# taz.de -- Neues strategische Konzept der Nato: Zurück zu den Wurzeln
       
       > Das nun beschlossene „Strategische Konzept“ der Nato definiert Russland
       > als Hauptrisikofaktor. Das weckt Erinnerungen an die Gründung der Allianz
       > 1949.
       
 (IMG) Bild: „Strategisches Konzept 2022“: Die Nato kehrt damit zu seinen Anfängen zurück
       
       BERLIN taz | „Russland ist die größte und unmittelbarste Bedrohung für die
       Sicherheit der Verbündeten und für Frieden und Stabilität im
       euro-atlantischen Raum“, heißt es in dem am Mittwoch von den Staats- und
       Regierungschefs der 30 Mitgliedsstaaten der Nato in Madrid verabschiedeten
       neuen [1][„Strategischen Konzept 2022“]. Mit dieser Feststellung kehrt das
       Militärbündnis zu seinen Anfängen zurück.
       
       Im Nato-Gründungsvertrag vom April 1949 sowie im ersten „Strategischen
       Konzept für die Verteidigung der Nordatlantikregion“ vom Oktober 1949
       identifizierten die anfänglich zwölf Mitgliedstaaten die damalige
       Sowjetunion nicht nur als größte und unmittelbarste, sondern als einzige
       Bedrohung für ihre Sicherheit. Und das nicht nur wegen der aus Wahrnehmung
       der Nato militärischen konventionellen Überlegenheit der UdSSR, sondern
       auch wegen ihrer kommunistischen Ideologie. „Die Hauptfunktion der Nato ist
       die Abschreckung eines Angriffs auf ihr Territorium,und Nato-Truppen werden
       nur zum Einsatz kommen, wenn die Abschreckung versagt hat und ein Angriff
       erfolgt ist“, hieß es in dem ersten Strategiekonzept.
       
       Bei dieser Aufgabenbestimmung blieb es auch in den drei weiteren
       „Strategischen Konzepten“, die (1952, 1957, 1967) bis zum Ende des Kalten
       Krieges 1989/90 verabschiedet wurden.
       
       Für die in diesen drei „Strategischen Konzepten“ vorgenommenen Anpassungen
       gab es mehrere Gründe: Die USA erwarteten in ihrem ab 1950 gegen Nordkorea
       und China geführten Krieg zumindest politische und logistische
       Unterstützung der Nato-Verbündeten. 1955 gründete die Sowjetunion mit sechs
       osteuropäischen Staaten die Warschauer Vertragsorganisation (WVO) als
       militärischen Gegenblock zur Nato. Im selben Jahr trat die westdeutsche
       Bundesrepublik der Nato bei. Damit wurde die Vorverlegung von Streitkräften
       der USA und anderer Nato-Staaten direkt bis zur Frontlinie am Eisernen
       Vorhang möglich.
       
       ## Nach dem Kalten Krieg: Suche nach der Bedrohung
       
       1956 kam es anlässlich der Suezkrise zu erheblichen Differenzen zwischen
       den Nato-Mitgliedern Frankreich und Großbritannien. Mitte der 60er Jahre
       veränderten die USA ihre nationale Militärstrategie. In der Folge änderte
       sich auch die Strategie des Bündnisses: Aus der „massiven Vergeltung“ mit
       strategischen Atomwaffen der USA gegen das Territorium der UdSSR im Falle
       eines konventionellen Angriffs sowjetischer Streitkräfte auf Westeuropa
       wurde die „flexible Antwort“ mit zunächst „nur“ in Westeuropa stationierten
       taktischen Atomwaffen der USA. Dieser Strategiewechsel der USA führte unter
       westeuropäischen Regierungen und Militärs zu erheblichen Zweifeln an den
       Schutzgarantien der Bündnisvormacht.
       
       In ihrem fünften Strategiekonzept aus dem Jahr 1991 behauptete die Nato
       trotz des inzwischen erfolgten Endes des Kalten Krieges und des Zerfalls
       des Warschauer Pakts sowie der Sowjetunion die Notwendigkeit ihrer weiteren
       Existenz zur „Verteidigung“ des Territoriums ihrer Mitgliedstaaten.
       
       Gegen wen oder gegen welche Bedrohungen diese Verteidigung erforderlich
       sei, wurde in diesem Strategiekonzept allerdings nicht gesagt. Zugleich
       machte die Nato den Staaten des ehemaligen Warschauer Pakts Angebote zur
       Kooperation.
       
       Nach ihrem völkerrechtswidrigen, als „humanitäre Intervention“
       gerechtfertigten [2][Luftkrieg gegen Serbien] im Frühjahr 1999 machte sich
       die Nato in ihrem im selben Jahr veröffentlichten sechsten Strategiekonzept
       einen „erweiterten Sicherheitsbegriff“ zu eigen, der über die militärische
       Dimension auch „politische, wirtschaftliche, soziale und Umweltfaktoren
       einschließt“. Die Nato schrieb sich das Recht zu, nicht nur im Fall eines
       militärischen Angriffs auf ein Mitgliedsland, sondern auch in einer
       geografisch nicht näher definierten „weiteren euro-atlantischen Region“
       gegen Bedrohungen und Gefahren vorzugehen.
       
       ## 2010: Terrorismus als Hauptgefahr, Russland als Partner
       
       Im ihrem siebten und letzten Strategiekonzept von 2010 – neun Jahre nach
       den islamistischen Terroranschlägen vom 11. September 2001 und dem Beginn
       des „[3][Krieg gegen den Terrorismus]“ in Afghanistan – erklärte die Nato
       diesen Terrorismus zur Hauptbedrohung und verwies zudem auf die
       Gefährdungen aus dem instabilen „Krisenbogen zwischen Marokko und
       Pakistan“. Russland hingegen wurde als „Partner“ eingestuft.
       
       Die im neuen Strategiekonzept erfolgte Rückstufung Russlands vom Partner
       zum Gegner war ausweislich früherer Entwürfe bereits lange vor dem
       Ukrainekrieg geplant, wenn auch nicht mit der Formulierung „größte und
       unmittelbarste Bedrohung“.
       
       Neu ist, das erstmals China in einem Strategiekonzept der Nato erwähnt
       wird. Zwar nicht als „Risiko“ oder gar als „Gefahr“, wie von den USA und
       Großbritannien zunächst verlangt, von Deutschland und Frankreich aber
       verhindert wurde. Aber doch mit dem Satz: „Die von der Volksrepublik China
       erklärten Ziele und ihre Politik des Zwangs stellen unsere Interessen,
       unsere Sicherheit und unsere Werte vor Herausforderungen.“
       
       Wie auf diese Herausforderungen zu reagieren ist, dürfte zu weit
       schwierigeren strategischen Kontroversen unter den Nato-Staaten führen als
       die Debatten der letzten Monate über eine gemeinsame Haltung gegenüber
       Russland.
       
       30 Jun 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.nato.int/strategic-concept/
 (DIR) [2] /20-Jahre-Nato-Angriff-auf-Serbien/!5579713
 (DIR) [3] /Anti-Terror-Massnahmen-der-USA/!5795636
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Zumach
       
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