# taz.de -- Sprachgesetz in der Ukraine: Ukrainisch als Amtssprache
       
       > Ein Gesetz soll Ukrainisch als Landessprache stärken. Wer in offiziellen
       > Statements Russisch verwendet, muss mit Geldbußen rechnen.
       
 (IMG) Bild: Ukrainische Märchen, Grammatik und Rechtschreibung: Sprachklub im westukrainischen Luzk
       
       Die Unterrichtsstunde im Sprachkurs im westukrainischen Luzk beginnt mit
       „Zungenlockerungsübungen“. Die Lehrerin spricht ukrainische Wörter vor, die
       die Lernenden – vor allem ältere Frauen – von einem Blatt ablesen.
       „Paljaniza“, „Kamjanyzja“, „Ruschnyzja“, „Tschernyzja“. „Denken Sie daran,
       den Laut ‚tsch‘ hart auszusprechen“, bittet Oxana Primatschok,
       Koordinatorin des Gesprächsklubs der Staatlichen Wolhyner
       Lesja-Ukrainka-Universität in Luzk, ihre Kursteilnehmer.
       
       Larissa ist [1][aus Kiew geflohen]. Sie erzählt, dass sie über Facebook von
       dem Gesprächsklub in Luzk erfahren hatte und hier jetzt Ukrainisch lernt,
       um mit Gleichaltrigen mithalten zu können. Seit Kriegsbeginn sind 68.000
       Menschen nach Wolhynien gekommen, einem Bezirk im äußersten Nordwesten der
       Ukraine. Menschen, deren ost- bzw. südukrainische Heimat vom Krieg stärker
       betroffen war als der Westen des Landes. In ihren Herkunftsgebieten wird im
       Alltag bisher [2][überwiegend Russisch gesprochen]. „Aber ich will nicht
       sprechen wie Asarow“, erklärt die 61-jährige Larissa.
       
       Die Rede ist von Mykola Asarow, dem ehemaligen ukrainischen
       Ministerpräsidenten und engem Vertrauten von Ex-Präsident Wiktor
       Janukowitsch. Die Sprache, die er bei offiziellen Veranstaltungen sprach,
       nannten die Ukrainer „Asarowisch“, eine Mischung aus Russisch, Ukrainisch
       und einigen anderen, nur Asarow bekannten Dialekten. Diese Asarowsche
       Mischsprache ist allen Ukrainern aus dem Fernsehen bekannt.
       
       [3][Larissa denkt auf Russisch,] deshalb ist es für sie schwer, fehlerfrei
       Ukrainisch zu sprechen. Um das zu ändern, ist sie in den ukrainischen
       Sprachklub gekommen. „Einige wollen die Feinheiten der ukrainischen Sprache
       lernen, weil das ihr inneres Bedürfnis ist. Aber andere haben hier in Luzk
       Jobangebote, bei denen Sprachfehler einfach inakzeptabel sind“, erklärt
       Kursleiterin Oxana Primatschok die unterschiedlichen Motivationen ihrer
       Teilnehmer.
       
       ## Das Sprachgesetz
       
       Das Gesetz „Über die Gewährleistung des Funktionierens der ukrainischen
       Sprache als Staatssprache“ wurde im April 2019 angenommen und als eine der
       letzten Amtshandlungen des ehemaligen Präsidenten Petro Poroschenko
       unterzeichnet. Es trat am 16. Juli 2019 in Kraft, die einzelnen
       Bestimmungen aber nur schrittweise, um nicht jene vor den Kopf zu stoßen,
       die bis dahin die ukrainische Sprache noch nicht beherrschten. Seit Juli
       2021 musste Ukrainisch zum Beispiel im Fernsehen und im Kino, in
       Buchverlagen sowie im Tourismus und bei Stadtführungen benutzt werden. Seit
       Januar 2022 müssen überregionale Zeitungen zur ukrainischen Sprache
       übergegangen sein. Dafür hatten sie eine zweieinhalbjährige Übergangsfrist.
       Deutlich mehr Zeit hat die Lokalpresse für den Übergang, bis Mitte 2024.
       
       Ab dem 16. Juli dieses Jahres können bei Verstößen gegen das Sprachgesetz
       jetzt erstmals Bußgeldstrafen verhängt werden. Bis dahin wurden nur
       Verwarnungen ausgesprochen. Taras Kremin, Ombudsmann für den Schutz der
       Staatssprache, ein Amt, das in der Ukraine extra wegen des Sprachgesetzes
       eingeführt wurde, betont, dass die Bußgeldstrafen nicht den Alltagsgebrauch
       der russischen Sprache beträfen. Es geht dabei nur um den offiziellen
       Gebrauch der Sprache, bei öffentlichen Veranstaltungen zum Beispiel, oder
       bei offiziellen Informationen, die Staatsdiener über die Lage an der Front
       oder die aktuelle Situation in einzelnen Gebieten der Ukraine weitergeben.
       
       „Bis heute gibt es Bürgermeister oder Leiter von Militärverwaltungen, die
       Informationen über Beschuss, Folgen von Raketeneinschlägen und anderen
       Kriegsereignissen nur auf Russisch weitergeben“, schrieb Kremin auf seiner
       Facebook-Seite. Jetzt sieht das Ordnungswidrigkeitengesetz hierfür eine
       Geldbuße vor. Die kann zum Beispiel von einem Schuldirektor gefordert
       werden, einem Beamten, einem Journalisten oder einem Angehörigen des
       Dienstleistungssektors, sobald sie gegen das Gesetz verstoßen. Verhängt
       werden diese Geldbußen vom Ombudsmann für Sprache und seinen drei
       Stellvertretern. Das Geld wird von regionalen Behörden eingezogen und
       fließt in die lokalen Haushalte. Ein relativ einfaches Verfahren, ähnlich
       dem bei Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung: Der Verstoß wird
       protokolliert, ein Bericht erstellt, dann ist die Zahlung des Bußgeldes
       fällig.
       
       ## In der Westukraine gibt es viele Vorurteile gegen Landsleute
       
       Provozieren diese Bußgelder den „sprachlichen Genozid“ (des Russischen in
       der Ukraine; Anm. der Übersetzerin), wie die russische Propaganda es
       verbreitet? Die Kursteilnehmer in den [4][Ukrainischkursen widersprechen
       diesem Mythos]. Im Westen des Landes sind durch die – häufig erstmaligen –
       Kontakte zu den ostukrainischen Neuankömmlingen viele Vorurteile im Umlauf:
       Es geht um deren Sprachgebrauch und die Art, wie sie Auto fahren, darum,
       dass sie angeblich arbeitsscheu seien oder sich vor dem Militärdienst
       drücken wollen, man wirft ihnen Verschwendungssucht und „Kollaborantentum“
       vor.
       
       Gerade die Sprachfrage wirkt hier besonders als Trigger, weil Wolhynien
       eine der Regionen ist, in denen die ukrainische Sprache im Landesvergleich
       am weitesten verbreitet ist, während man Russisch so gut wie gar nicht
       hört. „Wenn Sie jemanden davon überzeugen wollen, sich auf Ukrainisch zu
       unterhalten oder irgendwelche anderen ‚lokalen‘ Sitten oder Regeln
       anzunehmen, dann sollten Sie das nicht aggressiv oder herablassend tun,
       denn das kann eine Abwehrreaktion auslösen. Man sollte diese Menschen nicht
       als solche betrachten, die absichtlich Regeln nicht einhalten oder aus
       reiner Boshaftigkeit nur Russisch sprechen“, rät die Psychologin Marina
       Islam.
       
       Sie kümmert sich in einer westukrainischen Hilfsorganisation um die
       Unterstützung für Flüchtlinge. Es seien einfach Menschen mit einer eigenen
       Geschichte, sagt Marina Islam. Menschen, die in einem anderen Umfeld
       aufgewachsen sind und gelebt haben. „Wenn Sie sie bitten wollen, sich
       anders zu verhalten oder ihnen einen Rat geben wollen, können Sie das tun.
       Wichtig ist, dies höflich und angemessen zu tun. Denn es ist klar, dass
       niemand scharfe Kritik oder Befehle mag. Man kann auch adäquat reagieren,
       dem anderen helfen, sich einzuleben und sich in der neuen Umgebung besser
       zurechtzufinden.“
       
       Die Psychologin glaubt auch, dass die Kurse für Alltagsukrainisch das beste
       Mittel seien, damit sich Flüchtlinge an ihre neuen Lebensumstände gewöhnen
       können. In Luzk hat man nach der Ankunft der ersten Flüchtlinge Dutzende
       von kostenlosen Ukrainisch-Kursen eingerichtet – an der Uni und in
       Bibliotheken.
       
       ## Volksmärchen, Dialekte, Alltagsszenen
       
       Galina Tur, Lehrerin an einer Luzker Schule, ist eine der Freiwilligen, die
       Ukrainisch unterrichten. Sie erzählt, dass zu ihr nicht nur
       Binnenflüchtlinge mit Kindern kommen, sondern auch Einheimische, die sich
       in ihrer Muttersprache verbessern wollen. Daneben hören die Kursteilnehmer
       ukrainische Volksmärchen und -musik und sprechen darüber. Manchmal werden
       kleine Alltagsszenen gespielt, wie im Theater, man spricht über Dialekte.
       
       „Das ist hier mehr so etwas wie ein Kommunikationsklub. Die Themen, über
       die wir hier sprechen und die ich unterrichte, richten sich nach den
       Wünschen und Bedürfnissen der Kursbesucher“, sagt Galina Tur: „Wir
       wiederholen Rechtschreibregeln und machen Übungsaufgaben zur Grammatik.“
       Die Menschen wollten sich zu Wort melden, an der Diskussion teilnehmen,
       einfach reden. Galina Tur sagt: „Sie möchten wissen, was das eine oder
       andere Wort bedeutet, in welchem Zusammenhang man es benutzt und wie man es
       richtig ausspricht.“
       
       Aus dem Russischen Gaby Coldewey
       
       18 Jul 2022
       
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