# taz.de -- Konzert mit Ostpunkbands in Berlin: Bierdusche für die Discokugel
       
       > Mit zwei Jahren Verspätung feierten Ostpunkbands von Betonromantik bis
       > L’Attentat die Wiederauflage ihrer Musik aus DDR-Zeiten.
       
 (IMG) Bild: Die Band L'Attentat, hier 2014 bei einem Heimspiel im UT Connewitz in Leipzig
       
       Preisfrage für den nächsten Punkrocktresen: Die Strophe und der Refrain
       „Wir leben in Häusern, in Städten und Dörfern / Wir sind nicht zufrieden
       mit unserer Welt / Marschieren zur Arbeit, Schuften und schuften / Sparen
       und sparen, wir brauchen das Geld / Und wir bauen Häuser aus rosa Beton“,
       von wann mögen sie stammen?
       
       Am Samstag kurz vor Sonnenuntergang schauen sich im Kreuzberger Lido
       Menschen an und äußern, wohlwissend, dass sie gerade einen jahrzehntealten
       Song gehört haben, einen Gedanken: Die Zeilen könnten von heute sein.
       Tatsächlich geht es um ein Stück aus dem Jahr 1983, das jetzt dezent, aber
       treffend aktualisiert worden ist: „Rosa Beton“ von der gleichnamigen Band,
       die im Lido einen Abend mit [1][Punkrock aus der DDR] eröffnet hat.
       
       Zwei Veröffentlichungen wollen im Lido gefeiert werden: Da ist einmal die
       in der taz bereits besprochene [2][Compilation „Too Much Future – Punkrock
       GDR 1980–1989“]. Die Dreifach-LP-Box ist 2020 innerhalb kurzer Zeit
       ausverkauft gewesen und hat jetzt eine Neuauflage erfahren. Ihre
       Releaseparty musste pandemiebedingt mehrmals verschoben werden.
       
       Wer die Wartezeit mit der Lektüre des umfangreichen und mit
       zeitgenössischen Fotos illustrierten [3][Booklets von Henryk Gericke],
       Berliner Herausgeber der Box, verbrachte, hat gut daran getan und weiß,
       dass es um Bands geht, deren Mitglieder sich „mit einem Bein, mit zwei
       Beinen oder dem ganzen Körper“ im Knast befanden. Die Formulierung ist von
       Bernd Stracke, Sänger von L’Attentat aus Leipzig, die den Abend beschließen
       werden. Stracke weiß, wovon er spricht, und ist damit nicht allein.
       
       Die andere Veröffentlichung ist das Tapealbum (das Vinyl soll folgen) von
       Rosa Beton: Es versammelt auf der A-Seite die Aufnahmen, die das
       ursprüngliche Duo Thomas Wagner und Ronald „Mausi“ Mausolf im Kinderzimmer
       in Hönow bei Berlin aufgenommen hatte. Die Musik machte die Runde, ohne
       kommerziell erhältlich zu sein.
       
       An Live-Auftritte war nicht zu denken, ein staatlich verordnetes Schicksal,
       das nicht nur Rosa Beton traf. Auf der B-Seite des Tapes finden sich 2022
       entstandene Neueinspielungen ihrer Songs. Die sind schneller, schnittiger
       Wavepunk in verwegener Achtziger-Jahre-Klangästhetik.
       
       ## Souverän auf der Bühne
       
       Keyboardschleifen und Songs von Wagners späteren Projekten Herr Blum und
       Tom Terror und das Beil sorgen für die erste Überraschung des Abends. Die
       Livepräsentation durch die mittlerweile zum Quartett gewordenen Rosa Beton
       ist übrigens verdammt souverän: Als das extra angeschaffte elektronische
       Drumkit den Bühnentod stirbt, wechselt der Drummer an das Rock Set am
       hinteren Bühnenrand.
       
       Technische Kalamitäten auch bei der nächsten Band: Kaum hat das Set
       begonnen, da reißt dem Gitarristen des Berliner Quartetts Betonromantik
       eine Saite. Wir sind auf einem Punkkonzert. Es geht seinen ungezügelten
       Gang.
       
       An dieser Stelle sei der Forschungsauftrag ausgeschrieben, einmal zu
       untersuchen, wie oft das Wort Beton in der Schmutzmusik vorkommt – und in
       welchen Verbindungen. Die von Betonromantik ist eine ganz andere als die
       ihrer Vorgänger: Die Brachialromantiker um den Sänger und Gerüstbauer Mike
       Göde spielen druckvollen Hardcore-Punk. Darüber wacht eine glitzernde
       Discokugel. Sie wird im Lauf des Abends die eine oder andere Bierdusche
       abbekommen. Das Raumklima im Lido, ein bis zum Mauerbau von Ostberliner
       Filmliebhabern gern frequentiertes Kino und danach Proberaum der
       Schaubühne, ist längst Juligemäß.
       
       Die dritte und vierte Band des Abends teilt sich den Bassisten: Es ist Maik
       Reichenbach, der Leipziger Herausgeber der „Too Much Future“-Box. Er spielt
       für Planlos, die unlängst in dem Dokumentarfilm „Auswärtsspiel: Die Toten
       Hosen in Ost-Berlin“ deutlich machen konnten, dass die Düsseldorfer Band
       auf einem gemeinsamen illegalen Konzert 1982 in der Lichtenberger
       Erlöserkirche den Punk nicht erst in die Hauptstadt der DDR bringen
       mussten. Auftritte von Planlos sind über die Jahrzehnte rar gesät.
       
       „Wir sehen uns 2042“, verabschiedet sich Sänger Michael „Pankow“ Boehlke.
       Es darf gerne vorher sein. Für L’Attentat wird der Lido-Auftritt ihr
       letzter in Berlin gewesen sein. Sie bestreiten ihn mit der Gastsängerin
       Andrea Hüber-Rhone von der Band Die Frechheit. Der Name darf programmatisch
       gesehen werden. Zum Ende hin ein Bekenntnis zur Anarchie: Wer wissen will,
       warum, gibt sich die Nachrichten. Und wer das einfach nicht mehr kann,
       schaut sich auf der Straße um.
       
       31 Jul 2022
       
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