# taz.de -- Infrastruktur in der Ukraine: Statistik der Zerstörung
       
       > Tausende Wohnungen, Krankenhäuser und Schulen sind dem Krieg bereits zum
       > Opfer gefallen. Ein Wiederaufbau könnte zehn Jahre dauern.
       
 (IMG) Bild: Was mal eine Schule im Nordosten Charkiws war, ist nach Abzug russischer Truppen nur noch Schutt
       
       KYJIW taz | „Das ist mein Haus. Also das, was davon übrig geblieben ist.“
       Olexander aus Hostomel zeigt das Bild eines modernen zweistöckigen
       Einfamilienhauses. Im März wurde das Gebäude von einer Rakete getroffen.
       Durch die Explosion wurden Fenster und Türen zerstört und im Inneren des
       Hauses steht keine Wand mehr. „So wie mein Haus sieht jetzt [1][ein Drittel
       des Landes] aus“, sagt der Mann ironisch, und fügt hinzu, dass er die
       Renovierung für die Zeit gleich nach Kriegsende schon eingeplant habe.
       
       Im Kyjiwer Gebiet gibt es viele Familien in ganz ähnlichen Situationen wie
       Olexander, ohne Dach über dem Kopf. Die lokalen Behörden sprechen von 161
       total zerstörten Mehrgeschossern und 4.674 kaputten Einfamilienhäusern.
       Bislang wurden in der Ukraine rund 40 Millionen Quadratmeter Wohnraum
       zerstört.
       
       Insgesamt belaufen sich im Land verschiedenen Schätzungen zufolge die
       direkten Verluste bei der Infrastruktur und der ukrainischen Wirtschaft auf
       600 Milliarden Dollar. Und diese Verluste, so der ukrainische
       Premierminister Denys Schmyhal, werden von Tag zu Tag größer, denn die
       Kampfhandlungen und Raketenangriffe dauern an.
       
       ## Krankenhäuser und Schulen
       
       Dieses Jahr müssen Tausende ukrainische Schulkinder zu Hause lernen, und
       das nicht nur wegen des Home Schoolings, sondern weil viele Schulen nicht
       mehr nutzbar sind. Nach Angaben aus dem Büro des ukrainischen
       Generalstaatsanwaltes wurden schon mehr als 1.800 Bildungseinrichtungen bei
       Kampfhandlungen zerstört – also Kindergärten, Schulen und Universitäten, 95
       davon vollständig.
       
       Von den Objekten der sozialen Infrastruktur in der Ukraine, die unter den
       russischen Angriffen gelitten haben, sind die meisten Krankenhäuser. Mit
       Stand Mai 2022 wurden in der Ukraine bereits 600 medizinische Einrichtungen
       zerstört, 101 davon vollständig.
       
       Gesundheitsminister Wiktor Ljaschko gibt an, dass die Krankenhäuser,
       abhängig von der Region, in der sie sich befinden, unterschiedlich stark
       zerstört seien. An einigen Orten reicht es, neue Fenster einzusetzen.
       Anderenorts müssen komplett neue Gebäude errichtet werden.
       
       Ljaschko sagte auch, dass es nicht immer möglich sei, aus den besetzen
       Gebieten vollständige und verlässliche Angaben über den Zustand der
       medizinischen Infrastruktur zu erhalten. „Wir kennen nicht die exakten
       Verluste in Mariupol, Wolnowacha, in Teilen der Gebiete Donezk und Luhansk,
       und auch nicht in den Gebieten Cherson und Saporischschja “, so der
       Minister.
       
       Im Ukrainischen Gesundheitszentrum (UHC), einer
       Nichtregierungsorgansiation, wird sorgfältig jeder Angriff auf medizinische
       Objekte aufgelistet, um später die Russische Föderation vor internationalen
       Gerichten für Verletzungen von Konventionen zu verklagen. „Am Beispiel der
       Ukraine wollen wir zeigen, dass Russland zielgerichtet und systematisch die
       Gesundheitsfrage als Instrument der Kriegsführung missbraucht“, sagte der
       Mitbegründer des UHC, Pawlo Kowtonjuk. Er ist davon überzeugt, dass die
       Angriffe auf ukrainische Krankenhäuser kein Zufall sind, sondern so etwas
       wie begleitende Kampfmaßnahmen.
       
       In der Weltgesundheitsorganisation WHO betrachtet man diese Angriffe
       ebenfalls als Verstoß gegen internationale Menschenrechte und als
       Kriegsverbrechen. Aktuell verzeichnet die WHO schon mehr als 200 solcher
       Vorfälle in der Ukraine.
       
       ## Straßen und Brücken
       
       Ein weiterer stark vom Krieg betroffener Bereich der ukrainischen
       Infrastruktur sind Straßen und Brücken. Die Staatliche Agentur für
       Straßenwesen in der Ukraine (Ukrawtodor) beziffert die Verluste hier auf um
       die 30 Milliarden Dollar.
       
       „Das sind 24.000 Kilometer Straßen, von denen 9.000 staatliche Straßen
       sind“, sagte Andri Iwko von Ukrawtodor. Er sagt auch, dass der vollständige
       Wiederaufbau drei bis vier Jahre dauern würde, wenn die erforderlichen
       Mittel zur Verfügung stünden.
       
       Derzeit beschäftigt sich die Organisation mit der Wiederherstellung von
       Verkehrswegen in den Gebieten, die nicht mehr russisch okkupiert sind. In
       Irpin, Butscha und Hostomel wurden schon 500 Kilometer Straßen und Wege
       erneuert. Anstelle der 37 zerstörten Brücken wurden 17 temporäre
       Überquerungen gebaut, auf denen schon jetzt der Verkehr fließt.
       
       Iwko merkt an, dass die Hauptaufgabe nun sei, so schnell wie möglich die
       Verkehrswege dort wieder herzustellen, wo Brücken zerstört worden waren. Er
       bezieht sich dabei hauptsächlich auf die Gebiete Kyjiw und Tschernihiw.
       „Noch kommen wir nicht überall hin, weil die Gebiete noch nicht alle
       minenfrei sind. Wir haben Verbindungen über Flüsse wieder hergestellt, aber
       das sind einstweilen noch Provisorien. Die richtigen Bauarbeiten können
       erst nach Kriegsende beginnen“, erklärt Roman Smijanenko, der Leiter der
       Straßenverwaltung im Gebiet Tschernihiw.
       
       ## Kirchen und Museen
       
       Auch [2][das kulturelle Erbe der Ukraine hat unter dem starken Beschuss
       vonseiten der russischen Armee gelitten]. Ins Visier genommen wurden
       religiöse Stätten, Museen, Galerien und Theater.
       
       Am 27. Mai nannte das ukrainische Kulturministerium 367 Verbrechen gegen
       Einrichtungen des kulturellen Erbes der Ukraine. Bekannt ist derzeit die
       vollständige Zerstörung von neun Kulturobjekten, der Zustand von 23
       weiteren ist nicht bekannt. Die stärksten Zerstörungen wurden aus Charkiw
       und Umgebung bekannt sowie aus Mariupol und dem Kreis Butscha bei Kyjiw.
       
       Zu den Objekten, die am stärksten von Zerstörungen betroffen sind, gehören
       orthodoxe und katholische Kirchen, protestantische Gebetshäuser, Moscheen
       und Synagogen. Das ukrainische Kulturministerium hat dazu eine
       [3][interaktive Karte] erstellt, auf der diese zerstörten Gebäude
       verzeichnet sind. Dort wird ersichtlich, dass der Großteil der zerstörten
       Gotteshäuser zur orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats gehört – mehr
       als 40 Objekte im Norden und Osten der Ukraine.
       
       Außerdem wurden 42 Denkmäler, 29 Museen und Naturschutzgebiete, 74
       Kulturhäuser, Theater und Bibliotheken sowie historische Gebäude zerstört.
       Darunter auch das Dramatheater in Mariupol.
       
       ## Wiederaufbau?
       
       Im Verlauf der Kampfhandlungen hat in den letzten drei Monaten auch die
       Luftfahrtinfrastruktur der Ukraine stark gelitten. Im Januar 2022 waren im
       Land 36 Flugplätze registriert, darunter 17 internationale Flughäfen. Bis
       heute wurden elf dieser Flughäfen zerstört.
       
       In der Ukraine gab es bis zum Krieg [4][15 Wärmekraftwerke und 12
       Wasserkraftwerke], sieben davon sind jetzt kaputt, das sind etwas mehr als
       ein Viertel. Zudem hat das Land rund 200 Fabriken verloren, was zur
       Schließung von 17 Prozent aller Unternehmen führte.
       
       Nach verschiedenen Experteneinschätzungen werden für den kompletten
       Wiederaufbau aller zerstörten Infrastruktureinrichtungen etwa zehn Jahre
       benötigt. Doch bereits jetzt ist klar, dass als Folge des russischen
       Großangriffs auf die Ukraine ein umfassender Wiederaufbau des Landes
       erforderlich ist. Die ukrainische Regierung setzt dabei auf die Hilfe
       internationaler Partner – und erwartet, dass das Aggressorland für die
       angerichteten Schäden bezahlt.
       
       Aus dem Russischen Gaby Coldewey
       
       4 Jun 2022
       
       ## LINKS
       
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