# taz.de -- Umweltschützer über Tschernobyl im Krieg: „Man hat einfach Glück gehabt“
       
       > Das AKW Tschernobyl entging im Krieg nur knapp der Katastrophe, sagt
       > Umweltschützer Olexi Pasyuk. Das AKW Saporischschja macht ihm umso mehr
       > Sorgen.
       
 (IMG) Bild: Die jüngsten Schäden am AKW Tschernobyl wurden von der IAEO verharmlost, glaubt Olexi Pasyuk
       
       taz: Herr Pasyuk, das Gebiet des AKWs Tschernobyl ist wieder unter
       ukrainischer Kontrolle. Russische Truppen hatten es [1][zu Beginn des
       Kriegs wochenlang besetzt]. Welche Erkenntnisse liegen vor? 
       
       Olexi Pasyuk: Zunächst einmal muss gesagt werden: Die militärische Einnahme
       eines atomaren Objekts ist eine [2][Verletzung von Protokoll 1 der Genfer
       Konventionen]. Dort heißt es, dass Objekte, die sehr gefährlich sein
       können, wie Atom- oder Wasserkraftwerke, nicht Objekt von Kampfhandlungen
       sein dürfen. Auch die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO)
       verbietet Mitgliedstaaten Militäreinsätze an derartigen Objekten. Das
       heißt, Russland trägt die Verantwortung dafür, dass in Tschernobyl und dem
       AKW Saporischschja Kampfhandlungen stattfinden.
       
       Und was ist in dieser Zeit in Tschernobyl passiert? 
       
       Die Kampfhandlungen haben Brände verursacht. Und wenn es in so einem Gebiet
       brennt, dann heißt das immer auch, dass Radioaktivität freigesetzt wird.
       Und am meisten hat uns besorgt, dass für eine gewisse Zeit die
       Stromversorgung nicht funktioniert hatte. Abgebrannte Brennstäbe in den
       nassen Lagerstätten hätten sich somit erhitzen können. Wir haben Glück
       gehabt, unsere schlimmsten Befürchtungen sind nicht eingetreten. Aber das,
       was passiert ist, ist schon schlimm genug. Nämlich, dass zusätzlich
       Radioaktivität freigesetzt worden ist.
       
       Wie war in dieser Zeit das Monitoring? 
       
       Die Überwachung des aktuellen Zustands der atomaren Objekte auf diesem
       Territorium ist für mehrere Stunden ausgefallen.
       
       Und die Ausrüstung? 
       
       Ein Teil der Ausrüstung war zerstört, ein Teil gestohlen. Möglicherweise
       sind auch Daten verloren gegangen. Insgesamt hat das dazu geführt, dass man
       eine Zeit lang nicht wusste, was da los ist, aber inzwischen haben wir das
       Monitoring in Tschernobyl mit Hilfe von internationalen Sponsoren wieder im
       Griff.
       
       Es wurden auch Schützengräben ausgehoben? 
       
       Ja. Und natürlich hat das auch wieder Radioaktivität in die Umwelt
       gebracht. Andererseits glaube ich nicht, dass in der Folge des Aushebens
       von Schützengräben [3][Soldaten an der Strahlenkrankheit] gestorben sind.
       Da waren einige Nachrichten übertrieben.
       
       Die IAEO hat hinterher einen Bericht über die Zeit der Besetzung
       herausgegeben. 
       
       Ja, und der ist hier in der Ukraine kritisiert worden. Nach Meinung der
       ukrainischen Behörden hat die IAEO das Level der Schäden zu niedrig
       eingeschätzt. Schließlich, so hatte die IAEO argumentiert, seien ja nicht
       die hochradioaktiven Bereiche zu Schaden gekommen. Greenpeace hingegen ist
       der Auffassung, dass die IAEO die Situation verharmlost hat. Aber man hat
       einfach auch Glück gehabt, es hätte auch schlimmer kommen können.
       
       Und welche Gefahren sehen Sie [4][in Saporischschja]? 
       
       Da sehe ich größere Gefahren als in Tschernobyl. Von sechs Reaktoren dort
       sind derzeit zwei am Netz. Und da wird auch immer noch gekämpft. Russland
       ist an dem Strom des AKWs interessiert. Deswegen ist es auch im russischen
       Interesse, dass dort alles funktioniert. Doch sobald Russland das
       Territorium des AKWs verlassen muss, könnte eine chaotische Situation
       eintreten. Insgesamt halte ich die Besatzung des AKWs Saporischschja für
       gefährlicher als die Besetzung des AKWs Tschernobyl.
       
       11 Aug 2022
       
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