# taz.de -- Marzahn-Pride: Für gleiche Rechte – und Waffen
       
       > Die dritte Marzahn Pride steht im Zeichen des Krieges. In der Ukraine
       > kämpfen auch Soldaten aus der LGBTQI-Community in der Armee.
       
 (IMG) Bild: Trotz Hitze demonstrierten zahlreiche Menschen auf der Marzahn-Pride für mehr Toleranz
       
       BERLIN taz | Etwa 300 Protestierende ziehen unter Regenbogenflaggen durch
       die brütende Hitze der Hochhausschluchten Marzahns. In der Mitte der Menge
       ein junges Paar: zwei Mädchen, nicht älter als zwölf, halten Hände und
       schauen fast feierlich unermüdlich geradeaus. Den Schluss bildet dann ein
       altes Paar: zwei Männer im aufeinander abgestimmten Regenbogenoutfit
       schlurfen dem Techno hinterher – nur der Rollator ist nicht bunt.
       
       Die heitere Menge hat sich für die dritte Marzahn Pride versammelt.
       [1][Organisiert wird sie von Quarteera e. V., einer Organisation
       russischsprachiger LGBTQ+-Aktivisten_innen in Marzahn.] Bunt*уй –
       Rebelliere! – ist das Motto dieses Jahr. Inspiriert wurde es „von der
       Widerstandskraft des ukrainischen Volkes und des Zusammenschlusses aller
       Opfer und ihrer Verbündeten“. So steht es im Manifest der Pride.
       
       Kaum sind die Regenbogenflaggen zwischen den Hochhäusern in den
       Victor-Klemperer-Platz eingezogen, geht es auch schon um den Krieg. Marina
       Usmanova ist aus der Ukraine geflohen. Ihre Rede wird simultan übersetzt:
       „Seitdem ich nach Deutschland gekommen bin, höre ich oft: Man muss der
       Ukraine helfen, aber ohne Waffen. Es geht aber nicht nur um das Leben der
       Menschen, es geht um ihre Würde!“
       
       Sie spricht vor einem fast leeren Platz, denn das Publikum drückt sich in
       allen Ecken in den Schatten. „In meiner Stadt kann dich jeden Moment ein
       russischer Soldat auffordern, dich auszuziehen. Sie suchen nach
       nationalistischen Tattoos, aber alles, was mit der Ukraine oder Queersein
       zu tun hat, ist gefährlich“, sagt Usmanova. „Wenn man auf die Straße geht,
       löscht man sein Facebook, Insta und Telegram. Doch siehst du nicht aus wie
       das Geschlecht auf deinem Ausweis, hilft das alles nichts.“ Sie frage sich:
       Werden wirklich Menschenleben gerettet, wenn die Ukraine Gebiete abtritt?
       Der Platz ist während der Rede wieder voller geworden. „Das Einzige, das
       Menschenleben retten kann, sind Waffenlieferungen in die Ukraine“, sagt
       Usmanova. Es folgt tosender Applaus.
       
       ## Angespuckt und beleidigt
       
       Die Kyiv Pride veröffentlicht regelmäßig Instagramposts von
       LGBTQI-Soldat_innen in der ukrainischen Armee. Sie kämpfen mit dem
       Einhorn-Wappen. Vor dem Krieg waren sie wohl nur eine Handvoll, inzwischen
       sollen es immer mehr werden. „Und sie wissen, wofür sie kämpfen“, sagt
       Wanja Kilber, Mitbegründer von Quarteera. Der schlanke Mann trägt ein
       langes schwarzes Kleid mit weißem Spitzenkragen und dazu passenden
       Highheels. „Wenn ich mir vorstelle, dass ich jetzt dort wäre … ich bin
       nicht zum Kämpfen gemacht“, sagt er. „Niemand ist das!“ Kilber berichtet,
       dass er kurz zuvor während der Demo von Vorbeifahrenden beleidigt und
       angespuckt wurde, er gab eine Anzeige auf.
       
       Kämpfen muss die Community überall. Das betonen Gordon Lemm (SPD),
       Bürgermeister von Marzahn-Hellersdorf, und Maja Loeffler, die Frauen- und
       Gleichstellungsbeauftragte des Bezirks, in ihren Reden. Loeffler setzt sich
       ein „gegen jede Diskriminierung von Weiblichkeit“. Eine_n
       Queer-Beauftragte_n gibt es in Marzahn-Hellersdorf trotz wiederholter
       Forderungen aus der Community noch immer nicht.
       
       Einige Jugendliche erzählen im Schatten der Bäume, wie schwierig es ist,
       gerade in der russischen Community offen schwul, lesbisch, non-binary oder
       trans zu sein. Einer wurde schon mehrfach in Berlin verprügelt.
       
       Auch in der Ukraine war es selbst vor dem Krieg alles andere als leicht.
       Gleichgeschlechtliche Ehe ist nicht erlaubt, und 69 Prozent der Bevölkerung
       stehen laut einer Studie des Pew Research Centers der Community ablehnend
       gegenüber.
       
       Wanja Kilber kann die Forderung nach Waffenlieferungen verstehen, obwohl er
       selbst den Kriegsdienst in Deutschland verweigert hat. „Nach dem Krieg
       sollten wir aber zum Pazifismus zurückkehren“, sagt er. Am Ende ziehen die
       melancholischen Töne des ukrainischen Minnesängers Rostyslav Mazurkevich
       über den heißen Platz. Ein leises Glockenspiel begleitet sie. Und die
       Pride-Teilnehmer_innen zerstreuen sich langsam wieder.
       
       19 Jun 2022
       
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