# taz.de -- Kriegsunterstützung in Russland: Hilfsgüter für den Fleischwolf
       
       > In Russland ist Widerstand gegen den Krieg in der Ukraine verboten. Es
       > gibt ihn trotzdem. Aber auch viel Unterstützung durch die Bevölkerung.
       
 (IMG) Bild: Luftansicht des Kremls in Pskow, der zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt
       
       Pskow: 300 Kilometer von St. Petersburg entfernt. Eine kleine alte Stadt,
       nicht weit von der Grenze zu Estland. Wenige Tage nach Kriegsbeginn
       tauchten im Netz Fotos auf: An die Festungsmauer der Pskower Zitadelle
       hatte jemand mit einem Beamer eine riesige Aufschrift „Nein zum Krieg!“
       geworfen.
       
       Mir wurde warm ums Herz! Meine Heimatstadt hat mir immer gefallen mit ihrer
       freidenkerischen Art. Vor einigen Tagen erklärte das Stadtgericht Pskow
       diese Inschrift zu einer „pazifistischen Parole“ und verurteilte einen Mann
       zu einer Geldstrafe, weil er ein Foto einer Antikriegsaktion in den
       sozialen Netzwerken veröffentlicht habe.
       
       Die Strafe wegen „Diskreditierung des Einsatzes der Streitkräfte zum Schutz
       der russischen Interessen“ beträgt 300.000 Rubel (umgerechnet etwa 450
       Euro).
       
       Etwa einmal im Monat fahre ich für ein Wochenende nach Pskow, um meine
       Eltern zu besuchen. Diese Stadt ist wie eine Insel meiner persönlichen,
       inneren Stabilität in dieser schmerzhaften, verrückten Welt. Petersburg
       dagegen war vor Hysterie wie zerrissen, doch schien hier alles seinen
       gewohnten Gang zu gehen: Arbeiter reparieren eine Brücke, Schulkinder und
       Studierende legen ihre Prüfungen ab, Rentner fahren, sobald es etwas wärmer
       geworden ist, auf ihre Datschen. So, als gäbe es nichts von all dem, das
       die Welt in ein „davor“ und ein „danach“ geteilt hat.
       
       ## Warum braucht man diese Plakate?
       
       Erst jetzt habe ich bemerkt, dass in den Straßen der Stadt riesige
       patriotische Plakate aufgetaucht sind, mit Unterstützerparolen für die
       russische Armee. Erst kürzlich hat das Allrussische
       Meinungsforschungszentrum Zahlen veröffentlicht, [1][wonach 72 Prozent der
       Russen die Spezialoperation in der Ukraine unterstützen]. Warum braucht man
       diese Plakate, wenn sowieso fast alle diesen Krieg unterstützen?
       Rhetorische Frage.
       
       Wie sich herausstellte, sammeln lokale Aktivist*innen in Pskow
       Hilfsgüter nicht nur [2][für Geflüchtete aus dem Donbass], sondern auch für
       russische Soldaten. An den Sammelstellen stapeln sich Dutzende von Kisten,
       einige von ihnen mit Unterschriften – das sind Päckchen von Schulklassen
       und Arbeitskollegien. Auf vielen Päckchen klebt der Buchstabe Z.
       
       In diesen Paketen für die Kriegsgebiete werden Lebensmittel und Waren des
       täglichen Bedarfs verschickt. Es ist gut möglich, dass ich da irgendetwas
       nicht ganz richtig verstehe, aber die Sammlung zur Unterstützung der
       Soldaten scheint mir eine größere Diskreditierung der russischen Armee zu
       sein als die Worte „Nein zum Krieg“.
       
       Nach offiziellen Angaben sind in den ersten 100 Tagen Krieg in der Ukraine
       45 Soldaten aus Pskow umgekommen, meine Landsleute. Ich sehe mir ihre
       Porträts an und habe Angst, auf den Fotos ehemalige Mitschüler oder
       irgendwelche Bekannten zu entdecken. Viele der Gefallenen sind in meinem
       Alter.
       
       Ich denke, dass unter den Toten viele gute Menschen waren, die geglaubt
       haben, dass sie irgendjemanden dort retten. Ja, okay, ich möchte das
       einfach glauben, denn wenn man sich ihre Schwarz-Weiß-Porträts ansieht,
       kann man eigentlich schon an gar nichts mehr glauben. Ich betrauere ihre
       Leben, so wie ich um all die trauere, die in diesen irrsinnigen Fleischwolf
       geraten sind.
       
       Aus dem Russischen [3][Gaby Coldewey.]
       
       Finanziert wird das Projekt von der [4][taz Panter Stiftung.] 
       
       Einen Sammelband mit den Tagebüchern bringt der Verlag edition.fotoTAPETA
       im September heraus.
       
       24 Jun 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Olga Lizunkova
       
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