# taz.de -- Debatte um Förderschulen in Niedersachsen: „Die Umsetzung läuft schleppend“
       
       > Der GEW-Vize Holger Westphal sieht mit Sorge auf die Wahl in
       > Niedersachsen. CDU und FDP wollten den Wandel zur inklusiven Schule
       > stoppen.
       
 (IMG) Bild: Gemeinsam oder getrennt beschult: Inklusion polarisiert den beginnenden Wahlkampf in Niedersachsen
       
       taz: Herr Westphal, sind Sie als Förderschullehrer von der Inklusion
       überzeugt? 
       
       Holger Westphal: Ja. Ich bin seit 1997 im niedersächsischen Schuldienst und
       lernte seither [1][Inklusion kennen]. Ich weiß aus Erfahrung, dass der
       Unterricht in inklusiven Klassen für alle Schülerinnen und Schüler
       gewinnbringend ist. Das gemeinsame Lernen insgesamt kann den Lernerfolg
       aller Klassen wesentlich verbessern.
       
       Nun will die [2][FDP die Förderschulen Lernen] erhalten. Was sagen Sie
       dazu? 
       
       Das bereitet [3][uns in der GEW] große Sorge. Denn die Umsetzung der
       Inklusion, immerhin ein Menschenrecht, läuft sehr, sehr schleppend. Hier in
       Niedersachsen kam es durch die Landesregierung zu einem Stillstand. Sie
       hätte mehr Ressourcen stellen müssen, um Inklusion wirklich gelingen zu
       lassen. Das Ganze jetzt wieder zurückzudrehen und zu sagen: Wir eröffnen
       wieder die Förderschulen Lernen und erhalten langfristig dieses
       Parallel-System, das zu viele Ressourcen bindet, ist falsch.
       
       Was heißt Stillstand? 
       
       Für die Inklusion brauchen wir pädagogische Fachkräfte unterschiedlicher
       Berufsgruppen: also Erzieherinnen, Therapeutinnen, Sozialpädagoginnen. Und
       dieser Aufbau der multi-professionellen Teams wurde nahezu nicht in Angriff
       genommen. Es fehlte auch die Versorgung mit Lehrkräften, um die Klassen zu
       verkleinern und um als Tandem im „Team-Teaching“ zu unterrichten. Ganz
       häufig erleben wir sogar, dass Förderschul-Lehrkräfte andere vertreten
       müssen, weil sonst die gesamte Schule nicht mehr funktioniert.
       
       Liegt das an der großen Koalition im Land? 
       
       Ja. CDU und SPD liegen bei Inklusion weit auseinander. Die SPD, die zuvor
       mit den Grünen viel dafür getan hat, wäre diesen Weg weitergegangen. Aber
       die Ziele der CDU in Bezug Inklusion liegen nahe bei der FDP. Und die würde
       gerne die „leistungshomogenen“ Gruppen im gegliederten Schulsystem
       erhalten. Dazu gehört, dass es eine Förderschule gibt, die alle aufnimmt,
       die scheinbar nicht mitkommen.
       
       Welche Schüler sind das? 
       
       Schülerinnen und Schüler, die Probleme haben, den Lernstoff in der Zeit
       aufzunehmen, die der Durchschnitt einer Klasse dafür braucht. Es gibt
       verschiedenste Gründe, warum ihnen das nicht so gut gelingt: physiologische
       oder soziale. Manche kommen aus einem schwierigen Umfeld, oder sie haben
       eine leichte Entwicklungsverzögerung, was dazu führt, dass sie den
       Lernstoff manchmal über andere Kanäle besser wahrnehmen. Also einfach mehr
       Bewegung im Lern-Alltag brauchen und nicht acht Stunden sitzen können.
       
       Warum sind homogene Gruppen nicht förderlich? 
       
       Alle Schüler sind in homogenen Gruppen schlecht aufgehoben, denn man lernt
       von der Vielfältigkeit. Und wenn zum Beispiel diese Schüler einen Ansporn
       erhalten oder auch andere Lernwege von Klassenkameraden beobachten, dann
       können sie häufig die Schwierigkeiten kompensieren. Ich erlebte noch nie
       Schüler, die nicht in einem Punkt auch eine absolute Stärke mitbringen.
       Auch die Wissenschaft kommt zu positiven Ergebnissen, nimmt man zum
       Beispiel die Untersuchung von Rolf Werning aus Hannover, der die Professur
       Inklusion inne hatte.
       
       Wird Inklusion Thema im Niedersachsen-Wahlkampf? 
       
       Ich denke ja. Gemeinsame Beschulung versus gegliedertes Schulsystem – das
       ist ein Thema, das auch sehr polarisiert. CDU und FDP wollen Förderschulen
       erhalten. Nach den jüngsten Anträgen der FDP und dem, was CDU und FDP
       bisher äußern, zeigt sich deutlich, dass ihr Weg zur Inklusion über die
       Förderschule führt. Das heißt, die Kinder müssen erst richtig gut werden,
       damit sie dann auch in die Gesellschaft dürfen. Das ist die Manifestation
       eines stark gegliederten Schulsystems, in dem die Förderschule „Resterampe“
       ist. Dabei gab es noch im Herbst im Landtag Konsens, sie auslaufen zu
       lassen. Den haben CDU und FDP verlassen.
       
       Was sagen die anderen? 
       
       SPD und Grüne bekennen sich zur Inklusion, auch zum Aufbau
       multiprofessioneller Teams, und würden den Weg als Koalition weitergehen.
       
       27 May 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Sozialpaedagogen-ueber-Inklusion/!5749960
 (DIR) [2] https://www.landtag-niedersachsen.de/Drucksachen/Drucksachen_18_12500/10501-11000/18-10729.pdf
 (DIR) [3] https://www.gew-nds.de/inklusion
       
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 (DIR) Kaija Kutter
       
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