# taz.de -- Die Wahrheit: Kinder in Kühen, Klempner in klein
       
       > Die Wahrheit investigativ: ein Rundgang auf der legendär verschnarchten
       > Zukunftsmesse „Fuzzy Future Fair“.
       
 (IMG) Bild: Auf der FFF wird die Zukunft mit Arschwackeln gefeiert – bewegt sie doch die gesamte Menschheit
       
       Neustadt am Rübenberge, Hort der wahren Zukunft. Hier, im breitesten
       Niedersachsen, findet dieser Tage die „Fuzzy Future Fair“ statt, und was
       anderswo gemeinhin unter Zukunft verstanden wird, ist hier ein alter Hut,
       Intelligenzpastillen zum Beispiel. Johannes „Joe“ Krawatzki, PR-Chef der
       Messe, winkt bei der Begrüßung gleich ab, tischt man ihm angegraute Ideen à
       la Reisen in die Vergangenheit auf oder verweist auf eine App, die Gedanken
       lesen kann.
       
       „Ja, es gibt sogar ein Programm, das die Gedanken von morgen lesen kann.
       Ist aber nichts Besonderes“, betont der alerte PR-Experte. Es handele sich
       nur um die Weiterentwicklung einer alten Profiler-Software, die zeit- und
       ortsgenau die Vorhersage von Verbrechen erlaubt und längst zur globalen
       Polizeiroutine gehört.
       
       „Verzeihen Sie, wenn ich mit Ihnen auf Deutsch rede!“, entschuldigt sich
       Krawatzki wenig später. „Aber Sie sind aus der Ü60-Kohorte und haben keine
       Translation-App in Ihrem Ohr implantiert, oder?“ Wir verneinen und
       verweisen darauf, dass wir uns bereits ohne fremde Hilfe angemeldet und
       sogar bargeldlos bezahlt haben.
       
       Nun wollen wir investigativ und selbstständig über die Messe schlendern.
       Krawatzki wirkt darob wie auf Knopfdruck erleichtert. Im Bruchteil einer
       Sekunde hat er sich von dem klapprigen Reporter ab- und einer
       Besuchergruppe mit jungen, ungefalteten Gesichtern zugewandt.
       
       ## Kommunikation auf Augenhöhe
       
       Auch dieses Jahr sind in Neustadt am Rübenberge wieder Neuheiten außer Rand
       und Band zu sehen. Da ist zum Beispiel das Start-up Humanimals, das sich
       auf die Entschlüsselung von Tiersprachen und eine Kommunikation auf
       Augenhöhe spezialisiert hat. Die Software von Humanimals ist zwar noch
       nicht bis ins letzte i-Tüpfelchen ausgereift, weshalb Tier und Mensch sich
       manchmal noch missverstehen – mindestens ein Entwickler wurde bereits von
       Löwen gefressen. Aber etwas Verlust sei „immer und der Fortschritt nun mal
       nicht aufzuhalten, wenn man nur richtig Gas gibt“, wie wir einer
       überraschend altmodisch auf Papier gedruckten und brav zusammengetackerten
       Broschüre entnehmen dürfen.
       
       Wir lenken sicherheitshalber unsere Schritte an den Stand der Firma Change
       Unlimited nebenan. „For Better Life“ lautet der etwas löchrige Claim,
       darunter steht in der hier ansässigen Sprache: „Wir verwandeln dich in ein
       Tier oder eine Pflanze deiner Wahl! Test kostenlos!“ Sicherheitshalber
       überlegen wir, uns in einen Löwen verwandeln zu lassen, haken uns aber
       rechtzeitig im Kleingedruckten fest, demzufolge es keine felsenfeste
       Garantie für die Rückverwandlung in einen zweibeinigen Reporter gibt.
       
       Null brandgefährlich fürs köstliche Ich ist hingegen das Computerprogramm
       der Firma Zero Secrets. Es bringt zum Sprechen, was bis heute in Farbe und
       Mauerwerk alter Gemälde und Fresken, etwa in der Sixtinischen Kapelle,
       steckt. Auf der Demoversion hört man einen wutschnaubenden Michelangelo
       seine Gehilfen in Grund und Boden zetern und wundert sich, dass der Meister
       des Pinsels ein wenig wie der Italo-Stiefel Adriano Celentano klingt.
       
       Auf andere Weise in die Welt der Kunst einzuführen verspricht das
       Unternehmen AllArts: „Mit unserer Software komponierst du in null Komma
       nothing wie Goethe, malst wie Mozart, schreibst wie Rembrandt!“, und
       wirklich drängen sich hier viele Menschen, die lieber Künstler sein wollen.
       
       Wir kieken und staunen, wundern uns von oben bis unten und zuckeln weiter
       über diese zukunftsträchtige Messe in Neustadt am Rübenberge. Nicht wenigen
       Besuchern quellen die vielen Neuheiten schon zu den Ohren heraus. Eine
       kleine Klitsche etwa hat ihre Koje demohalber in einen niedlichen OP-Saal
       umgefrickelt. Mit wenigen Handgriffen soll dort die olle Netzhaut durch
       einen topmodernen Chip ersetzt werden, der das Auge in einen Fotoapparat
       aufrüstet, Speichermedium inklusive.
       
       ## Ersatzorgane auf dem Balkon
       
       Einige Stände weiter verwandelt ein weltbekannter Lebensmittelkonzern
       radioaktiven Abfall in verdaubare Chemie. Eine Firma wirbt mit
       Ersatzorganen, flott angezüchtet im Blumenkübel auf dem Balkon oder im
       Tellerchen auf dem Fensterbrett; eine andere verspricht, das Geschlecht
       täglich wählbar zu machen; und schließlich hat sich eine Kühe patentieren
       lassen, die Frauen das Austragen ihrer Kinder abnehmen.
       
       Am Ende unserer Messe-Inspektion bestaunen wir das von Professor Damholzer
       und seinem Assistenten von Bülow gegründete Start-up ManMachine. Es hat den
       schrumpfbaren Homo sapiens zur Marktreife entwickelt. In der
       körperinvasiven Chirurgie wird jener wohl ebenso nützlich sein wie im
       Klempnerwesen.
       
       „Schön und neu wird die Welt!“, lautet schließlich am Ausgang die ins
       kleine Deutsch übersetzte finale Devise der „Fuzzy Future Fair“ in Neustadt
       am Rübenberge. Dass plötzlich das Perpetuum mobile von Works forever
       spotzt, knirscht und stillsteht, ist blinder Zufall.
       
       Von irgendwo her hören wir den mittlerweile fast vergessenen PR-Chef der
       Messe, Johannes „Joe“ Krawatzki, beruhigend durch die Hallen rufen, dass
       man „immer mit einem Stromausfall rechnen muss …“ Im Gehen ergänzen wir in
       Gedanken: Und dunkel wird es dann wie im Arsch eines Ochsen!
       
       10 Aug 2022
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Peter Köhler
       
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