# taz.de -- Die Wahrheit: Das Finnland des Nordens
       
       > Sommerfrische an Seenlandschaft. Da wächst die Erkenntnis: Dieses
       > Mecklenburg-Vorpommern ist gar nicht das Land, für das es gehalten wird.
       
 (IMG) Bild: Das Nickerchen ist dieser ausgeschlafenen Vandalin besonders heilig
       
       Petäa, gimmaan Lüübtsäa!“, bricht der Stiernacken die Stille in der
       Mecklenburger Raucherkneipe, damit ihm Wirt Peter ein Lübzer Pils reicht.
       Draußen gründelt einer der hunderttausend Seen Mecklenburgs, drinnen
       gründeln Ureinwohner wortkarg in sich hinein. Die ganze Szenerie war mir
       gleich sehr finnisch vorgekommen, der Zungenschlag mit den fremdartigen
       Doppellauten bringt Gewissheit: Mecklenburg ist das eigentliche, ach was:
       das bessere Finnland.
       
       Seit Jahren wird versucht, mir das Land der tausend Seen als Austragungsort
       der Sommerfrische schmackhaft zu machen, doch ich wehre mich. Es kann trotz
       Wandelklimas so nah am Polarkreis keine Sommer geben, die diesen Namen
       verdienen.
       
       Trotzdem wird die Suomi-Lobby nicht müde, die bloß halbjährig beleuchtete
       Fichtenschonung am Ostrand der Ostsee zu rühmen, die sogar der Russe
       fluchtartig verließ. Herrlich maulfaul seien die Finnländer, zutraulich die
       Mücken und voller Finesse die finnische Gastfreundschaft. Kaum angekommen,
       werde der Gast an den Bottnischen Meerbusen gepresst und liebevoll mit
       Birkenreisern in die Sauna gepeitscht. Auch die Kultur sei von
       herausragender Randständigkeit, behaupten die Finnophilen und verweisen auf
       die Vollschrate Kaurismäki und Numminen.
       
       Dabei ist all dies – Seen, Mücken, Vollschrate – erheblich günstiger zu
       haben, fährt man ins firnisdünn zivilisierte Mecklenburg-Vorpommern. Aber
       ins Zonen-Outback trauen sich die Finlover nicht, dabei liegt auch dieser
       Landstrich kuhfladenflach hingeschissen an der Ostsee, ist bebirkt und
       befichtet wie nichts Gutes, darüber hinaus mit Wasserlöchern vollgetümpelt,
       dass man kaum trockenen Fußes von Wismar bis Güstrow kommt. Als
       landestypische Spezialitäten gelten Seenplatte sowie die weitaus größere
       Schlachtplatte im Landgasthof daneben.
       
       Kultur ist auch vorhanden. Was dem Finnen sein Tango, ist dem Mecklenburger
       sein Pogo. Zum Kehlgesang des Rostocker Fischerchors Feine Sahne Fischfilet
       stolpert er seine Balzrituale einsam über versumpfte Bodden, denn die
       letzte Frau hat Emm-Vau schon kurz nach der Wende zur Eiszeit verlassen.
       Seither pflanzt sich der Mecklenburger dem Schlauchpilz gleich durch
       Knospung fort, und das soll ihm der Finne erst mal nachmachen.
       
       Auch die Mücken sind den finnischen an Blutdurst überlegen. Nicht selten
       erreichen sie die Größe des mecklenburgischen Wappentiers, das einen
       betrunkenen Mastochsen, womöglich aber auch den Herrn neben mir darstellt.
       
       „Petäa, mächmäa Muusik!“, fordert der Stiernacken den Wirt auf. Der legt
       prompt die Böhsen Onkelz auf. Denn statt heimischer Fischfilet-Hits werden
       in allen Raucherkneipen des Landes allein Westimporte der Gröl-Hessen
       abgespielt, das hat ein Experte leider herausfinden müssen. Die
       Vergrämungsmaßnahme wirkt, der Experte setzt sich ans Seeufer. Dort
       herrscht dann wieder eitel Finnland.
       
       11 Aug 2022
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Bartel
       
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