# taz.de -- Japans ermordeter Ex-Premier Abe: Rechtskonservativer mit Ausdauer
       
       > Japans früherer Premier Shinzō Abe wurde bei einem Attentat erschossen.
       > Seine Politik war umstritten, doch seinem Land brachte er lange
       > politische Stabilität.
       
 (IMG) Bild: Umstritten wegen seiner rechtskonservativen Politik: Shinzō Abe (1954-2022)
       
       BERLIN taz | Stellen wir uns vor, es hätte ein Attentat auf
       Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel gegeben – und sechs Stunden später ist sie
       tot. Es gäbe einen Aufschrei. Alle Medien würden sich tagelang nur darauf
       konzentrieren. So ähnlich ergeht es derzeit Japan.
       
       Das Land ist in einem Ausnahmezustand. Der öffentlich-rechtliche Sender NHK
       berichtet in Dauerschleife über den Anschlag auf den Ex-Premierminister
       Shinzō Abe. Der [1][Politiker wurde bei einer Wahlkampfrede in Nara
       angeschossen] – ausgerechnet in der Stadt, die bekannt ist für ihre
       zahlreichen Tempel und friedlich herumlaufenden Hirsche. Mehr als fünf
       Stunden später wird er im Krankenhaus für tot erklärt. Abe wurde 67 Jahre
       alt.
       
       Der Ex-Regierungschef wurde am Vormittag des 8. Juli von hinten von zwei
       Schüssen getroffen, einer davon traf ihn am Hals. Das Attentat sorgt auch
       deshalb für Entsetzen, weil es in Japan kaum Waffengewalt gibt. Der Täter,
       ein 41-jähriger ehemaliger Berufssoldat, soll noch am Tatort gesagt haben,
       dass er unzufrieden mit Abes Politik gewesen sei.
       
       Politische Unzufriedenheit ist in Japan nicht außergewöhnlich, aber kaum
       jemand bringt sie zum Ausdruck. Öffentliche Demonstrationen gelten als
       Ruhe- und Verkehrsstörung, Teilnehmer:innen werden eher kritisch
       beäugt. Wenn Arbeitnehmer:innen ihren Unmut zum Ausdruck bringen
       wollen, versuchen sie dabei, die Gesellschaft nicht zu belasten. Ein
       Beispiel: Busfahrer:innen streiken, arbeiten aber weiter und halten den
       ÖPNV aufrecht – verlangen allerdings keine Fahrkosten von Passagier:innen.
       
       Die Wahlbeteiligung, insbesondere bei jüngeren Menschen, ist niedrig. Die
       Bevölkerung ist unpolitisch und die Hoffnung auf Veränderung haben die
       meisten aufgegeben. Es besteht ein gesellschaftlicher Konsens: Die
       Politiker sind alle korrupt, [2][die LDP wird sowieso an der Macht bleiben]
       und Bürger:innen haben keinen Einfluss. Mit dem Attentat rückt das
       politische Geschehen wieder ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit.
       
       ## Rechtskonservative und korrupte Politikführung
       
       Der LDP – Abkürzung für liberaldemokratische Partei Japans – gehörte auch
       Abe an. Schon sein Vater war Politiker der LDP, Vetternpolitik ist in Tokyo
       keine Seltenheit. Abe galt als rechtskonservativ: Eine Aufarbeitung der
       japanischen Kriegsverbrechen wie die [3][Zwangsprostitution der sogenannten
       Trostfrauen] oder das [4][Massaker von Nanjing] stand nicht auf seinem
       Programm. Stattdessen flirtete Abe mit den USA und konzentrierte sich auf
       wirtschaftliche Bündnisse.
       
       Bekannt war er für seine Politik namens Abenomics, dem Schachtelwort aus
       Abe und economics, mit dem er versuchte, die japanische Wirtschaftskrise
       anhand von Konjunkturpolitik und Geldschwemmen zu bekämpfen. Nach der
       [5][Naturkatastrophe im März 2011] rund um die Region Iwate, Miyagi und
       Fukushima, die 20.000 Menschen das Leben kostete und eine
       Nuklearkatastrophe auslöste, hielt Abe weiter an Atomkraftwerken fest. Ein
       Ausbau erneuerbarer Energien verlief schleppend.
       
       Im Jahr 2017 sanken Abes Beliebtheitswerte drastisch, als bekannt wurde,
       dass er und seine Frau womöglich in Korruption involviert waren. Auslöser
       war der Bau des nationalistisch geprägten Kindergartens [6][„Moritomo
       Gakuen“], dessen Betreiber auf Wunsch von Abe einen erheblichen Rabatt beim
       Grundstückskauf erhalten hat.
       
       Ferner wurde dem Finanzministerium vorgeworfen, entsprechende öffentliche
       Dokumente zum Fall Moritomo Gakuen gefälscht zu haben. So wurde der Name
       Akie Abe, Frau von Shinzo Abe, die eine Million Yen (damals 8.200 Euro)
       gespendet haben soll, nachträglich überschrieben. Bis zu seinem Tod
       bestritt Abe jegliche Beteiligung an dem Skandal, der einen Beamten des
       Finanzministeriums in den Suizid trieb.
       
       ## Am längsten durchgehalten
       
       So kritisch man Abes Politik auch finden mochte: Eine Eigenschaft, für die
       ihn viele Menschen sehr wertschätzen, war seine Festigkeit im Amt als
       Premierminister. Während seine Vorgänger jedes Jahr mit einem Rücktritt das
       Amt freigaben, hielt Abe ab seiner zweiten Amtszeit im Jahr 2012 an seiner
       Position als Premierminister fest. Mit ihm als Regierungschef wirkte Japan
       endlich politisch stabil. Aus gesundheitlichen Gründen trat Abe im
       September 2020 von seinem Amt zurück.
       
       Wenn für die Welt Merkel das Gesicht Deutschlands war, war Abe das Gesicht
       Japans. Die beiden [7][pflegten ein gutes Verhältnis]: Als sie damals von
       seinen Rücktrittsabsichten erfuhr, wünschte sie ihm „eine rasche und
       vollständige Genesung und persönliches Wohlergehen“.
       
       8 Jul 2022
       
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