# taz.de -- Cathal Coughlan ist gestorben: Zwischen Wohlklang und Pessimismus
       
       > Der irische Songwriter und Bandleader Cathal Coughlan ist gestorben.
       > Nachruf auf einen unterbewerteten Künstler.
       
 (IMG) Bild: Cathal Coughlan bei einem Konzert im Londoner Southbankcentre, April 2016
       
       New Wave als Lebensretter? Zumindest stellte es der Sänger und Komponist
       Cathal Coughlan in dem Song „Give Me All Of Your Clothes“ so dar: „I went
       to college / and I was so messed up / but I found New Wave / and so I was
       saved.“ Der Song fand sich auf „Crooked Mile“, dem 1987 veröffentlichten
       dritten Album seiner Band Microdisney. Coughlan hatte die Band 1980
       zusammen mit dem Gitarristen und Songschreiber Sean O’Hagan gegründet.
       
       Die beiden hatten sich in ihrer irischen Heimatstadt Cork kennengelernt und
       über gemeinsame ungewöhnliche musikalische Vorlieben – Beach Boys plus Punk
       plus Country – schnell zusammengefunden. Gemeinsam schufen die beiden Iren
       in der musikalisch eher armseligen zweiten Hälfte der 1980er Jahre ein
       erstaunliches Œuvre von sophisticated Popsongs.
       
       Weit entfernt von den gängigen damaligen Angeboten, vom
       Koks-Pop-Rock-Konsens, vom Sixties-Retro-Eskapismus, von Post-Punk oder New
       Metal, lebten Microdisney-Songs vom scheinbaren Widerspruch zwischen
       erlesen komponiertem und ausgeführtem freundlichen Wohlklang und
       weltabgewandt-pessimistischen Texten.
       
       Damit schaffte es ihr zweites Album „The Clock Comes Down the Stairs“ 1986
       immerhin auf die Spitzenposition der britischen Indie-Charts. Das brachte
       einen Vertrag mit dem Major-Label Virgin, der aber nicht in die
       Major-Charts, sondern eher ins Nirgendwo führte, woraufhin sich die Band
       auflöste und Coughlan und O’Hagan sich so nachhaltig zerstritten, dass von
       beiden Seiten in späteren Jahren eine zukünftige Versöhnung zunächst
       ausgeschlossen wurde.
       
       So gingen beide in die Extreme: O’Hagan frönte als externer Co-Worker bei
       der Londoner Band Stereolab, mit dem US-Künstler Jim O’Rourke und mit
       seiner eigenen Band The High Llamas endlich ausgiebig seiner
       Brian-Wilson-Leidenschaft und veröffentlichte Album um Album mit
       chillig-wehmütigen Strandklängen. Coughlan ließ sich von Grunge
       beeindrucken und verwirklichte mit den Fatima Mansions eine fast
       antimusikalisch aggressive Noise-Vision – „getrieben von Alkohol und
       Koffein“, wie er später verriet –, die die Band absurderweise ins
       Vorprogramm einer U2-Welttournee brachte.
       
       In den nuller Jahren hatte sich Coughlan beruhigt und kam als Solist
       zurück, der eine Art Brecht-Weill-Weg fand, seine unterschiedlichen
       Neigungen, Anliegen und Talente in ein großes Ganzes zu morphen. Sein
       kraftvoller, runder Bariton hatte durch die Jahre zorniger Schreierei eine
       nicht unattraktive weiche Heiserkeit hinzugewonnen. Mit einer Band, zu der
       unter anderen der Fatima-Mansions-Schlagzeuger Nick Allum, die Cellistin
       Audrey Riley und der Multiinstrumentalist James Woodrow – die beiden
       Letzteren sonst im E-Musik-Ensemble Icebreaker aktiv – gehörten,
       veröffentlichte er eine Reihe Soloalben mit bedrohlich-düsteren, exzellent
       durchkomponierten Liedern, die Standards setzten, wie erwachsene Songmusik
       im 21. Jahrhundert klingen kann.
       
       ## Reifer Erzähler wohlkonstruierter Geschichten
       
       Die Wutexzesse der früheren Jahre lauerten noch in tieferen Schichten, aber
       vor allem präsentierte sich Coughlan als reifer Erzähler wohlkonstruierter
       Geschichten. Allerdings waren sie vergiftet: voller Verderbnis, Inzest,
       Feuersbrünsten, Terrorismus und Turbokapitalismus; religiöse
       Institutionen, globale Bankkonsortien und multinationale Bestimmer
       spielten darin die entscheidend todbringenden Rollen.
       
       Leider bekam das außerhalb der Britischen Inseln kaum jemand mit. Doch
       irgendwie und nicht zuletzt durch Kulturinstitutionen wie das Edge
       Festival in Edinburgh und die Mittel, die seine Heimatstadt Cork als
       Europäische Kulturhauptstadt 2005 erhielt, konnte sich Coughlan weiterhin
       ambitionierte Projekte wie den 2006 veröffentlichten Liederzyklus „Foburg“
       leisten und schließlich auch zusammen mit dem australischen Autor Andrew
       Müller und Luke Haines – Indie-Rock-Historikern vor allem als Kopf von The
       Auteurs bekannt – das so lustige wie schlaue Album „The North Sea Scrolls“
       (2012) realisieren. Seine Songs erzählen eine alternative Historie, in
       der Irland die bestimmende Macht auf den Britischen Inseln ist und die
       Engländer unterdrückt und kleinhält.
       
       Schließlich söhnte sich Coughlan mit Sean O’Hagan aus: 2018 und 2019 gab es
       Microdisney-Reunion-Konzerte, und Coughlan sang auf O’Hagans Soloalbum
       „Radum Calls, Radum Calls“ (2019). Auf Coughlans letztem Album, „Song of
       Co-Aklan“, 2021 veröffentlicht und so brillant wie eh und je, gastieren
       neben O’Hagan auch etliche andere Weggefährten wie Jon Fell (Microdisney),
       Luke Haines und Aindrías Ó Grúama (Fatima Mansions). Kurz danach erschien
       noch das Album „a hAon“ des Elektronikprojekts Telefís, das Coughlan
       zusammen mit dem U2-Produzenten Jacknife Lee betrieb. Cathal Coughlan
       starb nach langer Krankheit am 18. Mai.
       
       29 May 2022
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Detlef Diederichsen
       
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