# taz.de -- Kriegslage in der Ukraine: Vor einem blutigen Sommer
       
       > Kiew kündigt an, den zu Kriegsbeginn verlorenen Süden der Ukraine
       > zurückzuerobern. Derweil verstärken Moskaus Truppen ihre Angriffe im
       > Donbass.
       
 (IMG) Bild: Unter Waffen: Straßenszene im russisch besetzten Cherson am 11. Juli
       
       Seit Wochen schon gibt es mehr oder weniger deutliche Ankündigungen, jetzt
       ist es offiziell: Die Ukraine will den von Russland besetzten Süden ihres
       Landes zurückerobern. Wie die Zeitung Kyiv Independent in der Nacht zum
       Montag bestätigte, hat Vizepremierministerin Iryna Wereschtschuk die
       Bevölkerung des größtenteils russisch besetzten Distrikts Cherson
       aufgefordert, die Region zu verlassen, da die Ukraine eine Offensive plane
       und Russlands Armee die Zivilbevölkerung als „menschliche Schutzschilde“
       missbrauchen könne. „Es sollten dort keine Frauen und Kinder sein“,
       erklärte die Politikerin.
       
       In einem Interview mit der britischen Times ergänzte Verteidigungsminister
       Oleksii Resnikow, Präsident Wolodimir Selenski habe den Befehl erteilt,
       „Küstengebiete zurückzuerobern, die überlebensnotwendig für die Wirtschaft
       des Landes sind“. Die Ukraine habe mittlerweile eine Million Kämpferinnen
       und Kämpfer unter Waffen: 700.000 in der Armee, dazu Nationalgarde, Polizei
       und Grenzschutz. Seit Kriegsbeginn hätten sich 400.000 Veteranen wieder den
       Streitkräften angeschlossen, 130.000 Zivilisten seien zur
       Territorialverteidigung gestoßen.
       
       Die an die Krim angrenzenden südukrainischen Küstenregionen waren zu
       Kriegsbeginn Ende Februar innerhalb weniger Tage an Russland gefallen, die
       Großstadt Cherson wurde kampflos übergeben. Erst vor Mariupol im Osten und
       Mykolajiw im Westen kam der russische Vormarsch ins Stocken.
       
       Mariupol wurde in mehrmonatiger Belagerung fast komplett zerstört und
       schließlich eingenommen; Mykolajiw leistete erfolgreich Widerstand, und
       seitdem hat sich auf dem flachen Land zwischen Mykolajiw und Cherson eine
       Frontlinie etabliert, die sich nach Nordosten fortsetzt. Russische Vorstöße
       von Süden aus ins Landesinnere wurden von der Ukraine nach anfänglichem
       Zurückweichen gestoppt, aber die Ukraine hat alle ihre Häfen östlich von
       Mykolajiw verloren.
       
       ## Beide Seiten auf Eskalation eingestimmt
       
       Ende Mai gingen ukrainische Truppen zu Gegenangriffen über, ermutigt durch
       Berichte, wonach der Großteil der russischen Truppen im Süden Richtung
       Donbass abgezogen worden sei. Immer wieder erobert die Ukraine seitdem
       nordöstlich von Cherson sowie südlich von Saporischschja einzelne Dörfer
       und Landstraßen zurück. Russland führte derweil in den besetzten Gebieten
       den Rubel ein, stahl die Getreideernte und ersetzte ukrainische Medien und
       Internetverbindungen durch russische.
       
       Seit rund zwei Wochen hat die Ukraine ihren Beschuss russischer Rüstungs-
       und Munitionslager hinter der Front deutlich verstärkt, offenbar unter
       Nutzung der jüngst von den USA gelieferten Raketensysteme größerer
       Reichweite. Umgekehrt hat der russische Beschuss Mykolajiws wieder
       zugenommen. Alles deutet also auf einen kommenden größeren Waffengang
       zwischen beiden Ländern in der Südukraine hin.
       
       Dies folgt auf die schwersten Kämpfe seit Kriegsbeginn im ostukrainischen
       Donbass, wo Russland nicht schnell vorankommt, sondern zähem Widerstand
       ausgesetzt ist und hohe Verluste erleidet. Erst vor zwei Wochen räumte die
       ukrainische Armee die Frontstädte Sjewjerodonezk und Lyssytschansk und
       damit die letzten noch nicht verlorenen Teile des Distrikts Luhansk. Beide
       Städte sind nach monatelangen Kämpfen fast vollständig zerstört. Russland
       konzentriert sich nun auf die noch ukrainisch kontrollierten Teile des
       Distrikts Donezk und bombardiert auch wieder die Millionenstadt Charkiw
       weiter nördlich.
       
       Intensivere russische Angriffe im Osten, intensivere ukrainische Angriffe
       im Süden – der Ukraine steht ein heißer, blutiger Sommer bevor. Beide
       Seiten stimmen ihre Länder auf Eskalation ein. „Jeder sollte wissen, dass
       wir im Großen und Ganzen noch nichts Ernsthaftes begonnen haben“, sagte
       Russlands Präsident Wladimir Putin am 7. Juli. Oleksii Danilow, Sekretär
       des Nationalen Sicherheitsrates der Ukraine, konterte am Montag: „Der
       zahlenmäßige Vorteil der russischen Armee wird von der Treffsicherheit der
       ukrainischen Raketen und Artillerie ausgeglichen. Westliche
       Waffenlieferungen an die ukrainischen Streitkräfte ändern bereits den
       Verlauf des Krieges. Und wir fangen gerade erst an.“
       
       11 Jul 2022
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dominic Johnson
       
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