# taz.de -- Fahren ohne Fahrschein: Kein Grund für den Knast
       
       > In Bremerhaven verzichtet man darauf, das Fahren ohne Ticket anzuzeigen.
       > Nun soll auch in Bremen niemand mehr deswegen ins Gefängnis.
       
 (IMG) Bild: Kein Ticket soll bald auch in Bremen kein Grund für eine Haftstrafe sein
       
       BREMEN taz | Wer wiederholt beim Fahren ohne Ticket in Bus und Bahn
       erwischt wird, [1][muss in Deutschland mit einer Strafanzeige des
       Verkehrsunternehmens] rechnen. Zwar will die Ampelkoalition dafür sorgen,
       dass die Beförderungserschleichung nur noch eine Ordnungswidrigkeit
       darstellt wie Falschparken. Doch noch gilt Paragraf 265a des
       Strafgesetzbuchs, wonach das mit einer Geld- oder Freiheitsstrafe bis zu
       einem Jahr bewehrt ist.
       
       Darauf berufen sich Verkehrsunternehmen. Die Bremer Straßenbahn AG (BSAG)
       hat nun bekannt gegeben, auf Strafanzeigen in Zukunft verzichten zu wollen
       – weil fast nur Menschen wegen Fahrens ohne Ticket ins Gefängnis müssen,
       die die Geldstrafen nicht zahlen können und [2][sogenannte
       Ersatzfreiheitsstrafen absitzen], in der Regel wenige Tage bis Wochen.
       
       „Wir prüfen das aufgrund der aktuellen politischen Diskussion“, sagte
       Jens-Christian Meyer, Pressesprecher der BSAG, jetzt der taz.
       Vorausgegangen war eine Forderung der Grünen-Fraktion in der Bremischen
       Bürgerschaft an die BSAG, nach dem Vorbild Bremerhavens auf Strafanzeigen
       zu verzichten. Denn wer regelmäßig ohne Ticket unterwegs ist und dann
       versäumt, das erhöhte Beförderungsentgelt von 60 Euro zu zahlen, oder gar
       nicht erst die Post mit den Mahnschreiben öffnet, handle selten planvoll,
       so die Grünen. Freiheitsstrafen verfehlten daher ihre abschreckende
       Wirkung.
       
       „Wir reden über Personen, die in schwierigen Lebenssituationen stecken und
       mit vielen Problemen von Sucht über psychische Erkrankungen bis zu
       Verschuldung zu kämpfen haben“, sagte Ralph Saxe, verkehrspolitischer
       Sprecher der Bremer Grünen-Fraktion.
       
       ## 2021 mussten 65 Menschen ohne Ticket in Bremen ins Gefängnis
       
       Deshalb sei er fassungslos gewesen, als der Bremer Senat Anfang Juni
       mitgeteilt hatte, im vergangenen Jahr hätten 65 Personen in der
       Justizvollzugsanstalt eine Ersatzfreiheitsstrafe aufgrund wiederholten
       Fahrens ohne Ticket absitzen müssen. Mit Ausnahme von sechs Fällen betraf
       dies Menschen, die in Fahrzeugen der BSAG ohne Fahrschein erwischt worden
       waren.
       
       Dabei [3][unternimmt das Land Bremen einiges], um die Anzahl derjenigen zu
       reduzieren, die aufgrund von Bagatelldelikten – etwa Ladendiebstahl –
       inhaftiert sind. So gibt es mit der BSAG eine Einigung über ein
       vergünstigtes Ticket für die von Saxe benannte Gruppe zum Preis von
       monatlich 25 Euro. 58 Personen hat die BSAG derzeit auf dieser Liste, sie
       selbst zahlen nur 10,50 Euro für das Ticket, den Rest übernimmt der Staat.
       Für den ist dies wesentlich günstiger als ein Haftplatz, der in Bremen 130
       Euro am Tag kostet.
       
       Aus Kostengründen stellen auch die Bremerhavener Verkehrsbetriebe bereits
       seit zehn Jahren keine Strafanzeigen mehr. „Der Aufwand, den wir allein
       betreiben müssen, um Adressen herauszufinden, steht in keinem Verhältnis
       zum finanziellen Nutzen“, sagt Hans-Jürgen Jahnke, Prokurist bei
       Bremerhaven Bus. Er findet aber, dass die Situation nicht mit der in
       Großstädten vergleichbar sei. Zum einen sei in der Seestadt alles fußläufig
       erreichbar, zum anderen fahren nur Busse. Dort müssen alle – sobald die
       Pandemie vorüber ist – wieder vorne einsteigen und ihr Ticket vorzeigen. In
       Straßenbahnen und U-Bahnen geht dies nicht.
       
       25 Jun 2022
       
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