# taz.de -- Parlamentswahlen in Frankreich: Macrons Mehrheit wackelt
       
       > Das Lager des Präsidenten liegt nach den Parlamentswahlen hauchdünn vor
       > dem Bündnis des Linken Mélenchon. Die Wahlbeteiligung sinkt auf ein
       > Rekordtief.
       
 (IMG) Bild: Braucht er bald Koalitionspartner? Präsident Macron bei der Abgabe seiner Stimme am 12. Juni
       
       PARIS taz | Nach der Bekanntgabe der Hochrechnungen und Teilergebnisse des
       ersten Durchgangs der Abgeordnetenwahl in Frankreich mahnte
       [1][Staatspräsident Emmanuel Macron] in einer ersten Stellungnahme seine
       politische Familie zu „Demut“. Der erst kürzlich wiedergewählte Präsident
       muss nämlich befürchten, dass er nach den Stichwahlen in einer Woche seine
       absolute Mehrheit in der Nationalversammlung verliert. Insgesamt zeichnete
       sich am Sonntagabend ein Vormarsch der vereinten Linksparteien ab.
       
       Die meisten Kandidat*innen der bisherigen regierenden Mehrheit haben
       nicht sonderlich gut abgeschnitten. [2][Premierminister Elisabeth Borne]
       allerdings hat in ihrem Wahlkreis in der Normandie mit mehr als 34 Prozent
       der Stimmen gute Aussichten für die Stichwahl, doch andere der 15
       kandidierenden Regierungsmitglieder gehen mit einem beträchtlichen
       Rückstand in die zweite Runde.
       
       So geht der bisherige Europaminister Clément Beaune am kommenden Sonntag in
       Paris mit geringen Chancen in das Wahlduell gegen eine linke Kandidatin.
       Der frühere Erziehungsminister Jean-Michel Blanquer ist als Kandidat sogar
       auf Anhieb aus der Stichwahl ausgeschieden.
       
       Dagegen liegt die „Neue Ökologische und Soziale Volksunion“ (NUPES) mit
       25,7 Prozent gleichauf mit der Allianz der Regierungsparteien „Ensemble!“
       („Zusammen!“) von Macron, die 25,8 Prozent erzielt hat. Die Kandidaten des
       Rassemblement National der Rechtspopulistin Marine Le Pen fallen im
       Landesdurchschnitt mit rund 19 Prozent auf die dritte Stelle zurück, und
       die Konservativen, Les Républicains und Verbündete, können sich mit 11,4
       Prozent noch halten.
       
       ## Macrons Mehrheit schrumpft
       
       In der Mehrheit der 577 Wahlkreise, wo je ein Sitz in der
       Nationalversammlung zu vergeben ist, [3][kommt es eine Woche später zu
       Stichwahlen]. Zur Sitzverteilung aufgrund der Resultate der ersten Runde
       liefern die Umfrageinstitute aber bereits Schätzungen: Macrons bisherige
       Parlamentsmehrheit dürfte demzufolge ziemlich schrumpfen.
       
       Statt bisher 347 Sitze könnten die Regierungsparteien laut dem Sender BFM
       nur noch zwischen 258 und 298 Mandate erringen. Die absolute Mehrheit, die
       Macron das Regieren erleichtern würde, liegt bei 289. Die NUPES könnte in
       derselben Hochrechnung 170 bis 220 Sitze bekommen. Damit würde sie ihr
       hochgestecktes Ziel, selbst eine Mehrheit gegen Präsident Macron zu
       erobern, zwar verfehlen, aber zweifellos einen Achtungserfolg erringen und
       zur wichtigsten Kraft in der Opposition werden.
       
       Marine Le Pens RN hatte bisher nur 4 Sitze und kann nun mit bis zu 65
       Abgeordneten rechnen. Sie selbst triumphierte in ihrer nordfranzösischen
       Wahlhochburg Hénin-Beaumont mit 54 Prozent. Ihr rechtsextremer Rivale bei
       den Präsidentschaftswahlen, [4][Eric Zemmour], schied dagegen in einem
       Wahlkreis bei Saint-Tropez in Südfrankreich als Dritter aus der Stichwahl
       aus. Seiner Partei „Reconquête“ werden null Sitzgewinne vorausgesagt.
       
       ## Historisch tiefe Wahlbeteiligung
       
       Etwas besser als befürchtet haben die konservativen Kandidaten von Les
       Républicains und die mit ihnen verbündeten Zentristen der UDI
       abgeschnitten. Die Partei von [5][Ex-Präsident Nicolas Sarkozy] steckt in
       einer Existenzkrise. Von ihren bisherigen 100 Sitzen könnten sie nun mehr
       als die Hälfte oder sogar bis zu 80 retten. An sie dürfte sich Präsident
       Macron wenden, falls er in einer Woche keine absolute Mehrheit mehr haben
       sollte und deswegen Unterstützung oder Koalitionspartner braucht.
       
       Noch ist vieles offen. Denn die Wahlbeteiligung ist mit 47,5 Prozent auf
       einen historischen Tiefpunkt gesunken, der in den französischen Medien
       bereits als Armutszeugnis für die Demokratie gewertet wird. Alle für die
       Stichwahlen qualifizierten Sitzbewerber*innen hoffen deshalb, dass vor
       allem sie ihre Sympathisanten in den kommenden Tagen mobilisieren können.
       Auf eine wirkliche Dynamik setzt die NUPES, die sich selbst zur
       Etappensiegerin erklärt hat. Ihre Resultate bestätigen, dass Dank der
       wiedergefundenen Einheit die Linke in Frankreich wieder eine politische
       Hauptrolle spielen kann.
       
       13 Jun 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Praesidentschaftswahl-in-Frankreich/!5850146
 (DIR) [2] /Neue-Regierungschefin-in-Frankreich/!5855447
 (DIR) [3] /Parlamentswahl-in-Frankreich/!5857722
 (DIR) [4] /Rechter-Zemmour-erklaert-Kandidatur/!5815701
 (DIR) [5] /Haft-fuer-Sarkozy/!5805013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rudolf Balmer
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Emmanuel Macron
 (DIR) Schwerpunkt Frankreich
 (DIR) Parlamentswahl
 (DIR) Marine Le Pen
 (DIR) Präsidentschaftswahl in Frankreich 2022
 (DIR) Emmanuel Macron
 (DIR) Parlamentswahlen Frankreich
 (DIR) Jean-Luc Mélenchon
 (DIR) Jean-Luc Mélenchon
 (DIR) Parlamentswahlen Frankreich
 (DIR) Parlamentswahlen Frankreich
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Parlamentswahlen in Frankreich: Rückkehr nach Réunion
       
       Auf La Réunion sind im ersten Gang der französischen Parlamentswahlen nur
       wenige wählen gegangen. Das liegt auch am Verhältnis zum Mutterland.
       
 (DIR) Parlamentswahlen in Frankreich: Billiger Populismus gegen links
       
       Frankreichs liberale Mitte versucht, den Linken Mélenchon in eine Ecke mit
       der Rechten Le Pen zu stellen. Damit entlarvt sie ihre eigenen Urängste.
       
 (DIR) Parlamentswahlen in Frankreich: Die Neue im Quartier
       
       Die Grüne Sandrine Rousseau vertritt eine ökofeministische Strategie. Für
       Präsident Macron kann es bei der Wahl zur Nationalversammlung knapp werden.
       
 (DIR) Frankreich vor den Parlamentswahlen: Scheidung auf Französisch
       
       Links in der Hauptstadt, rechts in der Provinz. Unsere Autorin beschreibt
       ein Land, das sich gründlich auseinandergelebt hat.
       
 (DIR) Parlamentswahl in Frankreich: Wie, Wahl?
       
       Im französischen Präsidialsystem haben die Abgeordneten meist wenig zu
       sagen. Dennoch sind die Sitze in der Nationalversammlung begehrt.