsehbaren Logik.
       
       Und diese Kriegslogik besteht auch darin: Alles kann ihr zum Auslöser einer
       Eskalation werden – einer Steigerung, einer Intensivierung, einer
       Ausdehnung des Kriegsgeschehens. Ebenso aber gilt auch der umgekehrte Fall
       – was die Prognosen nicht glaubwürdiger macht und die Befürchtungen nicht
       geringer: Statt Eskalation kann der Krieg einfach auf Dauer gestellt
       werden.
       
       Ein Zermürbungskrieg auf Jahre. Eine Verheerung ohne Ende. Eben deshalb
       gibt es auch kein belastbaren Prognosen und kein klares Ausstiegsszenario.
       Was wäre ein solches? Ein Sieg, ein Kompromiss? Wie sähe ein solcher denn
       aus – territorial, politisch? Da ist nichts in Sicht. Kein
       Ausstiegsszenario. Nirgends.
       
       24 May 2022
       
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