# taz.de -- Die Wahrheit: Fenstergriff ins Klo
       
       > Handwerker sind scheue Wesen. Fensterbauer gehören offenbar wie
       > Wildpferde zu den Fluchttieren. Verblüffende Beobachtungen auf einer
       > Baustelle.
       
       Weil die Fensterbauer spurlos verschwunden sind, haben wir eine
       Handwerkerlockfalle vor dem Haus meiner Freundin aufgebaut. Ein Klo zum
       Danebenpinkeln, ein weißer Teppich, um mit dreckigen Schuhen darüber zu
       laufen, und ein Telefon, um damit auf keinen Fall zurückzurufen. Das waren
       ihre Lieblingsbeschäftigungen, sagt meine Freundin.
       
       Genau wie Wildpferde gehören Fensterbauer offenbar zu den Fluchttieren, die
       sich in einer Staubwolke am Horizont auflösen, wenn man sich in ihrer
       Gegenwart zu hektisch bewegt oder Fragen nach dem Ende der Baumaßnahmen
       stellt. Die neuen Fenster stehen nun seit ein paar Wochen im Wohnzimmer
       neben den ausgebauten Fenstern. Zum Glück ist wenigstens auf den
       Klimawandel Verlass. Der Sommer war so heiß, dass unsere Fenster auch dann
       offen gestanden hätten, wenn welche drin gewesen wären.
       
       Allerdings fehlt jetzt die schöne Stehlampe, weil das Wohnzimmer im
       Parterre liegt. Im Regal wohnen Tauben und auf dem Sofa ein gewisser Rudi.
       
       Mit dem Unternehmen kann man nur über Whatsapp kommunizieren, wobei sich
       die Beiträge der Mitarbeiter auf schwer deutbare Emoji-Reihen beschränken.
       Andere Fensterbauer sind nicht aufzutreiben, weil alle Handwerksfirmen nach
       dem Prinzip der Jerusalemer Klagemauer funktionieren. Man kann den Herrn
       und Meister mit Bittgebeten behelligen oder Zettelchen dalassen. Erhört
       oder gar beantwortet wird nichts davon, denn irgendwo lockt immer ein
       Großauftrag im Neubauviertel oder Stadtverdichtungsareal.
       
       Wer Handwerker zum Flickschustern ins eigene windschiefe Knusperhäuschen
       locken will, muss sich schon etwas ganz Besonderes einfallen lassen, wie
       zum Beispiel eine weitere Lockfalle im Vorgarten, die ich gerade mit einem
       Köder versehe: einem mannshohen Mettigel, den ich mit Kippen, Red Bull und
       Bierpups gefüllt habe. Davon ernähren sich Handwerker, hatten unabhängige
       Geruchsanalysen meiner Freundin ergeben.
       
       „Herrjemine!“, deklamiert sie dazu und steckt ein paar Scheine in den
       Mettigel. „Ich bin ja nur eine hilfloses Frauenzimmer mit viel Geld, das
       nur wenig von Handwerk und noch weniger von Finanzen versteht.“
       
       Augenblicklich rumort es im Unterholz. Dutzende von weißen Transportern mit
       Aufschriften wie „Heizungsbau Hanswurst“, „Installation Isnogud“, und
       „Dachdecker Haderlump“ brechen aus dem Gebüsch. Sogar unsere Fensterbauer
       tauchen wieder auf. Es stellt sich heraus, dass sie sich zu einer
       verlängerten Mittagspause in ihren Sprinter zurückgezogen hatten.
       
       Der Altgeselle fühlte sich künstlerisch ausgebrannt. Statt mit den bereits
       bezahlten dreifach verglasten Wärmeschutzfenstern will er künftig lieber
       mit Naturmaterialien wie Tannenzapfen oder Bienenwachs arbeiten.
       „Vielleicht will ich auch selbst das Fenster sein, in dem sich die Welt
       spiegelt. Jedenfalls wird alles teurer“, sagt er und überschlägt die
       Zusatzkosten.
       
       22 Sep 2022
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Bartel
       
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