# taz.de -- Trinh Xuan Thanhs Frau über Entführung: „Ich darf keine Schwäche zeigen“
       
       > Vor fünf Jahren wurde Trinh Xuan Thanh in Berlin entführt. Seine Frau
       > Tran Duong Nga spricht erstmals über ihr Exil, Diplomatie und Hoffnung.
       
 (IMG) Bild: Tran Duong Nga ist enttäuscht, dass Bundesregierung die Beziehungen zu Vietnam normalisiert hat
       
       Das Gespräch mit Tran Duong Nga findet in der Wohnung einer Bekannten in
       Berlin statt. Die 52-Jährige setzt sich neben den Dolmetscher. Seit 2016
       lebt sie in der Hauptstadt. Damals sind sie, ihr Mann Trinh Xuan Thanh und
       ihre jüngsten Kinder nach Deutschland geflohen, wo sie Anfang der 1990er
       Jahre schon einmal gelebt hatten. Ihr Mann hat in Vietnam zunächst in einem
       Staatskonzern und in der Politik Karriere gemacht, fiel dann jedoch in
       Ungnade und wurde als Staatsfeind Nr. 1 international gesucht. Mit am Tisch
       sitzt die Anwältin Petra Schlagenhauf, die den ganzen Fall so gut kennt wie
       wohl niemand sonst und Trinh Xuan Thanh 2018 [1][vor dem Berliner
       Kammergericht beim Prozess gegen einen Entführungshelfer] als Nebenkläger
       vertreten hat. Tran Duong Nga hatte eine Weile überlegt, ob sie einem
       Gespräch zustimmen soll, und ist nervös. Aber sie hat auch eine Botschaft.
       Wir wechseln ein paar Sätze auf Deutsch, dann spricht sie Vietnamesisch und
       der Dolmetscher übersetzt. 
       
       taz am wochenende: Frau Nga, vor genau fünf Jahren, am 23. Juli 2017, wurde
       Ihr Mann im Berliner Tiergarten entführt und vom Geheimdienst nach Vietnam
       verschleppt. Seitdem sitzt er dort im Gefängnis, zu zweimal
       „lebenslänglich“ verurteilt wegen Korruption. Wie erinnern Sie diesen
       Sonntag? 
       
       Tran Duong Nga: Ich würde ungern über das sprechen, was damals passiert
       ist. Ich muss die Vergangenheit verdrängen, damit ich mich ganz auf die
       aktuellen Probleme konzentrieren kann. Auf die Situation meines Mannes und
       wie sie zu lösen ist.
       
       Wissen Sie, wie es Ihrem Mann im Gefängnis geht? 
       
       Mein Mann bekommt einmal im Monat Besuch von meiner Familie in Vietnam.
       Wegen der Coronapandemie waren Besuche lange nicht möglich, seit April
       dürfen seine Eltern und unser Sohn eine bis anderthalb Stunden mit ihm
       sprechen. Meine Familie hat mir erzählt, dass es meinem Mann gut geht. Sein
       Zustand hat sich verbessert, seitdem er nicht mehr im
       Untersuchungsgefängnis sitzt. Er wird gut behandelt von den Wärtern und
       teilt sich jetzt mit ungefähr 20 Mitgefangenen eine Zelle. Und bei jedem
       Besuch hat mein Mann die Hoffnung geäußert, dass er bald nach Deutschland
       ausreisen darf.
       
       Trinh Xuan Thanh hat hier Asyl bekommen, er dürfte jederzeit einreisen. Die
       Bundesregierung hat die Entführung als „inakzeptablen Rechtsbruch“
       verurteilt und betont, dass Ihr Mann freikommen muss. Was hören Sie heute
       von offizieller Seite? 
       
       In den vergangenen Jahren hat sich meine deutsche Anwältin große Mühe
       gegeben, den Kontakt zwischen uns und dem Auswärtigen Amt beizubehalten.
       Ich war auch persönlich mehrfach im Außenministerium, zuletzt Anfang Juni
       bei einem Gespräch mit dem für Vietnam zuständigen Referenten. Man sagte
       uns, dass unsere Sache bei jedem Gespräch zwischen beiden Ländern auf den
       Tisch gelegt worden sei. Es wurde immer betont, dass man die Sache nicht
       vergessen wird. Aber es sind nun fünf Jahre vergangen, die
       zwischenstaatlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Vietnam sind
       wieder normalisiert. Aber mein Mann sitzt immer noch im vietnamesischen
       Gefängnis. Ehrlich gesagt, bin ich sehr enttäuscht von der Bundesregierung.
       
       Es hieß anfangs, dass die Eiszeit zwischen den Ländern erst endet, wenn Ihr
       Mann wieder frei ist. Es war von einem Deal die Rede, der das beinhalte. 
       
       Genau. Und dass das nicht eingehalten wurde, hat mich sehr enttäuscht. Sie
       sagen, Diplomatie laufe manchmal eben nicht so schnell wie gewünscht. Wir
       sollen abwarten. Und ich werde warten. Ich verliere meine Hoffnung nicht.
       Ich bin auch überzeugt davon, dass Deutschland unsere Sache nicht vergessen
       hat. Deutschland wird sich weiter für die Freilassung einsetzen. Ich hoffe,
       dass bei nächsten hochrangigen Treffen wieder darüber gesprochen wird,
       damit mein Mann zurückkommen kann. Deutschland muss den Druck
       aufrechterhalten.
       
       [2][Im April wurde ein weiterer Helfer der Entführer verhaftet.] Es wird
       wahrscheinlich zu einem zweiten Prozess kommen. Was sind Ihre Erwartungen
       daran? 
       
       Fünf Jahre nach der Entführung wurde bislang nur ein Mitglied der
       Entführertruppe verurteilt. Dass jetzt erneut ein mutmaßlicher Mittäter
       verhaftet wurde, ist ein Beleg dafür, dass Deutschland die Entführung nicht
       vergessen hat. Und es zeigt auch, dass hier alles streng nach dem Gesetz
       abläuft. Ich hoffe, dass ein paar neue Details ans Licht kommen.
       
       Ihre erste Zeit in Deutschland haben Sie damals als Leben im
       Ausnahmezustand beschrieben. Ist das immer noch so? Oder ist inzwischen so
       etwas wie Alltag eingekehrt? 
       
       Mein Leben hier ist ziemlich normal geworden. Ich bin hier in Deutschland
       integriert. Ich liebe Berlin, es ist sehr lebhaft und bunt. Die Farben
       sieht man aber erst, wenn man eine Weile hier lebt. Die Vielfältigkeit von
       Berlin kann man nicht sehen, wenn man nur so auf der Straße langgeht. Meine
       Kinder besuchen ganz normal die Schule, sie betrachten Deutschland schon
       als ihre Heimat. Ich verdiene mein eigenes Geld als Immobilienverwalterin
       und zahle Steuern. Aber es ist natürlich nicht leicht für mich als
       Fast-Alleinstehende, die Verantwortung für meine Familie zu tragen. Ich
       muss mich um alles kümmern. Wenn zum Beispiel eine Glühbirne kaputtgeht,
       muss ich die selbst wechseln. Es wird wirklich Zeit, dass mein Mann
       zurückkommt.
       
       Es ist schwer vorstellbar, wie viel Geduld Sie aufbringen müssen. Wie
       schaffen Sie das? 
       
       Ich tue all das für alle Angehörige meiner Familie. Manchmal habe ich so
       großen Druck verspürt, dass ich fast zusammengebrochen bin. Aber ich darf
       keine Schwäche zeigen. Manchmal stehe ich vor dem Bild meines verstorbenen
       Vaters und rede mit ihm. Ich bin fest davon überzeugt, dass er mich
       unterstützt. Es ist wichtig, dass meine Kinder einen Vater haben. Deshalb
       ist mein größter Wunsch, dass unsere Familie bald wieder hier
       zusammenleben kann.
       
       22 Jul 2022
       
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