# taz.de -- Besuch im Anti-Kriegs-Museum: Von Grenzen und Gefahren
       
       > Das Berliner Anti-Kriegs-Museum, vor 40 Jahren gegründet, wurzelt in der
       > Idee des Pazifismus. Wir haben mit seinem Gründer über den Krieg
       > gesprochen.
       
       400 Sirenen will der Senat jetzt aufstellen lassen. Sirenen, die in den
       90er Jahren aus Kostengründen abgeschafft wurden und deren Geheul nun
       wieder vor Katastrophen warnen soll – vor einem nuklearen Raketenangriff
       zum Beispiel. So nah ist uns der Krieg schon wieder gekommen.
       
       Wir sind mit Tommy Spree verabredet, dem Gründer und Leiter des kleinen
       Anti-Kriegs-Museums im Wedding, um mit ihm über die aktuelle Lage zu
       sprechen. Spree wurde 1940 in London geboren, wohin seine Familie geflohen
       war. Sein Großvater war Ernst Friedrich, der als Anarchist und Pazifist im
       Berlin der 20er Jahre Deutschlands erstes Anti-Kriegs-Museum aufbaute.
       1982, vor genau 40 Jahren, gründeten Spree und andere Mitglieder der
       Friedensbewegung das Museum erneut.
       
       Die Ausstellungsräume sind in einer Ladenwohnung in der Brüsseler Straße
       untergebracht. Spree sitzt in der Sofaecke des kleinen Büros, es gibt
       Earl-Grey-Tee und Kekse. Have a biscuit, will you?, sagt der Mann mit dem
       grauen Bart, er streut gerne ein bisschen Englisch ein. In England hat er
       seine Kindheit verbracht, „Tommy“ ist eigentlich ein Spitzname, den der
       Zurückgekehrte am Ende einfach angenommen hat.
       
       Kann Spree gut schlafen in diesen Tagen? Er überlegt. „Wahrscheinlich
       besser als viele junge Leute“, sagt er dann. „Ich habe den Krieg in London
       erlebt, als die V2-Raketen auf unser Haus zugeschossen kamen.“ Viele
       Jugendliche hätten heute noch nicht einmal Verwandte, die aus erster Hand
       von Kriegserfahrungen berichten könnten. Das verunsichere sie nun
       besonders, glaubt er.
       
       „Neulich stand hier eine italienische Abiturklasse unangemeldet vor der
       Tür“, erzählt Spree, „und weil wir gerade mit einer SPD-Gruppe über Putins
       Krieg diskutiert hatten, standen noch die Stühle da. Also habe ich gesagt:
       Kommt rein.“ Er habe ihnen einen Film über Ernst Friedrich gezeigt und sie
       dann in den original erhaltenen Luftschutzkeller direkt unter dem Museum
       geführt. „Ich habe ihnen erklärt, dass jetzt die Ukrainer in solchen
       Kellern sitzen. Die Mädchen fingen an zu weinen, und es war mühevoll, sie
       zu trösten.“
       
       Die Arbeit mit SchülerInnen ist ein zentraler Bestandteil der Arbeit des
       Museums, das von einem Verein getragen wird. Die Ausstellung basiert zum
       Teil auf Ernst Friedrichs Arbeit und den Exponaten, mit denen Sprees
       Großvater über die Schrecken des Ersten Weltkriegs informierte. Unter
       anderem Fotos von überlebenden, aber schrecklich entstellten Soldaten,
       denen Granatsplitter das halbe Gesicht weggerissen hatten.
       
       Am 1. Mai 2022 feierte das neue Anti-Kriegs-Museum sein 40-jähriges
       Bestehen, Tommy Spree reicht eine Broschüre über den Tisch, die die
       Hintergründe des Projekts und die Arbeit des Vereins nachzeichnet. Ein Text
       seines Großvaters ist darin abgedruckt, den er 1935 schrieb – da war er
       nach KZ-Haft und der Verwüstung seines Museums durch die SA bereits in die
       Schweiz geflohen.
       
       ## „Das viele Zeug zum Menschenmorden“
       
       „In Berlin gibt es ein großes ‚Zeughaus‘“, schrieb Friedrich damals im
       Rückblick über seine Beweggründe, „wo all das viele Zeug ausgestellt ist,
       das zu allen Zeiten – von Otto dem Faulen bis zu Adolf dem
       Größenwahnsinnigen – zum Menschenmorden benötigt wurde. Warum nicht ein
       Haus des Friedens, das unsere Kinder frühzeitig unterrichtet, wie
       schrecklich der Krieg ist und wie schön das Leben sein könnte, wenn die
       Menschen endlich aufhören würden, sich gegenseitig zu hassen und zu töten!“
       
       Sprees Großvater gründete ein zweites Museum in Brüssel, floh dann vor den
       Nazis nach Frankreich, wo er sich der Résistance anschloss. Nach dem Krieg
       betrieb er eine Jugendbegegnungsstätte in der Nähe von Paris, er starb
       1967. Zu seinem Vermächtnis gehört auch, ein internationales Symbol des
       Pazifismus etabliert zu haben: zwei Hände, die ein Gewehr zerbrechen. Tommy
       Spree trägt das Zeichen als Pin am Revers seines Sakkos.
       
       Was bleibt vom Pazifismus angesichts des Ukrainekriegs? Spree stellt klar,
       dass es „auch für Pazifisten Grenzen gibt“, er zieht den Vergleich zu
       Nazideutschland, das nur durch die Westalliierten und die Sowjetunion
       besiegt werden konnte. „Es ist sehr wohl legitim, sich zu verteidigen“,
       sagt Spree, selbst Gandhi habe das nicht abgelehnt. „Da dürfen sich Putin
       und seine Generäle nicht wundern.“
       
       „Auf der anderen Seite“ – diese Formulierung verwendet er gleich mehrmals
       im Gespräch – auf der anderen Seite sei der Bundeskanzler „sehr geschickt,
       wenn er sagt, dass Deutschland keine Alleingänge machen dürfe. Man stelle
       sich mal vor, russische Panzer stehen deutschen Panzern gegenüber!“ Und auf
       der anderen Seite könne auch „irgendwann ein Punkt erreicht sein, an dem
       man nach Putins Meinung doch zu viel Haubitzen geliefert hat“. Und an dem
       dieser eine Atomwaffe einsetzen könnte. „Da muss man sehr, sehr gut
       abwägen, wie weit man gehen kann.“
       
       Im Anti-Kriegs-Museum hängt ein Stadtplan von Berlin, konzentrische Kreise
       darauf deuten den Grad der Zerstörung durch eine atomare Explosion an. Den
       aktuellsten Stand der Waffentechnologie gibt die Grafik wahrscheinlich
       nicht wieder. Man darf davon ausgehen, dass die Stadt nach einem solchen
       Angriff schlichtweg nicht mehr existieren würde – genauso wenig wie viele
       andere Städte und hunderte Millionen Menschen. Gibt es einen gerechten
       Krieg, der das Risiko einer solchen Eskalation irgendwie legitimieren
       würde?
       
       ## Deutschland würde ausradiert
       
       Spree erinnert sich an die Anfänge seines Museums. Als Lehrer für Englisch
       und Geschichte auf der Schulfarm Scharfenberg im Tegeler See konfrontierten
       ihn SchülerInnen Ende der 70er Jahre mit der Frage, ob denn noch etwas von
       Deutschland übrig bliebe, wenn in Europa ein nuklearer Krieg ausgetragen
       würde. „Ich habe das recherchiert und stellte fest, meine Schüler hatten
       Recht: Deutschland wird ausradiert.“ Damals wie heute gelte, dass diese
       Waffen verboten werden müssten.
       
       Aber was heißt das für die aktuelle Situation? Und wie würde sich Ernst
       Friedrich heute positionieren? „Mein Großvater würde wohl den
       Tolstoi-Spruch zitieren“, sagt Spree: „Eine vernünftige Erklärung dafür,
       dass Länder und Völker gegeneinander Krieg führen, gibt es nicht und kann
       es nicht geben.“ Der Gründer des ersten Anti-Kriegs-Museums hätte wohl
       „alles versucht“, beide Seiten an einen Tisch zu bringen, denn es sei immer
       die Diplomatie, die einen Krieg beende. „Bedauerlich ist, dass Biden ein
       Gespräch mit Putin ablehnt, weil er ihn einen Killer nennt. Dieses Gespräch
       müsste stattfinden. Vielleicht würde Ernst Friedrich das vorschlagen.“
       
       Zum Abschied muss Tommy Spree noch einmal auf die Einstiegsfrage
       zurückkommen. Er könne zwar nachts schlafen, ja, „aber am Tag habe ich
       keine Ruhe. Gleich morgens, wenn ich meine orange marmalade esse, muss ich
       die Nachrichten anschalten und wissen, wie es um die Menschen dort steht.“
       Denn um die gehe es doch nur: um die Menschen.
       
       27 May 2022
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Claudius Prößer
       
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       Lehrer nicht zu stoppen: Der Weltfrieden ist das Thema seines Lebens.