# taz.de -- Kohleausstieg und Fracking: Dreckiges Gas statt dreckiger Kohle
       
       > Vattenfall will bis 2030 in Berlin aus der Kohle aussteigen – und Erdgas
       > einsetzen. Lohnt sich das, wenn jetzt auch noch Fracking ins Spiel kommt?
       
 (IMG) Bild: Ist schon auf Kohle-Diät: das alte Kraftwerk Reuter in Spandau
       
       BERLIN taz | Der Fahrplan ist eigentlich klar: Bis 2030 will der
       Energieversorger Vattenfall die Verbrennung von Steinkohle in den
       Kraftwerken Reuter West und Moabit beenden. Mehr als zwei Millionen Tonnen
       CO2 im Jahr würden dadurch weniger emittiert, so Vatenfall, was einem
       Drittel des Berliner Einsparziels für 2030 entspräche. Wirklich bindend ist
       das 2019 mit der damaligen Umweltsenatorin Regine Günther (Grüne)
       vereinbarte [1][Ausstiegsszenario] nicht, es handelt sich um eine
       Selbstverpflichtung des schwedischen Staatskonzerns, der seit einiger Zeit
       mit dem Slogan „Fossilfrei in einer Generation“ wirbt.
       
       Allerdings bedeutet „kohlefrei“ noch nicht „fossilfrei“: Die Fernwärme, die
       Vattenfall heute noch mit Steinkohle für mehrere Hunderttausend Haushalte
       erzeugt, soll ab 2030 zu zwei Dritteln mit Erdgas generiert werden, der
       Rest soll aus Quellen wie Abwärmenutzung oder dem „Power-to-Heat“-Verfahren
       kommen. Der Ausstieg aus fossilem Gas soll dann noch einmal ein Jahrzehnt
       in Anspruch nehmen: „Net-Zero bis 2040“, wie es der Versorger selbst
       bezeichnet.
       
       Das Problem dabei: Schon das heute in den übrigen Vattenfall-Kraftwerken
       genutzte Erdgas ist nicht viel klimafreundlicher als Kohle, auch weil
       Methanemissionen durch Lecks im Distributionsnetz ungenügend
       berücksichtigt werden. Stellt Deutschland aber, wie von der Bundesregierung
       geplant, von sibirischem Pipelinegas auf Flüssiggas aus den USA oder
       Australien um, gerät das ganze Konzept in die Schieflage. Denn Frackinggas,
       um das es sich großteils bei dem verflüssigten, per Schiff gelieferten LNG
       handelt, kann es mit der Klimabilanz der vermeintlich dreckigeren Kohle
       locker aufnehmen.
       
       Das hat unter anderem das Bundesumweltministerium Ende 2020 erklärt. In
       einer Stellungnahme teilte es mit: „Insbesondere im Vergleich zum Einsatz
       von leitungsgebundem importierten Erdgas dürfte der Einsatz von Frackinggas
       keine positiven Wirkungen auf die Klimaziele haben“, und zwar „selbst wenn
       das Gas in Deutschland gewonnen würde“. Tatsächlich wird es mit
       konventionellen Tankern über weite Strecken nach Deutschland verschifft.
       
       Ein Dossier der vom ehemaligen grünen Bundestagsabgeordneten Hans-Josef
       Fell geleiteten „Energy Watch Group“ (EWG) [2][kommt sogar zu dem Schluss]:
       Werden Gaskraftwerke mit Frackinggas betrieben, „können sie bis zu 30
       Prozent mehr Treibhausgase emittieren als Kohlekraftwerke“. Mit der
       Nutzung dieses Energieträgers in Berlin würde Vattenfall also sein
       Einsparziel durch den Kohleausstieg krachend verfehlen.
       
       Auf Anfrage teilt Vattenfall lediglich mit, die „aktuelle Situation“
       bestätige das Konzept, den Ausbau der Erneuerbaren und die Nutzung von
       Abwärme „massiv voranzutreiben“. „Klar“ sei aber auch, so ein Sprecher,
       „dass wir auf dem Weg zu einer klimaneutralen Wärmeversorgung in den
       nächsten Jahren um Erdgas als Interimslösung nicht herumkommen werden“. Im
       weiteren Verlauf werde dieses dann durch „immer mehr Wasserstoff und grüne
       Gase“ abgelöst. Die Frage, mit welchem Anteil von Frackinggas Vattenfall
       künftig rechne, beantwortete das Unternehmen nicht.
       
       ## „Keine Erkenntnisse“
       
       Auch in der für Klimaschutz zuständigen Senatsverwaltung von Bettina
       Jarasch (Grüne) scheint man nicht weit über den Status quo hinaus zu
       denken. Auf die Fragen, ob in einem Fracking-Szenario die gesetzlich
       verankerten Klimaziele gefährdet seien und ob der Zwischenschritt „Gas“ auf
       dem Weg zu ausschließlich erneuerbarer Energien überhaupt noch sinnvoll
       sei, heißt es knapp: „Da der Senatsverwaltung über die Nutzung von
       Frackinggasen keine Erkenntnisse vorliegen, können wir dazu keine Auskunft
       geben.“
       
       Eine völlig andere Herangehensweise an das Thema hat die Klima-Community:
       „Wir haben schon vor dem Krieg den geplanten Umbau auf Gas kritisiert“,
       sagt Lisa Kadel, Sprecherin für das Bündnis „Berlin erneuerbar“. Wegen der
       schlechten Klimabilanz des Energieträgers, die bei Fracking noch schlimmer
       ausfalle, „sehen wir keine Zukunft dafür, weder in Berlin noch anderswo.“
       
       Kadel verweist auf eine Studie des „Fraunhofer-Instituts für
       Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik“ (IEE), die das Bündnis
       vergangenes Jahr in Auftrag gegeben hatte. [3][Die AutorInnen kommen darin
       zu dem Schluss], dass es bis 2035 möglich sei, die nötige Wärme für Berlin
       aus Umwelt- und Abwärme zu erzeugen – ohne den Zwischenschritt über das
       Erdgas. Voraussetzung wären allerdings unter anderem große solarthermische
       Kraftwerke im Umland. Der Einsatz von „grünem“, also mit Ökostrom erzeugtem
       Wasserstoff sei allerhöchstens zur Bedienung von Spitzenlasten im Winter
       nötig.
       
       15 Jul 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Kohleausstieg-in-Berlin/!5622849
 (DIR) [2] https://www.energywatchgroup.org/wp-content/uploads/EWG_Erdgasstudie_2019.pdf
 (DIR) [3] /Klimaneutrale-Waermeerzeugung/!5807813
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Claudius Prößer
       
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